Elektriker, Arbeiterführer, Friedensnobelpreisträger, Staatspräsident; Teilnehmer an den Protesten im Dezember 1970, ab August 1978 in den Freien Gewerkschaften der Küste; im August 1980 Anführer des Streiks in der Danziger Lenin-Werft und Unterzeichner der Danziger Vereinbarung; 1980–90 Vorsitzender der Solidarność; 1990–95 Staatspräsident der Republik Polen.

Lech Wałęsa wurde 1943 in Popowo bei Lipno in der heutigen Woiwodschaft Kujawien-Pommern geboren. Er machte eine Berufsausbildung und arbeitete ab 1961 als Elektromechaniker in der Staatlichen Maschinen-Traktoren-Station in dem ebenfalls unweit von Lipno gelegenen Łochocin. 1967–76 war er Elektriker in der Danziger Lenin-Werft.

1970 war Wałęsa einer der Anführer des Streiks, der am 14. Dezember in der Lenin-Werft ausbrach. Anlass der Arbeitsniederlegung waren von der Regierung angekündete Preiserhöhungen (siehe Dezember 1970). Am 15. Dezember nahm er an einer Protestdemonstration teil und wurde am 16. Dezember nach Beendigung des Streiks verhaftet. Nachdem er vier Tage festgehalten worden war, ging er nicht näher bekannte Verpflichtungen gegenüber dem Staatssicherheitsdienst ein. In seinen Erinnerungen „Droga nadziei“ (Kraków 1990; Deutsch: „Ein Weg der Hoffnung“) schreibt er dazu: „Die Wahrheit ist, dass ich aus dieser Konfrontation nicht ganz unbefleckt hervorging. – Sie stellten die Bedingung: Unterschreiben! Und dann habe ich unterschrieben.“ Im Januar 1971 nahm er als Delegierter seiner Abteilung an einem Treffen mit dem neuen Ersten Sekretär der Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei (Polska Zjednoczona Partia Robotnicza; PZPR), Edward Gierek, teil, dem er gemeinsam mit anderen einen Vertrauensvorschuss erteilte.

Anfang der 70er Jahre war Wałęsa für den offiziellen Arbeiterausschuss tätig. Als Arbeitsschutzbeauftragter der Gewerkschaft setzte er sich für die Bereitstellung von Arbeitsschutzbekleidung und für andere soziale Belange ein. Als er die Gewerkschaften und die Leitung der Werft kritisierte, wurde er 1976 entlassen. Von 1976 bis 1979 arbeitete er als Elektromechaniker im Reparaturwerk „Zremb“, anschließend bis Februar 1980 in dem Danziger Betrieb „Elektromontaż“.

Bereits im März 1978 war Wałęsa den Freien Gewerkschaften der Küste (Wolne Związki Zawodowe Wybrzeża; WZZ Wybrzeża) beigetreten. Am 9. Juli 1978 verhaftete ihn die Miliz zum ersten Mal, weil er vor Kirchen die unabhängige Zeitschrift „Robotnik“ (Arbeiter) verteilt hatte. Im Dezember 1980 nahm er an einer Kranzniederlegung zum Gedenken an die Opfer der Ereignisse im Dezember 1970 teil. Daraufhin wurde er zu einer Geldstrafe von 5.000 Złoty verurteilt und verlor erneut seine Arbeit. Im Januar 1979 wurde er Mitglied der Redaktion der Zeitschrift „Robotnik Wybrzeża“ (Arbeiter der Küste) der Freien Gewerkschaften. Er pflegte eine enge Zusammenarbeit mit den Aktivisten des Komitees zur Verteidigung der Arbeiter (Komitet Obrony Robotników; KOR), unter anderen mit Bogdan Borusewicz, Andrzej Gwiazda, Jacek Kuroń und Jan Lityński. Wałęsa verbreitete oppositionelle Schriften und trug zur Gründung von Ortsgruppen der Freien Gewerkschaften der Küste bei. Im Juli 1979 unterschrieb er – zusammen mit ein paar Dutzend anderen Arbeiteraktivisten aus dem ganzen Land – die Charta der Arbeiterrechte (Karta Praw Robotniczych), eine Art Programm für eine unabhängige Gewerkschaftsbewegung. Am Jahrestag der Ereignisse im Dezember 1970 war Wałęsa Hauptredner einer Kundgebung, die am 18. Dezember 1979 vor dem Werktor II der Danziger Werft stattfand. Er gelobte damals, dass genau an diesem Ort schon ein Jahr später ein Denkmal an die 1970 ermordeten Arbeiter erinnern werde. Am 3. Mai 1980 trug er auf einer Demonstration der Bewegung Junges Polen (Ruch Młodej Polski; RMP) ein Transparent mit der Aufschrift „Freiheit-Gleichheit-Unabhängigkeit“ (Wolność-Równość-Niepodległość). Wiederholt wurde er festgenommen, für 48 Stunden festgehalten und verlor immer wieder seine Arbeit.

