Name des Begriffes: März 1968
Beschreibungen des Begriffes:

März 1968

Durch den Prager Frühling inspirierter Massenprotest Jugendlicher und Studenten gegen die staatliche Kulturpolitik und die Einschränkung der bürgerlichen Freiheiten. Unmittelbarer Anlass der Proteste war die Absetzung des Theaterstücks „Totenfeier“ (Dziady) von Adam Mickiewicz, das Kazimierz Dejmek am Warschauer Nationaltheater inszeniert hatte. Das Stück ist ein politisches Drama aus der Zeit der Teilungen Polens und des polnischen Unabhängigkeitskampfes, in dem das Publikum Anspielungen auf die aktuelle politische Situation in Volkspolen erkannte. Während der letzten Vorstellung am 30. Januar 1968 applaudierten die Zuschauer insbesondere an russlandkritischen Stellen des Stückes; als sich der Vorhang bereits gesenkt hatte, skandierten sie: „Unabhängigkeit ohne Zensur“. Nach dem Ende der Vorstellung organisierte eine Gruppe oppositioneller Studenten, die sich „Kommandotrupp“ nannte (mit dabei waren Adam Michnik und Henryk Szlajfer, deren geistige Väter Jacek Kuroń und Karol Modzelewski waren) eine Demonstration vor dem Mickiewicz-Denkmal. Einen Tag darauf begann eine Unterschriftensammlung für eine Petition an den Sejm, mit der die Rückkehr des Stückes auf den Theaterspielplan erreicht werden sollte. Allein in Warschau unterschrieben 3.145 Personen diese Petition. Am 29. Februar unterstützte die Warschauer Ortsgruppe des Bundes Polnischer Literaten den Studentenprotest und kritisierte die Zensur, da sie die nationale Kultur bedrohe und unweigerlich zu ihrer „fortschreitenden Verödung“ führe.

Im März wurden Adam Michnik und Henryk Szlajfer zwangsexmatrikuliert. Als Antwort darauf organisierte das Umfeld des Kommandotrupps am 8. März 1968 im Innenhof der Warschauer Universität eine Protestkundgebung, die von einem massiven Aufgebot der Miliz und „Arbeiteraktiven“ brutal auseinandergetrieben wurde. Diese „Arbeiteraktive“ bestanden größtenteils aus Mitarbeitern des Staatssicherheitsdienstes, die mit Bussen aus Produktionsbetrieben zum Ort der Demonstration gebracht worden waren. Viele Mitstreiter des Kommandotrupps kamen in Haft. An den Folgetagen kam es im ganzen Land zu Solidaritätskundgebungen und Studentenstreiks; vielerorts schlossen sich auch Arbeiter den Protesten an. Höhepunkt des Streiks an der Universität Warschau war die Verabschiedung der von Jakub Karpiński, Marcin Król und anderen verfassten „Deklaration der Studentenbewegung“ (Deklaracja ruchu studenckiego). In diesem programmatischen Dokument wurden substantielle demokratische Veränderungen im Land gefordert.

Das zweite Element der Märzereignisse in Polen war der vom Regime geführte Kampf um die Vorherrschaft der Partei, die von einer Propagandakampagne mit deutlich antisemitischen Zügen geprägt war. Brutal angegriffen wurden insbesondere „revisionistische“ Professoren, die als vermeintliche Anstifter der Unruhen an den Universitäten gebrandmarkt wurden (darunter Leszek Kołakowski und Zygmunt Bauman). In Betrieben fanden Belegschaftsversammlungen statt, auf denen unter dem Deckmantel der Bekämpfung des „Zionismus“ (also der Politik Israels) bestimmte, nach antisemitischen Kriterien ausgewählte Mitarbeiter an den Pranger gestellt wurden. Im Gefolge der März-Ereignisse verließen etwa 13.000 polnische Staatsbürger jüdischer Herkunft das Land.

Ein gutes Dutzend der aktivsten Kommandotrupp-Mitglieder wurde zu Gefängnisstrafen von bis zu zweieinhalb Jahren verurteilt. An einigen Hochschulen wurden ganze Fakultäten einfach aufgelöst; die Einschreibung der Studierenden begann von Neuem. Hunderte junge Menschen wurden zur Strafe zum Militärdienst einberufen, viele mussten Geldstrafen zahlen. In den 70er Jahren engagierten sich viele Teilnehmer dieser Studentenbewegung in der sich formierenden demokratischen Opposition und später in der Solidarność.

Bartosz Kaliski

Synonyme: Märzes 1968
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