Zu einer der bekanntesten Oppositionellen avancierte in den 80er Jahren Ulrike Poppe. Mutig ging sie einen dornenreichen Weg. Dabei zeigte sie sich dem Staat gegenüber gesprächsbereit, was nicht immer allen Mitstreiterinnen und Mitstreitern gefiel. Das selbst erlittene, noch mehr aber das anderen vom Staat zugefügte Unrecht ließ sie in der Gewissheit leben, dass allen Widrigkeiten zum Trotz ihr Recht auf Wahrheit, Anstand, Selbstbestimmung und Würde unumstößlich ist.

Ulrike Poppe wurde 1953 in Rostock geboren und wuchs in wohlsituierten Verhältnissen in Hohen-Neuendorf bei Berlin auf. Ihr Vater arbeitete als Historiker zunächst am neu gegründeten Museum für Deutsche Geschichte in Berlin, später an der Akademie der Wissenschaften. Ihre Mutter hatte Slawistik und Anglistik studiert und arbeitete als Übersetzerin.

Poppe legte 1971 in Oranienburg bei Berlin das Abitur ab. Schon während ihrer Schulzeit begann sich bei ihr eine kritische Einstellung zum System herauszubilden. Dies hing zunächst mit Erfahrungen zusammen, die den Widerspruch zwischen offiziell propagierter Jugendkultur und eigenen Vorstellungen offenbarten. Die Musik, die Kleidung, die Haarfrisuren und die Verhaltensweisen vieler Jugendlicher passten nicht ins offizielle Jugendbild, deshalb kam es auch bei ihr bereits in der Schulzeit zu Auseinandersetzungen. Auf diese Weise sammelte sie erste Erfahrungen, wie der Staat mit eigenständigen politischen Anschauungen umging. Gemeinsam mit einer Mitschülerin und einem Mitschüler schrieb sie 1967 einen Brief an die Volkskammer, der auch Fragen in Bezug auf die Wiedervereinigung Deutschlands enthielt. Statt einer Antwort gab es Aussprachen, in denen die politische Einstellung der drei Schreiber hinterfragt wurde. Die beiden Schülerinnen durften an der Schule bleiben, weil ihre Eltern in der SED waren und es deshalb Grund zu der Annahme gab, sie seien noch nicht für die Sache des Sozialismus verloren. Dagegen flog der Mitschüler, obwohl er Klassenbester war, von der Schule: Seine Eltern waren nicht in der Partei, und er war zudem in der Jungen Gemeinde aktiv. Diese konkrete Erfahrung, aber auch der Prager Frühling und die westliche antiautoritäre Studentenbewegung prägten Poppe politisch.

Als Ulrike Poppe 1971 nach Berlin kam, um an der Humboldt-Universität ein Lehrerstudium für Kunsterziehung und Geschichte aufzunehmen, kam sie in Kontakt mit einer „Szene“, in der sich junge Menschen bewegten, die nicht bereit waren, sich der herrschenden und verordneten Norm zu unterwerfen. Ihr wurde zudem bewusst, dass historische Tatsachen und Zusammenhänge für die Legitimation der herrschenden Ordnung und ihrer Repräsentanten zurechtgestutzt, verzerrt oder verfälscht wurden. Sie las verbotene Bücher, diskutierte darüber in verschiedenen Kreisen und lernte soziale und kulturelle Realitäten kennen, die weder in den offiziellen Medien noch in Lehrbüchern eine Widerspiegelung fanden.

1973 brach sie ihr Studium ab, weil sie zum einen erkannt hatte, dass sie diesem System nicht als Lehrerin dienen konnte und weil sie zum anderen Psychologie studieren wollte. Der Versuch eines Fachrichtungswechsels war ihr aufgrund eines Vetos der FDJ verwehrt worden. Anschließend arbeitete sie zunächst in einem Durchgangsheim für Kinder und Jugendliche und ab 1974 in einer geschlossenen Abteilung des Krankenhauses Charité als Hilfspflegerin. In beiden Arbeitsbereichen wurde sie mit tabuisierten bzw. verleugneten Seiten des real existierenden Sozialismus konfrontiert. Der staatliche Umgang mit milieugeschädigten Kindern bzw. mit Opfern von innerfamiliärer Gewalt, den Poppe im Kinderheim kennenlernte, war nicht nur deprimierend. Ihr wurde bewusst, dass ein System, das derart menschenverachtend mit den Schwächsten der Gesellschaft verfährt, im Kern krank sein musste. Zwar steckte für sie im Kommunismus immer noch eine Befreiungsidee, aber in der SED-Führung glaubte sie, die Verräter des Sozialismus erkannt zu haben. Zugleich bewirkten diese Erfahrungen eine zunehmende Distanz zu den erlernten ideologischen Grundmustern.

Mitte der 70er Jahre lernte sie Gerd Poppe kennen, den sie 1978 heiratete. Durch ihn kam sie auch mit anderen Oppositionellen, darunter Robert Havemann, in Kontakt. Ab 1976 arbeitete sie am Berliner Museum für Deutsche Geschichte. Zusammen mit anderen Kollegen organisierte sie in den dortigen Räumen kulturelle Veranstaltungen, die bald von Hunderten Teilnehmern besucht wurden. Allerdings sah die Parteileitung des Museums darin bald „staatsfeindliche Aktionen“ und reagierte mit Verbot. Poppe geriet daraufhin in erhebliche Konflikte mit ihrem Arbeitgeber.

Zur gleichen Zeit kam sie mit vorwiegend konspirativ arbeitenden Zirkeln in Kontakt, in denen neue Gesellschaftsmodelle diskutiert wurden. Daneben gab es aber auch Kreise, in denen konkrete Themen wie Erziehung, Bildung, Wohnungspolitik und politische Mitsprache in der DDR erörtert wurden. Diese erschienen ihr sympathischer und produktiver, weil sie weniger männerdominiert, abgeschottet und intellektuell überheblich waren. Diese Kreise begannen Ende der 70er Jahre, sich mehr und mehr nach außen zu öffnen und wurden Teil der sich formierenden unabhängigen Friedensbewegung.

Zusammen mit ihrem Mann Gerd Poppe organisierte sie in ihrer Wohnung 1980–83 Lesungen von kritischen oder auch verfolgten Literaten. Diese zuerst vom Dichter Frank-Wolf Matthies organisierten Lesungen hatten in Berlin mittlerweile Tradition, die das Ehepaar Poppe fortführte, als Matthies in den Westen ging. Außerdem organisierten die Poppes (1979 und 1981 wurden ihre Kinder geboren) zusammen mit anderen Müttern und Vätern einen Kinderladen in Berlin-Prenzlauer Berg, wo sie wohnten. Damit schufen sie eine Möglichkeit, ihre Kinder unabhängig von staatlicher Einflussnahme zu betreuen und berufstätig zu bleiben. Der Kinderladen bestand von Anfang 1981 bis zum 14. Dezember 1983, ehe er auf staatliche Anweisung zerstört und verboten wurde.

Ilko-Sascha Kowalczuk
Letzte Aktualisierung: 10/17