Glossar

Offener Brief an die Bürger Finnlands

Appell estnischer Bürger vom 1. Oktober 1982 zu den demografischen Folgen, die der Bau eines neuen Hafens in Tallinn mit sich brachte. In diesem Appell wurde der massenhafte Zuzug von Arbeitskräften aus der gesamten Sowjetunion vorausgesagt, der die Esten in ihrer Hauptstadt in die Rolle einer nationalen Minderheit drängen würde. Der Offene Brief brachte die Hoffnung zum Ausdruck, dass Finnland auf die Beteiligung am Bau des Hafens verzichten würde, da dieser die nationalen Interessen der Esten bedrohe.

Öffentlichkeit gegen Gewalt

Politische Organisation in der Zeit der Samtenen Revolution, die die unabhängigen Initiativen in der Slowakei zusammenführte. Die Öffentlichkeit gegen Gewalt (Verejnosť proti násiliu; VPN) entstand am 20. November 1989 in Bratislava (Pressburg) auf Initiative von bildenden Künstlern und Theaterschauspielern, die damit gegen die gewaltsame Niederschlagung der Studentendemonstration am 17. November 1989 in Prag protestierten. Innerhalb kurzer Zeit wurde die slowakische „VPN“ zur Partnerorganisation des tschechischen Bürgerforums (Občanské fórum; OF). Im November und Dezember 1989 organisierte sie gemeinsam mit der spontan entstandenen Studentenbewegung Massendemonstrationen, die mit zum Sturz des Machtmonopols der Kommunistischen Partei beitrugen.

Bei den freien Wahlen zum Nationalrat des slowakischen Landesteils im Jahr 1990 trat sie als liberale gesellschaftliche Bewegung an, die sie als stärkste Kraft gewann. Mit diesem Ergebnis ging sie eine Koalition mit der Christlich-Demokratischen Bewegung (Kresťanskodemokratické hnutie; KDH) und der Demokratischen Partei (Demokratická strana; DS) ein. 1991 kam es zu zum parteiinternen Bruch und zur Abspaltung einer Gruppe um Vladimír Mečiar, der die Bewegung für eine demokratische Slowakei (Hnutie za demokratické Slovensko; HZDS) gründete. Nach dem Auseinanderbrechen des VPN änderte sie ihren Namen in Bürgerlich-Demokratische Union (Občianska demokratická únia; ODÚ), die aber bei den Parlamentswahlen von 1992 erfolglos blieb. Anschließend schloss sie sich der Demokratischen Partei an.

„Okros Sats‘misi“

Unentdeckt von der Zensur erschien 1975 und 1976 in Tiflis die literarisch-publizistische Zeitschrift „Okros Sats‘misi“ (Goldenes Vlies). Die vier Ausgaben wurden in einem einfachen Offsetdruckverfahren vervielfältigt. Chefredakteur der Zeitschrift war Swiad Gamsachurdia. Veröffentlicht wurden Texte über die Geschichte Georgiens und die hier ansässigen Volksgruppen sowie Artikel zum aktuellen Stand und zu den Perspektiven des Erhalts des nationalen Kulturerbes, vor allem der georgischen Sprache.

Oktober 1956

Politischer Umbruch, der die gesamte polnische Gesellschaft erfasste. Höhepunkt der Ereignisse war der Wechsel in der Führungsspitze der Partei. Stalins Tod und das anschließende vorsichtige politische Tauwetter der Jahre 1954/55 hatten in Polen zu einer Schwächung der stalinistischen Herrschaftsmechanismen geführt. Für Unruhe und Meinungsstreit innerhalb der Partei sorgten insbesondere die Rede des sowjetischen Parteichefs Nikita Chruschtschow über die Verbrechen Stalins im Februar 1956 sowie der Tod des Ersten Sekretärs des ZK der Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei, Bolesław Bierut. Die Veröffentlichung von Chruschtschows Geheimrede in Polen, die im April 1956 verkündete Amnestie für politische Gefangene sowie die Verhaftung einiger hochrangiger Vertreter des Ministeriums für Öffentliche Sicherheit führte dazu, dass die allgemeine Angst in der Gesellschaft abnahm. Bis dahin war die Einschüchterung ein wesentliches Instrument der Machtausübung gewesen.

