Mustafa Dschemilew (Mustafa Abdülcemil oğlu Cemilev / Qırımoğlu) wurde 1943 in dem Dorf Aj-Seres (Ay Serez, seit 1945 Meschduretsche / Mischritschtschja) unweit von Sudak (Sudaq) auf der Krim geboren. Am 18. Mai 1944 wurde seine Familie nach Usbekistan in die Oblast Andischan (Andijon) deportiert. Später siedelte die Familie zunächst nach Angren dann nach Mirsatschul (Mirzachoʻl) über, wo Dschemilew 1959 die Oberschule abschloss. Seine Bewerbung um einen Studienplatz an der Fakultät für Orientalistik der Staatlichen Zentralasiatischen Universität Taschkent blieb erfolglos. Er arbeitete daraufhin zwei Jahre lang als Dreher und Schlosser in einem Reparaturwerk in Mirsatschul, später im Flugzeugwerk Taschkent.
Ende 1961 war er einer der Gründer der illegalen Jugendorganisation „Verband der Krimtatarischen Jugend“, wo er die „historische Abteilung“ leitete. 1962 bekam er einen Studienplatz an der Fakultät für Wasserwirtschaft des Taschkenter Instituts für Bewässerung und Mechanisierung der Landwirtschaft. Als er im dritten Studienjahr den von ihm verfassten Aufsatz „Historischer Abriss der türkischen Kultur auf der Krim vom 13. bis 18. Jahrhundert“ unter seinen Kommilitonen verbreitete, wurde er der Universität verwiesen. Wegen Verweigerung des Wehrdienstes wurde er im Mai 1966 vom Rajongericht des Taschkenter Lenin-Bezirks (heute: Mirobod) zu anderthalb Jahren Freiheitsentzug verurteilt. In seinem Schlusswort vor Gericht stellte er fest: „Die KGB-Leute sind wütend, dass wir Angaben zu Todesopfern unter den deportierten Krimtataren sammeln, dass wir Material gegen die sadistischen Kommandeure sammeln, die unser Volk während des Stalinismus gequält haben und die (…) für die von ihnen begangenen Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor Gericht gehören.“ Kurz vor seiner Entlassung wurde Dschemilew vorgeworfen, „antisowjetische Propaganda unter den Häftlingen“ betrieben zu haben, und er wurde mit Einzelhaft bestraft. Ins Lager kamen KGB-Leute, forderten ihn auf, seine Tätigkeit in der krimtatarischen Nationalbewegung einzustellen und drohten mit einer erneuten Verurteilung.
Nach seiner Haftentlassung knüpfte Dschemilew Kontakt zu Aktivisten der Menschenrechtsbewegung. Er unterschrieb Petitionen für verfolgte Dissidenten, protestierte gegen den Einmarsch von Truppen des Warschauer Pakts in die Tschechoslowakei und engagierte sich für die Einhaltung der Menschenrechte. Er suchte den Kontakt zu in Moskau akkreditierten westlichen Journalisten und unternahm große Anstrengungen, die Weltöffentlichkeit über die Situation der Krimtataren zu informieren. Pjotr Grigorenko schrieb in seinen Erinnerungen: „Mustafa war erst zwanzig Jahre alt, als er seinen Landsleuten erklärte, dass eine isolierte Nationalbewegung, noch dazu eines so kleinen Volkes wie der Krimtataren, keine Chance auf Erfolg habe. Ein Mann von enormer Willensstärke, ein Meister darin, die Leute zu fesseln, ein hervorragender Redner, […] außerordentlich fleißig. Trotz seines jungen Alters nahm Mustafa sehr schnell eine führende Rolle in der Nationalbewegung und eine wichtige Position in den Kreisen der Moskauer Menschenrechtsaktivisten ein.“ Nach der Verhaftung von Pjotr Grigorenko wurde Dschemilew im Mai 1969 Mitglied der Initiativgruppe zur Verteidigung der Menschenrechte in der UdSSR. Er gehörte auch zu den Unterzeichnern des ersten an die UNO gerichteten Dokuments der Gruppe.
