Russland

Bidija Dandaron

Bidija Dandaron, 1914–74

Bidija Dandarovič Dandaron

Бидия Дандарович Дандарон

Orientalist, buddhistischer Aktivist und religiöser Schriftsteller.

Bidija Dandaron wurde 1914 in Kischinga in der sibirischen Teilrepublik Burjatien geboren. Sein Vater war Schüler des Gründers der buddhistischen Balagatski-Bewegung, die als Teil des burjatischen Lamaismus zu Beginn des 20. Jahrhunderts entstanden war und sich die Befreiung des Buddhismus von „Verzerrungen“ zum Ziel gesetzt hatte. Die Anhänger der Balagatski-Bewegung legten Wert auf die strenge Einhaltung vorgeschriebener Rituale sowie auf Meditation. Bidija Dadaron war selbst in der Kindheit Mönchsschüler einer als Dazan bezeichneten buddhistischen Klosterschule in Kischinga. Die Bewegung wurde 1919 zerschlagen; ihren Anhängern wurde vorgeworfen, in der Baikal-Region einen „theokratischen Staat“ errichten zu wollen.

Von 1934 bis 1937 studierte Dandaron am Leningrader Institut für Flugzeugbau und war gleichzeitig Hörer an der Fakultät für Orientalistik der Leningrader Universität, wo er mit herausragenden russischen Buddhismusforschern Bekanntschaft schloss. 1937 wurde er unter dem Verdacht, eine „panmongolische nationalistische Gruppe“ gründen zu wollen, verhaftet und vom Militärgericht des Leningrader Wehrbezirks nach Artikel 58, Paragraf 10 Strafgesetzbuch der RSFSR und Artikel 58, Paragraf 11 Strafgesetzbuch (siehe Artikel 72 Strafgesetzbuch der RSFSR) zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt. Die Gefängnisstrafe wurde bald darauf in Lagerhaft umgewandelt.

Bis 1943 wurde Dandaron im „Baikal-Amur-Besserungsarbeitslager“ festgehalten. Nach seiner Freilassung ließ er sich im Tomsker Gebiet nieder, wo er als Ingenieur arbeitete. Im November 1948 wurde er erneut verhaftet und im August 1949 verurteilte ihn eine Sonderkommission der sowjetischen Staatssicherheit nach Artikel 58, Paragraf 1 Strafgesetzbuch der RSFSR, nach Artikel 58, Paragraf 10 Strafgesetzbuch der RSFSR (Absatz 1) und nach Artikel 58, Paragraf 11 (siehe Artikel 72 Strafgesetzbuch der RSFSR) zu zehn Jahren Lagerhaft. Die Strafe verbüßte Dandaron diesmal in den Lagern des Gebietes Molotow, dem heutigen Perm und in den mordwinischen Lagern. Im Juni 1956 wurde er durch eine Entscheidung der Kommission des Obersten Sowjets der UdSSR freigelassen und im Dezember rehabilitiert. Bezüglich des Verfahrens von 1937 wurde die Rehabilitierung 1958 erlassen.

Ab 1957 lebte Dandaron in Ulan Ude, der Hauptstadt der russischen Teilrepublik Burjatien, wo er als Wissenschaftler am Burjatischen Institut für Gesellschaftswissenschaften der Akademie der Wissenschaften der UdSSR arbeitete. Seine mehr als 30 Publikationen aus den Jahren 1956 bis 1972 zum Thema Buddhismus und tibetanische Kultur brachten ihm internationale Anerkennung ein. Juri Rerich, der die Sektion Buddhismus am Institut für Orientalistik der Akademie der Wissenschaften der UdSSR leitete, hielt Dandaron für den weltweit führenden Buddhismus-Experten.

In den 60er Jahren versuchte Dandaron, die Balagatski-Bewegung wiederzuerwecken, indem er die Rolle des geistigen Oberhaupts übernahm. Seine Anhänger erkannten ihn als „Dharmaradscha“ (König der Lehre und der Gerechtigkeit) an und er nahm den geistlichen Namen Citta-Vajra an.