Ab Frühjahr 1956 entzogen sich weite Kreise von Intellektuellen und Jugendgruppen der Kontrolle des Machtapparats und forderten immer vernehmlicher die Demokratisierung des politischen Systems. Die bekannteste Zeitschrift dieser Bewegung war „Po Prostu“. Unter den Arbeitern verstärkte sich die Bereitschaft, ihre ökonomischen Interessen zu verteidigen und Kritik an den Verhältnissen in den Produktionsbetrieben zu üben. Ausdruck hiervon waren der Posener Aufstand vom 28. Juni 1956 und die Bildung von Arbeiterräten in einigen Industriebetrieben. Innerhalb der Gesellschaft artikulierten sich immer mutiger auch antikommunistische und antisowjetische Losungen, was ebenfalls besonders deutlich während des Posener Aufstands zum Ausdruck kam.

Innerhalb der Parteiführung entstanden zunehmend Meinungsverschiedenheiten, wie man auf diese Herausforderungen reagieren sollte. Zum Mann der Stunde wurde Władysław Gomułka, ehemals Vorsitzender der Polnischen Arbeiterpartei (PPR), 1948 wegen „rechtsnationalistischen Abweichlertums“ angeklagt und 1950–54 inhaftiert. Die Vorbereitung tief greifender personeller und programmatischer Änderungen, die auf dem VIII. Plenum des Zentralkomitees beschlossen werden sollten, führten zu einer Beunruhigung der Sowjetführung. Unmittelbar vor Beginn des Plenums am 19. Oktober 1956 kam Chruschtschow in Begleitung dreier hochrangiger sowjetischer Vertreter nach Warschau, während sich zeitgleich sowjetische Panzerkolonnen aus den Militärbasen in Niederschlesien und Pommern auf den Weg nach Warschau machten. Die Parteiführung lehnte eine Verschiebung des Plenums und einen Verzicht auf die geplanten Reformen jedoch ab und trat in mehrstündige Verhandlungen mit den Sowjets ein.

Begleitet wurde das Ganze von einer allumfassenden Mobilisierung der Gesellschaft, insbesondere der Arbeiter und Studenten, die sich für eine Demokratisierung und die Wiedererlangung der staatlichen Souveränität Polens einsetzten. In den Morgenstunden des 20. Oktobers erhielten die Panzerkolonnen den Befehl, nicht weiter auf Warschau vorzurücken, und die sowjetischen Repräsentanten kehrten nach Moskau zurück. Auf dem Plenum hielt Władysław Gomułka eine vom Rundfunk übertragene Rede, in der er das stalinistische System verurteilte und die Posener Arbeiterproteste als gerechtfertigt bezeichnete. In den Beziehungen zur Sowjetunion gelte es, die Prinzipien der Souveränität und Gleichberechtigung wiederherzustellen. Zudem gestand er den Bauern das Recht zu, ihren eigenen Boden zu bewirtschaften, landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaften sollten dem Prinzip der Freiwilligkeit folgen. Gomułka wurde zum Ersten Sekretär der Partei gewählt. Aus der Parteiführung entfernt wurde dagegen der sowjetische Marschall Konstantin Rokossowski, der Sinnbild für die fehlende Souveränität Polens gewesen war.

Aus Kundgebungen zur Unterstützung der Demokratisierung und der Wahl Gomułkas entwickelten sich in einigen Städten antikommunistische, antisowjetische Demonstrationen, auf denen die Unabhängigkeit von der UdSSR gefordert wurde. Gomułka versuchte, diesen nationalen Forderungen durch verschiedene Maßnahmen zu begegnen. Dazu gehörten die Absetzung Rokossowskis (der in die UdSSR zurückkehrte), die Freilassung des polnischen Primas Stefan Kardinal Wyszyński (der seit 1953 interniert war), die Freilassung nahezu aller politischen Gefangenen sowie die Hinnahme des Auseinanderbrechens der Produktionsgenossenschaften auf dem Land. Die Hoffnungen auf die Wiedererlangung der staatlichen Unabhängigkeit und weiterer demokratischer Veränderungen wurden durch die militärische Niederschlagung der Ungarischen Revolution von 1956 und den Einmarsch sowjetischer Truppen in Ungarn am 4. November 1956 zunichte gemacht. Die Solidarität mit den Ungarn, die sich unter anderem in Blutspenden für die Opfer der Kämpfe ausdrückte, blieb für die Polen im Herbst 1956 ein prägendes Erlebnis.