Als am 14. August auf der Danziger Lenin-Werft ein Streik ausbrach, wurde Wałęsa zu dessen Anführer. Er war zu dieser Zeit kein Werftangehöriger mehr, weshalb eine der Forderungen der Streikenden lautete, ihn wieder einzustellen. Als der Werftdirektor am 16. August alle Forderungen akzeptiert und auch der Arbeit freier Gewerkschaften zugestimmt hatte, brach Wałęsa den Streik ab. Angesichts der Ausweitung der Streikbewegung auf andere Betriebe änderte er jedoch nach Zureden von Bogdan Borusewicz, Alina Pieńkowska und Anna Walentynowicz seine Entscheidung und verkündete die Fortsetzung des Streiks als sogenannter Solidaritätsstreik. In der Nacht vom 16. zum 17. August formierte sich in der Werft das Überbetriebliche Streikkomitee (Międzyzakładowy Komitet Strajkowy; MKS) mit Lech Wałęsa an der Spitze. Formuliert wurde eine Liste mit 21 gemeinsamen Forderungen; an erster Stelle wurden von Partei und Arbeitgebern unabhängige Gewerkschaften verlangt.

Während der Auguststreiks wurde Wałęsa zum unangefochtenen Streik- und Arbeiterführer. Er war es, der die wichtigsten Entscheidungen traf. So setzte er einen Expertenausschuss ein, dessen Vorsitz Tadeusz Mazowiecki hatte, er führte Gespräche mit der Regierungsseite. Es waren seine improvisierten Reden vom Werfttor Nr. II, die die Werftarbeiter ermutigten und dem Protest eine gesamtpolnische Dimension verliehen. Am 31. August unterzeichneten er und Vizepremier Mieczysław Jagielski die Danziger Vereinbarung, in der die Staatsführung ihre Zustimmung zur Entstehung unabhängiger Gewerkschaften gab.

Am 17. September gründeten die Vertreter der Überbetrieblichen Gründungskomitees aus dem ganzen Land die neue Gewerkschaft Solidarność (Solidarität), Wałęsa wurde Vorsitzender von deren Landesverständigungskommission (Krajowa Komisja Porozumiewawcza; KKP).

Den ganzen Herbst über war Wałęsa viel im Land unterwegs. Als charismatischer Arbeiterführer, der die Massen zu begeistern verstand, erlangte er schnell große Popularität. In weiteren Gesprächen mit der Staatsmacht bestätigte er seinen Führungsanspruch. Die Strategie für die von ihm geführten Verhandlungen waren Flexibilität und Pragmatismus gepaart mit Treue zu den wichtigsten Zielen der Bewegung. 1981 reiste er mehrfach ins Ausland; er war im Vatikan, wo er mit einer ganzen Solidarność-Delegation von Papst Johannes Paul II. empfangen wurde, in Japan und Frankreich. Zu seinen wichtigsten Aktivitäten gehörte neben Gesprächen und Verhandlungen mit der Regierung die Schlichtung lokaler Streiks. Dabei musste er immer wieder versuchen, die heftig vorgetragenen Forderungen in den Rahmen einer sich selbst beschränkenden Revolution einzupassen.

Entgegen den Propaganda-Attacken der Staatsführung war Wałęsa kein Radikaler. In seiner gemäßigten Einstellung wurde er von seinen engsten politischen Mitstreitern bestärkt: von Tadeusz MazowieckiBronisław Geremek, Wiesław Chrzanowski, Władysław Siła-Nowicki und auch von Primas Stefan Wyszyński, der Umsichtigkeit und Mäßigung anmahnte. Wałęsa war zugleich ein sehr religiöser Mensch. Er besuchte jeden Tag die heilige Messe und demonstrierte seinen Glauben in aller Öffentlichkeit durch das Tragen eines Bildes der Schwarzen Madonna von Tschenstochau am Revers.