1966 richteten die Behörden erneut ihre Aufmerksamkeit auf Dandaron und seine Bewegung. Noch blieb es jedoch bei einem „prophylaktischen Gespräch“ am Institut. Zur gleichen Zeit kamen buddhistische Pilger aus dem ganzen Land zu Dandaron nach Ulan Ude, um sich den Gläubigen anzuschließen. Für die Lehren Dandarons und für seine Person interessierten sich aber auch Buddhismus-Forscher im In- und Ausland.

Am 31. August 1966 wurde Dandaron unter dem Verdacht der „Gründung und Leitung einer buddhistischen Sekte“ verhaftet. Offensichtlich waren die burjatischen Behörden wegen seiner religiösen Tätigkeit beunruhigt. Darüber hinaus wurde er von den Oberhäuptern der staatlich anerkannten lamaistischen Kirche von Burjatien für einen Sektierer gehalten.

Dandaron und seine acht Schüler, die gemeinsam mit ihm verhaftet worden waren, wurden wegen der Durchführung buddhistischer ritueller Handlungen in Wohnungen in Leningrad, im estnische Tartu, Ulan Ude und Kischinga angeklagt. Die übrigen Anklagepunkte folgten den unrühmlichen Traditionen religiöser Verfolgungen in Russland: Die Riten wären von „rituellen Orgien und Blutopfern“ begleitet worden. Außerdem wurden die Mitglieder angeklagt, Mordversuche und Angriffe auf ehemalige Mitglieder verübt zu haben, die den Kontakt mit der Gruppe abbrechen wollten. Nicht zuletzt wurden sie der vermeintlichen Verbreitung antisowjetischer Stimmungen beschuldigt.

Das Verfahren nahm enorme Ausmaße an: In verschiedenen sowjetischen Städten wurden etwa 80 Zeugen vernommen, Buddhismus-Spezialisten in Moskau, Leningrad, Vilnius und Tartu festgenommen und verhört. Vier der verhafteten Schüler von Dandaron – Orientalisten aus Ulan Ude, Vilnius und Tartu – wurden für unzurechnungsfähig erklärt und in psychiatrische Kliniken eingewiesen. Vier weitere Schüler wurden freigelassen, allerdings verloren sie die Erlaubnis, weiter wissenschaftlich zu arbeiten und Vorträge zu halten. Auch weitere Freunde und Bekannte von Dandaron in anderen Teilen der UdSSR verloren ihre Arbeit.

Im Dezember 1972 wurde Dandaron vom Gebietsgericht Ulan Ude nach Artikel 227, Absatz 1 und Artikel 147, Punkt 3 des Strafgesetzbuches der RSFSR („Betrug mit besonders schweren Folgen für das Opfer“) verurteilt. Im Prozessverlauf kam es zu erheblichen Verfahrensverletzungen und offensichtlichen Manipulationen. Das Urteil belief sich auf fünf Jahre Haft und Entzug des Vermögens. Darüber hinaus richtete das Gericht einen Brief an das Leningrader Gebietskomitee der KPdSU wegen der Vernachlässigung der ideologischen Arbeit in Leningrad, wo Dandaron Gelegenheit gehabt habe, zahlreichen Zuhörern seine Ideen über den Buddhismus zu verkünden.

Nach der Urteilsverkündung begann in der örtlichen Presse eine Verleumdungskampagne gegen den Verurteilten. Seine Freunde und Anhänger verbreiteten daraufhin im Samisdat mehrere offene Briefe, in denen alle Vorwürfe zurückgewiesen wurden.

Bidija Dandaron starb 1974 im Lager von Wydrino, wo er bis zu seinem Lebensende buddhistische Schriften verfasst hatte. Ab Ende der 80er Jahre erschienen seine zuvor nicht veröffentlichten Arbeiten und Erinnerungen an ihn. Zwischen 1992 und 1998 widmete sich die in Sankt Petersburg erscheinende Zeitschrift „Garuda“ (Adler) der Verbreitung seines Erbes.

Alexander Papowian
Aus dem Polonischen von Tim Bohse
Letzte Aktualisierung: 02/16