Im September 1969 wurde Dschemilew erneut verhaftet. Die Anklage stützte sich auf Artikel 191, Paragraf 4 Strafgesetzbuch der Usbekischen SSR (entspricht Artikel 190, Paragraf 1 Strafgesetzbuch der RSFSR). Der Prozess wurde mit jenem gegen Pjotr Grigorenko und Ilja Gabaj zusammengelegt. Während der Ermittlungen wurde Grigorenko als unzurechnungsfähig eingestuft und zur Zwangsbehandlung in eine psychiatrische Anstalt eingewiesen. Das Gericht in Taschkent verurteilte dann Dschemilew und Gabaj zu je drei Jahren Freiheitsentzug. Sein Schlussrede vor Gericht beendete Dschemilew mit den Worten: „Heimat oder Tod!“ In seinen Erinnerungen schreibt Grigorenko: „Seine Ansprache war so bewegend, dass der Richter vergaß, ihm das Wort zu entziehen, wie er es eigentlich hätte tun müssen.“
Aus Protest gegen die eklatante Missachtung der Menschenrechte in der UdSSR trat Dschemilew im Taschkenter Gefängnis in einen 30-tägigen Hungerstreik. Danach wurde er zusammen mit Ilja Gabaj in das Moskauer Lefortowo-Gefängnis gebracht, wo ihnen vorgeworfen wurde, eine geheime Dienstanweisung der Tscheka „über die Informations-, Ermittlungs- und Agententätigkeit“ vervielfältigt und verbreitet zu haben. Die Anweisung war während einer Wohnungsdurchsuchung bei Ilja Gabaj gefunden worden. Nach vier Monaten wurde die Angelegenheit zu den Akten gelegt und Dschemilew zurück nach Usbekistan gebracht. Nach der Entlassung aus der Haft kehrte er nach Gulistan (Guliston, bis 1961 Mirsatschul / Mirzachoʻl) zurück, wo er als Ingenieur in einer Sowchose arbeitete.
Im Juni 1974 wurde er erneut verhaftet und einen Monat später vom Rajongericht Gulistan zu einem Jahr Gefängnis verurteilt. Offizielle Begründung war seine Weigerung, an verpflichtenden Militärappellen teilzunehmen (Artikel 199, Paragraf 1 Strafgesetzbuch der Usbekischen SSR). Hintergrund waren operative Erkenntnisse des KGB, wonach Dschemilew plante, nach Moskau zu reisen und US-Präsident Richard Nixon bei seinem dortigen Besuch eine Petition der Krimtataren zu überreichen. Seine Strafe verbüßte er unter verschärften Haftbedingungen in einem Lager in der Oblast Omsk. Drei Tage vor Ablauf der Haftstrafe wurde am 19. Juni 1975 ein neues Verfahren gegen ihn eröffnet. Diesmal lautete der Vorwurf, Texte mit verleumderischen Inhalten gegen die sowjetische Gesellschaftsordnung vervielfältigt und unwahre Informationen unter den Häftlingen verbreitet zu haben. Aus Protest trat er erneut in den Hungerstreik, wurde jedoch zwangsernährt. Am 15. April 1976 verurteilte ihn das Bezirksgericht Omsk nach Artikel 190, Paragraf 1 Strafgesetzbuch der RSFSR zu zwei Jahren Freiheitsentzug in einem Straflager mit verschärften Haftbedingungen. Den Menschenrechtlern Andrei Sacharow und Jelena Bonner, die extra aus Moskau angereist waren, wurde der Zugang zur Gerichtsverhandlung verwehrt. Diesmal kam Dschemilew in ein Straflager in der Region Primorje im Fernen Osten des Landes. Einen Monat vor Haftende versuchte man, ein weiteres Strafverfahren gegen ihn einzuleiten, wogegen Dschemilew mit einem 15-tägigen Hungerstreik protestierte. Schließlich wurde er nach Taschkent eskortiert, wo er im Dezember 1977 freikam.
Obwohl Dschemilew weiterhin unter behördlicher Aufsicht stand, forderte er immer wieder, seinen Wohnsitz auf der Krim nehmen zu dürfen. Von ihm verfasste Protestschreiben schickte er an sowjetische und internationale Stellen und verbreitete sie im Samisdat. Seine Versuche, auf die Krim zu reisen, wurden behördlicherseits wiederholt unterbunden. Im Februar 1979 wurde Dschemilew wegen „vorsätzlicher Verletzung der Vorschriften zur administrativen Aufsicht“ verhaftet. Das Rajongericht Oktjabrski in Taschkent verurteilte ihn am 6. März 1979 zu vier Jahren Verbannung. Dschemilew verweigerte die Teilnahme am Prozess, da der von ihm gewählte Rechtsanwalt nicht zur Verhandlung zugelassen worden war. Als Verbannungsort wurde Syrjanka im Kolyma-Gebiet in Jakutien bestimmt. Nach seiner vorzeitigen Freilassung fuhr Dschemilew im Juli 1982 mit Frau und Kind auf die Krim, wurde jedoch schon nach drei Tagen von dort nach Jangijul (Yangiyoʻl) nahe Taschkent gebracht, wo er fortan als Schlosser und ungelernter Arbeiter tätig war.
