Roland Jahn ist einer der markantesten DDR-Regimekritiker. Er stand stellvertretend für die Jenaer Friedensbewegung, die ihren Höhepunkt in den Aktivitäten der Friedensgemeinschaft Jena fand. Bedeutungsvoll war ebenso sein Engagement, mit dem er nach seiner Zwangsausbürgerung 1983 von West-Berlin aus die DDR-Opposition unterstützte.

Roland Jahn wurde am 14. Juli 1953 in Jena geboren. Seine Mutter war als Buchhalterin an der Universität in Jena tätig, sein Vater als Konstrukteur im VEB Carl Zeiss Jena. Als ehrenamtlicher Sportfunktionär beim traditionsreichen Fußballklub Carl Zeiss Jena infizierte er auch Roland Jahn mit seiner Fußballbegeisterung, sodass dieser sich einige Jahre später als Nachwuchstalent beim 1. FC Carl Zeiss erfolgreich bis hin zur DDR-Junioren-Oberliga kickte.

Nach der Mittleren Reife an einer Schule mit Russisch-Spezialunterricht legte Roland Jahn 1972 das Abitur ab. Anschließend musste er als Wehrpflichtiger zur Kasernierten Bereitschaftspolizei nach Rudolstadt (Thüringen). Er wertete später die Militärzeit als schwersten Bruch in seiner Jugend. In Gewissenskonflikte stürzen ihn Übungen für Einsätze bei imaginären Studentenunruhen in seiner Heimatstadt und die Erkenntnis, dass er selbst der zu bekämpfende Feind sein könnte.

Nach seiner Entlassung kehrte Jahn 1974 nach Jena zurück. Dort opponierten immer mehr Jugendliche mit ihrer individuellen Lebensweise gegen die vom Staat verordnete Lebenseinstellung. Man traf sich privat, in den Räumen der Jungen Gemeinde, bei Wanderungen, in Lyrik- und Lesekreisen, organisierte kleine Kunstausstellungen und eigene Feste. Einige hatten Kontakte zu oppositionellen Persönlichkeiten wie *Robert Havemann, *Wolf Biermann und Jürgen Fuchs. Langsam entstand in Jena eine feste Solidargemeinschaft.

1975 begann Jahn ein Studium der Wirtschaftswissenschaften in Jena. Als er die Ausbürgerung *Wolf Biermanns 1976 kritisierte, wurde er exmatrikuliert. Er musste zur „Bewährung in die Produktion“ und arbeitete als Transportarbeiter im VEB Carl Zeiss Jena. 1978 lernte er Petra Falkenberg kennen. Gemeinsam beteiligten sie sich an der Betreuung von inhaftierten Freunden. Ihre Tochter Lina kam 1979 zur Welt. In kleinen Diskussionskreisen diskutierten sie über „Die Alternative“ von *Rudolf Bahro und andere theoretische Schriften.

Am 12. April 1981 kam Jahns zwei Tage zuvor verhafteter Freund Matthias Domaschk in der Stasi-Untersuchungshaftanstalt Gera unter bis heute nicht geklärten Umständen ums Leben. Das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) verbreitete, er habe sich mit dem eigenen Hemd erhängt. Der Tod von Matthias Domaschk wirkte wie ein Fanal für oppositionelle Aktivitäten.

