Bulgarien

Ljubomir Sobadschijew

Ljubomir Sobadschijew, 1944–2002

Ljubomir Sobadžiev

Любомир Собаджиев

Bürgerrechtler, aufgrund seines zivilgesellschaftlichen Engagements mehrfach in politischer Haft.

Ljubomir Sobadschijew wurde 1944 in der Stadt Russe geboren. Nach seinem Abitur in Russe diente er drei Jahre lang in der Kriegsmarine. Schon in jungen Jahren hatte er eine kritische Haltung zum Totalitarismus und dessen Unterdrückungssystem. So lehnte er es 1962 ab, in einem Prozess gegen einen von der Geheimpolizei verfolgten Offizier der bulgarischen Armee als Zeuge auszusagen.

1969 gründete Sobadschijew gemeinsam mit Stefan Nefedow, Scherminal Tschiwikow, Christo Jordanow und anderen eine konspirative Gruppe, die getarnt als Mitglieder der offiziellen Jugendorganisation der Kommunistischen Partei in den Ortschaften zwischen Russe und Warna Flugblätter verbreiteten. Darauf stellten sie das totalitäre Regime und die Einschränkung der Bürgerrechte an den Pranger: „Wir erklären, dass es in unserem Land keine persönliche Freiheit und keine Meinungs- oder Pressefreiheit gibt. […] Wir verurteilen die Politik und die Herrschaft der Bulgarischen Kommunistischen Partei und fordern, das von ihr dem Land aufgezwungene Einparteiensystem durch ein Mehrparteiensystem zu ersetzen.“ Die Mitglieder der Gruppe wurden gefasst und verurteilt. Sobadschijew selbst erhielt eine fünfjährige Haftstrafe.

Nach der Entlassung aus dem Gefängnis nahm Sobadschijew seine gegen das System gerichtete Tätigkeit wieder auf. Zusammen mit einigen anderen Mitstreitern verbreitete er das gesamte Jahr 1975 hindurch Flugblätter, auf denen die Preis- und Versorgungspolitik der Regierung kritisiert wurde. Er versuchte auch, eine illegale Zeitschrift herauszugeben, allerdings erfolglos. Die Behörden verurteilten ihn schließlich wegen „terroristischer Aktivitäten und Widerstandes gegen die Staatsgewalt“ zu viereinhalb Jahren Gefängnis. Allein im Zeitraum 1969–78 hatten sie gegen ihn unter verschiedenen Vorwänden vier Ermittlungsverfahren geführt. Dreimal wurde Sobadschijew verurteilt, wodurch er fast sieben Jahre im Gefängnis verbrachte. Ab 1976 war Sobadschijew Kurier, Korrespondent und Vertreter von Amnesty International in Bulgarien. Die internationale Menschenrechtsorganisation nahm ihn ab 1978 unter ihre besondere Obhut und erklärte ihn 1980 zum „Häftling des Jahres“.

Nach seiner erneuten Haftentlassung 1981 ließ Sobadschijew größere Vorsicht walten, kooperierte jedoch weiter mit Amnesty International. Er traf sich mit deren Vertretern, begleitete sie auf ihren Reisen durch Bulgarien und organisierte Begegnungen mit anderen ehemaligen politischen Gefangenen. Regelmäßig versorgte er ausländische Stellen mit Informationen zur Situation in Bulgarien. 1988 war er einer jener Bürgerrechtler, die in der Ortschaft Oborischte im Balkangebirge eine oppositionelle Zusammenkunft planten. In dieser Zeit nahm ihn der Staatssicherheitsdienst mehrfach fest und drohte ihm mit einem Gerichtsprozess und Gefängnis.

Am 25. Dezember 1988 initiierte Sobadschijew in Russe die Gründung des Verbandes der Bürgerlichen Initiative, zu dessen Vorsitzenden er gewählt wurde. Leitspruch dieser Initiative war: „Gesellschaftlicher Umbau und Demokratisierung müssen von der Basis kommen, aus der Initiative der Bürger erwachsen.“ Bereits kurz darauf wurden die Mitstreiter der Initiative verhaftet. Gemeinsam mit Sabri Chamdejew, einem anderen Bürgerrechtler, hielt die Geheimpolizei Sobadschijew über einen Monat lang in ihrer Untersuchungshaftanstalt in Sofia fest. Während dieser Zeit wiesen die Behörden die aktivsten Mitglieder der Unabhängigen Gesellschaft zum Schutz der Menschenrechte, der auch Sobadschijew angehörte, aus Bulgarien aus. Im Frühjahr 1989 musste auch er das Land verlassen und lebte ab April 1989 hauptsächlich in der Bundesrepublik, aber auch kurz in den Niederlanden und Belgien.

Auch im aufgezwungenen Exil blieb Sobadschijew aktiv. Er sprach in Radiosendungen von Radio Freies Europa und der Deutschen Welle, schrieb für die Presse, wobei er nicht nur detaillierte Informationen zum kommunistischen Regime in Bulgarien lieferte, sondern auch zum organisierten Widerstand der Bürger gegen die Herrschenden aufrief.

Im Juli 1989 kehrte er nach Bulgarien zurück und gründete das „Komitee 273“. Dieses war nach dem Strafrechtsparagrafen benannt, den das Regime heranzog, wenn es Oppositionelle verurteilen wollte, die sich auf Flugblättern, Graffitis oder politischen Witzen kritisch geäußert hatten. Das Komitee 273 informierte auch im Westen regelmäßig über Menschenrechtsverletzungen, staatliche Verfolgungsmaßnahmen, über den sogenannten Prozess der Wiedergeburt in Bulgarien sowie über die Vertreibung der bulgarischen Türken. Angesichts dieser Informationen schufen einige westliche Radiosender spezielle Ressorts, die Bulgarien gewidmet waren.

Sobadschijew war an der Gründung der Union Demokratischer Kräfte beteiligt und arbeitete eng mit deren Vorsitzenden #Schelju Schelew zusammen. Nach dem politischen Umbruch am 10. November 1989 kandidierte er für die verfassungsgebende Große Nationalversammlung Bulgariens und blieb als Vorsitzender der Bewegung der Bürgerlichen Initiative gesellschaftspolitisch engagiert.

Obwohl Sobadschijew ab Ende der 80er Jahre an einer unheilbaren Krankheit litt, setzte er auch im demokratischen Bulgarien seine publizistische Tätigkeit fort und engagierte sich weiter für die Stärkung der Zivilgesellschaft.

Ljubomir Sobadschijew starb 2002 in Sofia.

Gantscho Sawow
Aus dem Polnischen von Gero Lietz
Letzte Aktualisierung: 06/17