Schon 1957 leitete die Parteiführung das Ende der Reformbemühungen ein. Die nach dem Oktober 1956 gegründeten Jugendorganisationen, die sich für eine weitere Demokratisierung eingesetzt hatten, wurden wieder abgeschafft. Die Weiterentwicklung der Arbeiterräte wurde gestoppt, Projekte zu tief greifenden Wirtschaftsreformen auf Eis gelegt und die Kontrolle der Partei über die Presse wieder hergestellt. Als symbolisches Ereignis, das das Ende der Oktober-Euphorie markierte, gilt die Schließung der Wochenzeitschrift „Po Prostu“ im Oktober 1957.

Direkte Folgen des Oktobers 1956 waren jedoch der Verzicht des Regimes auf Massenrepressionen, die Erweiterung der bürgerlichen Freiheiten im privaten und beruflichen Leben, ein größerer Freiraum für Kulturschaffende als in anderen kommunistischen Ländern, die Wiedererlangung der Unabhängigkeit der katholischen Kirche vom Staat sowie der Verzicht auf die Zwangskollektivierung der Landwirtschaft. Es kam zu einer gewissen Verringerung der Abhängigkeit Polens von der UdSSR, mit der man auch eine Übereinkunft über die Fortsetzung der Repatriierung von Polen traf, die in der UdSSR lebten.

In den Folgejahren lenkte die Staatsführung die Erinnerung nicht gern auf den Zeitraum nach dem Oktober 1956, der als Zeit der Krise und der Systemschwäche angesehen wurde. Für die systemkritischen Kräfte stand das Jahr 1956 dagegen für gesellschaftliche Aktivität und die Hoffnung auf tief gehende Reformen und war Inspirationsquelle insbesondere für den linksorientierten Teil der Opposition.

Andrzej Friszke

Organisation Ukrainischer Nationalisten

1929 von ukrainischen Emigranten in Wien gegründet, verfolgte die Organisation Ukrainischer Nationalisten (Orhanizacija Ukrajinskych Nacionalistiv, OUN), das Ziel staatlicher Unabhängigkeit der damals zwischen der UdSSR und Polen geteilten Ukraine. Bekanntheit erlangte sie 1934 mit einem tödlichen Anschlag auf den polnischen Innenminister Bronisław Pieracki, der dem Anführer der Organisation, Stepan Bandera, zugeschrieben wurde. Aufgrund der ablehnenden Haltung der Nationalsozialisten gegenüber einem unabhängigen ukrainischen Staat nach dem Einmarsch deutscher Truppen 1941 ging ein Teil der OUN in den Untergrund, während der andere Teil um Andrij Melnyk mit dem NS-Regime kollaborierte. Für den Partisanenkrieg wurde die Ukrainische Aufständische Armee gegründet, die als militärischer Verband der OUN den Kampf für die Unabhängigkeit der Ukraine auch nach dem erneuten Einmarsch der Roten Armee fortsetzte. Die kriegerischen Handlungen auf sowjetischem und polnischem Gebiet dauerten bis in das Jahr 1955. Auch nach der Niederschlagung des bewaffneten Widerstands blieb die OUN die wichtigste ukrainische Exilorganisation. Ihr ideeller Einfluss in der heutigen Westukraine war bedeutend. Wegen ihrer Rolle während des Zweiten Weltkrieges und ihrer nationalistischen Ausrichtung ist die OUN auch heute umstrittenen. Die in der Ukraine verbliebenen Gruppen im Untergrund (Ukrainische Nationale Front, UNF-2, Bund der ukrainischen Jugend Galiziens) stellten sich bewusst in die Tradition der OUN. Heute sind die erklärten Nachfolgeorganisationen OUN in der Ukraine legal registriert.