Zum ersten Todestag von Domaschk schaltete Jahn eine Anzeige in der Thüringer SED-Zeitung. Bewusst doppeldeutig formulierte er: „Wir gedenken unseres Freundes Matthias Domaschk, der im 24. Lebensjahr aus dem Leben gerissen wurde.“ Unterschrift: „Seine Freunde“. Jahn schnitt die Annonce aus den Zeitungen aus und klebte diese in der darauffolgenden Nacht im Zentrum von Jena an vielen Stellen an. Ein enger Freund, der Bildhauer Michael Blumhagen, fertigte zudem eine Skulptur zum Gedenken an Domaschk und stellte diese zu Ostern 1982 auf dem Friedhof auf. Heimlich will das MfS die Plastik verschwinden lassen, doch Jahn kann den Abtransport fotografieren. Die Bilder gingen über den Schriftsteller Lutz Rathenow, den Jahn schon seit seiner Schulzeit kannte und der inzwischen in Ost-Berlin wohnte, und einen in der DDR akkreditierten westdeutschen Journalisten über die Grenze zu Jürgen Fuchs nach West-Berlin. Sie wurden wie andere Fotos aus Jena in westdeutschen Magazinen veröffentlicht.

In den Jahren 1982/83 wuchs auch in Jena der Protest gegen die zunehmende Militarisierung der DDR und die Atomraketenstationierung in Ost und West. Die Jugendlichen versuchten, ihre Forderungen öffentlich zu machen. Postkarten wurden als Flugblätter genutzt und im ganzen Land verbreitet. Man gab Informationen an Jenenser, die in West-Berlin lebten, oder direkt an Westkorrespondenten weiter: „Wir schaffen Öffentlichkeit. Von Jena direkt in die Tagesschau und wieder zurück nach Jena und in die ganze DDR.“ Bei einem der zahlreichen Verhöre durch Polizei und MfS wurde Jahn zu verstehen gegeben: „Du bist wie Gift! Gift gehört in den Giftschrank, und der muss abgeschlossen werden.“ Neben dem Berliner Appell von *Rainer Eppelmann und *Robert Havemann und dem Friedensforum an der Dresdener Frauenkirche erzielten die Jenaer Aktivitäten die größte öffentliche Aufmerksamkeit in der DDR.

Am 1. Mai 1982 ging Roland Jahn zur alljährlich stattfindenden offiziellen Maiparade. Er hatte die eine Gesichtshälfte als Hitler und die andere als Stalin geschminkt und frisiert und nahm so neben der SED-Tribüne stehend die Parade mit ab. Sein Freund Manfred Hildebrandt fotografierte ihn in dieser Maskerade. Das Foto wurde als Postkarte verbreitet.

Monatelang fuhr Jahn mit einem polnischen Nationalfähnchen am Fahrrad durch Jena. Als Reaktion auf das Kriegsrecht in Polen trug das Fähnchen die polnische Aufschrift „Solidarität mit dem polnischen Volk“. Am 1. September 1982 wurde er wegen „Missachtung staatlicher Symbole“ verhaftet. Nach fünf Monaten Isolationshaft folgte im Januar 1983 die Verurteilung zu 22 Monaten Freiheitsstrafe wegen „öffentlicher Herabwürdigung der staatlichen Ordnung“ und „Missachtung staatlicher Symbole“. Unter dem Druck der Gefängnissituation gelang es seinem Anwalt, ihn zu überreden, die Ausreise in den Westen zu beantragen. Hintergrund für diese Entscheidung war zugleich die Entwicklung in Jena. Im Januar und Februar 1983 fand dort eine Verhaftungswelle statt, von der auch Petra Falkenberg betroffen war. Allen drohte eine mehrjährige Haftstrafe. Freunde, besonders Lutz Rathenow, organisierten Solidaritätsaktionen und Proteste im In-und Ausland. Amnesty International und Vertreter der westdeutschen Grünen und der bundesdeutschen Friedensbewegung meldeten sich zu Wort. Im ARD-Magazin „Report“ wurde ein Beitrag über die sich zuspitzende Situation in Jena gesendet. Im Februar 1983 sah sich die SED-Führung gezwungen, fast alle aus der Haft in die DDR zu entlassen. Die unverhoffte Freilassung gab Jahn wieder Auftrieb. Er widerrief den Ausreiseantrag mit der Erklärung, dieser sei ihm unter Druck abgenötigt worden.

Tom Sello
Letzte Aktualisierung: 09/16