In den Tagen der sogenannten Bromberger Krise, die im März 1981 durch das gewalttätige Vorgehen der Miliz gegen Solidarność-Aktivisten ausgelöst worden war, stellte er sich gegen andere Solidarność-Führer, als er einen Kompromiss mit der Staatsführung aushandeln und so einen Generalstreik abwenden konnte. Am 2. Oktober 1981 wurde er auf dem Ersten Landeskongress der Gewerkschaft trotz Gegenwinds vonseiten radikaler Aktivisten zum Vorsitzenden der Solidarność gewählt. Am 4. November 1981 traf er sich mit dem Ersten ZK-Sekretär Wojciech Jaruzelski und dem neuen polnischen Primas Józef Glemp, in der Absicht, einen Kompromiss auszuhandeln. Die Begegnung verlief ergebnislos, da die kommunistische Führung bereits dazu entschlossen war, in Polen das Kriegsrecht auszurufen. Kurz bevor dies geschah, attackierte Wałęsa die Kommunisten in den ersten Dezembertagen 1981 heftig und machte sie für die Konfrontation verantwortlich.

In der Nacht vom 12. auf den 13. Dezember 1981 wurde Wałęsa interniert. Man brachte ihn zunächst in ein Gästehaus der Regierung in Chylice unweit von Warschau, anschließend nach Otwock. Ihm stand ein Radio zur Verfügung, Frau und Kinder durften ihn besuchen. Die Machthaber hofften auf seine Mitwirkung bei der Etablierung einer neuen, staatlich kontrollierten Solidarność. Wałęsa wies dieses Ansinnen zurück, er war nicht gewillt, zu diesen Bedingungen mit den Herrschenden zu kooperieren, obwohl er weiterhin einen Kompromiss nicht ablehnte. Im Mai 1982 verlegte man ihn nach Arłamów im Bieszczady-Gebirge im äußersten Südosten Polens. Im August informierte man ihn über die Pläne, die Gewerkschaft Solidarność zu verbieten und bot ihm einen hohen staatlichen Posten an. Wałęsa wies auch diesen Vorschlag zurück. Zugleich war er weit davon entfernt, radikale Forderungen zu unterstützen. So reagierte er zurückhaltend auf den Aufruf der nun im Untergrund agierenden Solidarność zu Streiks, Kundgebungen und Demonstrationen. „Ich hatte die Befürchtung, diese weiteren Proteste würden zu nichts außer zu Verhaftungen einer immer größeren Anzahl von Aktivisten führen. Dadurch wäre die Gefahr eines sinkenden Einflusses der Solidarność auf die Gesellschaft entstanden“, schrieb er in seinen Erinnerungen.

Das Regime wollte die Popularität und das Ansehen Wałęsas mit allen Mitteln zerstören, und verbreitete zu diesem Zweck fingierte Anschuldigungen, die nicht nur politischer, sondern auch krimineller und sittlicher Art waren. Mithilfe gefälschter Akten und Dokumente versuchte man ihn als Zuträger der Staatssicherheit zu diskreditieren. Diese Aktivitäten erzielten eine gewisse Wirkung und verhinderten beispielsweise 1982 die Verleihung des Friedensnobelpreises an ihn.

Am 14. November 1982 wurde Wałęsa aus der Internierungshaft entlassen. Die Polnische Presseagentur PAP meldete, der Vorsitzende der ehemaligen Solidarność sei jetzt „Privatperson“. Einerseits hatte Wałęsa nicht vor, auf sein öffentliches Wirken zu verzichten und von den Zielen der Solidarność abzurücken, andererseits wollte er aber auch weder in den Untergrund gehen noch die offene Konfrontation mit der Regierung suchen. In den folgenden Jahren balancierte er – wie er es ausdrückte – „auf dem schmalen Grat zwischen gesellschaftlicher Isolation und Untätigkeit und dem Gefängnis“. Er reiste durchs Land, traf sich in Kirchen mit Solidarność-Aktivisten, leistete Unterstützung bei politischen Prozessen und erteilte ausländischen Medien Interviews. Die Machthaber versuchten, seine Aktivitäten so weit wie möglich zu stören, ließen ihn schikanieren und rund um die Uhr bespitzeln, aber sie konnten sich nicht dazu entschließen, ihn erneut zu inhaftieren.

Jan Skórzyński
Aus dem Polnischen von Gero Lietz
Letzte Aktualisierung: 07/16