Organisation der Nationalbewegung der Krimtataren

Als wichtige politische Gruppierung innerhalb der krimtatarischen Bewegung engagierte sich die Organisation der Nationalbewegung der Krimtataren (Organizacija krymskotatarskogo nacional’nogo dviženija, OKND) für eine Rückkehr auf die Krim. Sie wurde aus der Zentralen Initiativgruppe heraus gegründet, den Vorsitz hatten nacheinander Mustafa Dschemilew, Refat Tschubarow und Eredschep Chajredinow inne. 1990 brachte die Organisation erstmals die Zeitschrift „Avdet“ (Rückkehr) heraus.

Osteuropäische Informationsagentur

Erste unabhängige Presseagentur in der Tschechoslowakei. Ihre Gründung wurde von einer Gruppe unabhängiger Journalisten aus Polen, der Sowjetunion, Ungarn und der Tschechoslowakei im Dezember 1988 nach mehrmonatiger Zusammenarbeit verkündet. Zu den tschechischen Mitarbeitern gehörten Petr Pospíchal, Petr Uhl und Jan Urban; später stießen noch Anna Šabatová und Hana Holcnerová hinzu. Die Osteuropäische Informationsagentur (Východoevropská informační agentura; VIA) gab mehrmals pro Woche einen Informationsdienst heraus. Zusätzlich berichtete sie für einzelne Landesredaktionen und westliche Medien täglich aus der Sowjetunion, Polen, Ungarn, Jugoslawien und der Tschechoslowakei. Die Journalisten arbeiteten unter ihrem richtigen Namen. Ihr Anliegen war es, auch die staatlichen Medien in ihren eigenen Ländern mit Nachrichten zu versorgen – teilweise mit erstaunlichem Erfolg. Die Osteuropäische Informationsagentur leistete einen wichtigen Beitrag zum freien Informationsaustausch und trug dazu bei, die psychologischen Barrieren zwischen den Oppositionellen und den anderen Bürgern des Landes zu überwinden.

Otkazniki

Ein sich in den 70er Jahren in der Sowjetunion verfestigender Begriff für Staatsbürger, denen bezüglich ihrer Bemühungen um Auswanderung von den Behörden eine Absage erteilt wurde, die aber weiterhin für ihre Ausreise kämpften. „Otkazniki“ wurden außerdem Personen genannt, die den Wehrdienst verweigerten. Ansonsten bezeichnete man so vor allem Aktivisten der jüdischen Auswandererbewegung.

Der einzige Rechtsgrund für eine Auswanderung aus der Sowjetunion – der allerdings nicht immer ausreichte – bestand für die Behörden in der Familienzusammenführung mit Verwandten im Ausland. Politische, religiöse oder ökonomische Beweggründe wurden nicht berücksichtigt. Ablehnungen wurden am häufigsten damit begründet, dass der Antragsteller „Träger von Staatsgeheimnissen“ sei. Die Otkazniki (auch „Refjuzniki“ genannt, von englisch "refuse") riskierten Schikanen und manchmal auch den Verlust des Arbeitsplatzes.

Die Betroffenen verfassten Petitionen, gaben im Selbstverlag Zeitschriften wie etwa die jüdischen Zeitungen „Ischod“ und „Evrei v SSSR“ (Juden in der UdSSR) sowie die deutsche Zeitschrift „Re Patria“ heraus und organisierten Vorträge unter anderem von Wissenschaftlern, die ihre Arbeit verloren hatten. Einige hielten Hungerstreiks und Kundgebungen vor den Behörden ab, die Auswanderungserlaubnisse erteilten. Die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit lenkten vor allem eine versuchte Flugzeugentführung und der anschließende Flugzeug-Prozess auf die Probleme der Ausreisewilligen. Die Mitglieder der sowjetischen Menschenrechtsbewegung – unter anderen Andrei Sacharow – widmeten dem Recht auf Auswanderung zahlreiche Dokumente und Aktionen. Vertreter der Otkazniki engagierten sich in der Moskauer Helsinki-Gruppe (Natan Schtscharanski), in der Litauischen Helsinki-Gruppe (Ejtan Finkelstejn) oder in der Georgischen Helsinki-Gruppe.