Historiker, Erzieher; führender Vertreter der sogenannten Revisionisten der 60er Jahre, einer der Autoren des „Offenen Briefes an die Mitglieder der Partei“; wichtiger Repräsentant der linksliberalen (sozialdemokratischen) Strömung innerhalb der demokratischen Opposition; einer der aktivsten Mitstreiter des Komitees zur Verteidigung der Arbeiter (KOR) und des Komitees für Gesellschaftliche Selbstverteidigung „KOR“ (KSS „KOR“); ab 1978 Mitarbeit in der Gesellschaft für Wissenschaftliche Kurse; in den 80er Jahren einer der wichtigsten Solidarność-Berater; Pseudonyme: „Maciej Gajka“, „Elżbieta Grażyna Borucka“.

Jacek Kuroń wurde 1934 in Lemberg (heute Lwiw/Ukraine) geboren. Sein Großvater gehörte der Kampforganisation der Polnischen Sozialistischen Partei (PPS) an, sein Vater war Mitglied des Bundes der Unabhängigen Sozialistischen Jugend in der PPS. 1949–53 war Jacek Kuroń Mitglied des Jugendverbandes Bund der Polnischen Jugend (Związek Młodzieży Polskiej; ZMP), 1952/53 war er dort als Mitarbeiter beschäftigt. Im November 1953 wurde er wegen kritischer Äußerungen über die Organisation sowohl aus dem Jugendverband als auch aus der Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei ausgeschlossen. 1956 trat er erneut in die Partei ein, 1964 schloss er das Studium der Geschichte an der Universität Warschau ab.

1955 war Kuroń einer der Initiatoren der sogenannten „Walteristen“ (oder „rote Pfadfinder“) innerhalb der Pfadfinderorganisation des staatlichen Jugendverbandes und 1956–62 leitend im reaktivierten offiziellen Polnischen Pfadfinderverband (Związek Harcerstwa Polskiego; ZHP) tätig. 1957–61 beteiligte er sich im Rahmen des Pfadfinderverbandes an der Gründung des General-Walter-Stamms, der nach General Karol („Walter“) Świerczewski, einem Kommandeur im Spanischen Bürgerkrieg, benannt war. Kuroń war Stammführer, der General-Walter-Stamm wurde jedoch 1961 aufgelöst. Einer der Gründe hierfür dürften den Schulbehörden gegenüber vertretene Konzeptionen gewesen sein, in denen Autonomie und Selbstverwaltung hervorgehoben wurden, sowie die Texte des „kämpfenden Theaters“ der Walteristen, in denen sie die politischen Verhältnisse kritisierten. Kuroń arbeitete daraufhin in der Redaktion der Pfadfinderzeitschrift „Drużyna“ (Mannschaft). Ihm wurde im Dezember 1963 jedoch mit der Begründung gekündigt, er verwende falsche Erziehungskonzeptionen.

Zur Jahreswende 1956/57 trat Kuroń Mitglied dem staatlichen Revolutionären Jugendverband (Rewolucyjny Związek Młodzieży; RZM) bei und beteiligte sich an der Gründung des Sozialistischen Jugendverbandes (Związek Młodzieży Socjalistycznej; ZMS) an der Universität Warschau. 1962 schloss er sich dem von Karol Modzelewski an der Warschauer Universität ins Leben gerufenen „Diskussionsklub“ an und wurde zu einem von dessen aktivsten Mitgliedern. Nach der Auflösung des Klubs im Jahre 1963 erarbeitete er gemeinsam mit Freunden eine kritische Analyse der volkspolnischen Gesellschaftsordnung. Als Ergebnis erschien eine gemeinsam mit Karol Modzelewski verfasste Broschüre, die für die geheime Weiterverbreitung vorgesehen war. Am 14. und 15. November 1964 wurde die gesamte Gruppe von der Staatssicherheit verhaftet. Nach 48 Stunden kamen zwar alle Inhaftierten wieder auf freien Fuß, sie waren fortan jedoch politischen Repressionsmaßnahmen des Staates ausgesetzt. So wurde Jacek Kuroń erneut aus der Partei ausgeschlossen und man entzog ihm sein Doktorandenstipendium an der Warschauer Universität.

Jacek Kuroń und Karol Modzelewski rekonstruierten den beschlagnahmten Text ihrer Broschüre und verteilten diesen am 19. März 1965 unter dem Titel „Offener Brief an die Mitglieder der Partei“ (List otwarty do członków PZPR) in 16 Exemplaren an der Universität Warschau. Je ein Exemplar ging an die Hochschulleitungen von Partei und Jugendverband. In diesem „Offenen Brief“ beschrieben sie einen Konflikt zwischen der Arbeiterklasse und der zentralen Politbürokratie und entwarfen die Vision einer Gesellschaft, in der die Herrschaft von Arbeiterräten ausgeübt werden würde. Die beiden Verfasser wurden am 20. März 1965 verhaftet und im Juli verurteilt. Kuroń erhielt eine dreijährige Haftstrafe.

Andrzej Friszke, Ryszard Żelichowski
Aus dem Polnischen von Gero Lietz
Letzte Aktualisierung: 07/16