Schon im November 1983 wurde er erneut verhaftet. Das Bezirksgericht Taschkent verurteilte ihn nach Artikel 191, Paragraph 4 Strafgesetzbuch der Usbekischen SSR (entspricht Artikel 190, Paragraf 1 Strafgesetzbuch der RSFSR) zu drei Jahren Haft. Vorgeworfen wurde ihm die „Erstellung und Weiterverbreitung von Dokumenten, in denen die sowjetischen Staatsordnung und das politische System verleumdet werden“; Postkontakte ins Ausland; Aufnahmen ausländischer Rundfunksendungen; ein Brief zur Unterstützung des japanischen Standpunkts im Territorialstreit mit der UdSSR um die Kurilen an die japanische Rundfunkanstalt NHK; Anzettelung von Massenunruhen im Zusammenhang mit dem Versuch, seinen Vater auf der Krim zu beerdigen. Die Haftstrafe verbüßte Dschemilew in der Oblast Magadan. Vor Ablauf der Haftstrafe wurde im November 1986 ein neues Verfahren (bereits das siebte in Folge) gegen Dschemilew eingeleitet. Diesmal lautete der Vorwurf „hartnäckiges Ignorieren begründeter Forderungen der Verwaltungsaufsicht der Strafvollzugsanstalt“. Für den Fall einer weiteren Verurteilung kündigten Freunde und Verwandte einen Stafetten-Hungerstreik an. Das Bezirksgericht Magadan sprach Dschemilew am 16. Dezember 1986 zwar gemäß Artikel 188, Paragraf 3 Strafgesetzbuch der RSFSR schuldig, das Urteil wurde aber zur Bewährung ausgesetzt, und der Angeklagte durfte den Gerichtssaal verlassen. Die mildere Strafe lässt sich auf die im Land einsetzenden politischen Veränderungen zurückführen, in deren Zuge auch mit die Freilassung politischer Gefangener begonnen wurde.
Auf dem erstmals im April 1987 abgehaltenen Gesamtsowjetischen Kongress der Aktivisten der Krimtatarischen Bewegung wurde Dschemilew in die Zentrale Initiativgruppe gewählt. Er wurde zudem Redakteur der Monatsschrift „Nachrichten der krimtatarischen Nationalbewegung“. Im Mai 1989 übernahm er den Vorsitz in der Organisation der Nationalbewegung der Krimtataren, die auf einem weiteren Gesamtsowjetischen Kongresses der Aktivisten der Krimtatarischen Bewegung ins Leben gerufen worden war. Zusammen mit seiner Familie zog er zurück auf die Krim und wohnte dort fortan in Bachtschyssarai (Bağçasaray).
1991 und 1996 wurde Dschemilew auf dem zweiten und dritten Kurultai des Krimtatarischen Volkes zum Vorsitzenden des Medschlis gewählt. Seit 1998 ist er Abgeordneter der Werchowna Rada der Ukraine. Nach der Annexion der Krim durch Russland im März 2014 sprach er sich für den Verbleib der Halbinsel in der Ukraine aus, forderte ein militärisches Eingreifen der NATO und rief die Krimtataren zum Boykott des kurzfristig angesetzten Referendums zum Status der Krim auf. Daraufhin wurde er mit einem fünfjährigen Einreiseverbot auf die Krim belegt und 2016 durch die russischen Behörden in Abwesenheit verurteilt und international zur Fahndung ausgeschrieben.
Für sein Engagement für die Menschenrechte und für seine politische Tätigkeit wurde Dschemilew vielfach geehrt. In den Jahren 1995 und 1996 wurde er zum Ehrenbürger mehrerer türkischer Städte benannt. Er erhielt die Ehrendoktorwürde der Seldschuken-Universität Konya (1996) und der Technischen Hochschule Gebze (1998). Der Hohe Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen zeichnete ihn 1998 mit dem Nansen-Flüchtlingspreis aus. 2005 erhielt er gemeinsam mit dem Menschenrechtler Sergei Kowaljow den Victor-Gollancz-Preis der Gesellschaft für bedrohte Völker, 2014 folgten der Große Türkische Verdienstorden – die höchste Auszeichnung des Landes – und der hochdotierte, erstmals verliehene Solidarność-Preis des polnischen Außenministeriums.