Artikel 64 des Strafgesetzbuches der RSFSR („Vaterlandsverrat“) trat am 1. Januar 1961 in Kraft und lautete: „Vaterlandsverrat ist eine vorsätzliche Handlung eines Bürgers der UdSSR zum Nachteil der staatlichen Unabhängigkeit, der Unverletzbarkeit des Territoriums oder der militärischen Leistungsfähigkeit der UdSSR. Der Übertritt auf die Seite des Feindes, Spionage, der Verrat von Staats- oder Militärgeheimnissen an einen fremden Staat, die Flucht ins Ausland, die Verweigerung der Rückkehr aus dem Ausland in die UdSSR, die Unterstützung eines fremden Staats bei der Umsetzung feindlicher Handlungen gegen die UdSSR sowie die Verschwörung mit dem Ziel der Machtergreifung wird Freiheitsentzug von zehn bis 15 Jahren, mit Beschlagnahmung des Eigentums, mit Verbannung von zwei bis fünf Jahren oder ohne Verbannung oder mit Todesstrafe und mit Beschlagnahmung des Eigentums bestraft.“
Diese Vorschrift ersetzte Artikel 58, Paragraf 1 Strafgesetzbuch der RSFSR von 1934. Genau wie Artikel 70 Strafgesetzbuch der RSFSR trat sie auf Grundlage des sowjetischen Gesetzes „Über die strafrechtliche Verantwortlichkeit bei Verbrechen gegen den Staat“ (Artikel 1) vom 25. Dezember 1958 in Kraft. Als Vaterlandsverrat galten danach zum Beispiel Flucht und sogar gescheiterte Fluchtversuche aus der UdSSR, die Verweigerung der Rückkehr aus dem kapitalistischen Ausland, (gewaltfreie) Handlungen und Bestrebungen nach Selbstbestimmung der nichtrussischen Sowjetvölker oder die Bildung einer Organisation mit dem Ziel, das Regierungssystem zu wechseln.
Gegen Dissidenten wurde dieser Artikel eher selten angewandt. Ausnahmen waren der *Allrussische Sozial-Christliche Verband zur Befreiung des Volkes, aktive Mitglieder der Nationalbewegungen in den Sowjetrepubliken und Natan Scharanski, der wegen Spionage angeklagt wurde. Die Revision von Verfahren, die auf der Grundlage dieses Artikels stattgefunden hatten, wurde während der Perestroika begonnen und nach dem Zerfall der UdSSR fortgesetzt. In den einzelnen Nachfolgestaaten verlief sie unterschiedlich. Im Baltikum wurde das Problem radikal gelöst, indem die UdSSR zur Okkupationsmacht erklärt wurde und der Kampf gegen diese somit nicht als Verbrechen gelten konnte.