Geschichte der krimtatarischen Opposition
Die Krimtataren waren eines von acht in der Sowjetunion lebenden Völkern, die während des Zweiten Weltkriegs vollständig aus ihrem historischen Siedlungsgebiet deportiert wurden. Kurz nach der Befreiung der Krim durch die Rote Armee, unterzeichnete Stalin am 11. Mai 1944 einen Beschluss des Staatlichen Verteidigungskomitees, der die Aussiedlung aller Tataren von der Krim vorsah. Angesichts der „verräterischen Aktivitäten der Krimtataren gegen das sowjetische Volk“ hielt man es „nicht für wünschenswert, dass sie weiter die Grenzregionen der Sowjetunion besiedeln“. Am 17. Mai 1944 wurde dieser Beschluss an die Führung der Autonomen Sozialistischen Sowjetrepublik (ASSR) der Krim weitergeleitet. Noch in derselben Nacht begann die Deportation der Krimtataren. Die Aktion dauerte etwa einen Monat und forderte zahlreiche Menschenleben. Nach Angaben der Umsiedlungsabteilung des NKWD waren im November 1944 insgesamt 193.865 Krimtataren an ihren Bestimmungsorten eingetroffen, davon 151.136 in Usbekistan, 8.597 in der ASSR der Mari und 4.286 in der Kasachischen SSR. Die verbleibenden Personen wurden „zum Zwecke der Heranziehung zu Arbeitsmaßnahmen“ in verschiedene Gebiete der RSFSR verteilt, darunter 10.555 in die Oblast Molotow (heute: Perm), 6.743 in die Oblast Kemerowo, 5.095 in die Oblast Gorki (heute: Nischni Nowgorod), 3.594 in die Oblast Swerdlowsk (heute: Jekaterinburg), 2.800 in die Oblast Iwanowo sowie 1.059 in die Oblast Jaroslawl.
Auf der Krim, von der Ende 1944 neben den Krimtataren auch Griechen, Armenier und Bulgaren deportiert worden waren, kam es in der Folgezeit zur planmäßigen Ansiedlung von Menschen aus der RSFSR und aus der Ukrainischen SSR. Auf der Grundlage eines am 25. Juni 1946 vom Obersten Sowjet der RSFSR verabschiedeten Sondergesetzes wurde der autonome Status der Krim aufgehoben und die Krim zu einer Oblast der RSFSR. In den Jahren 1944–48 wurden die überlieferten tatarischen Ortsnamen durch russische ersetzt (die alten Namen wurden nur bei einigen großen Städten beibehalten), und eine Sitzung der Akademie der Wissenschaften im September 1948 leitete die Umschreibung der Geschichte der Krim ein.
Die als Spezialumsiedler bezeichneten Krimtataren wurden an ihren neuen Wohnorten registriert und mussten sich in den für sie eingerichteten Kommandanturen melden. Viele Familien wurden getrennt. 1944–46 waren noch Wohnortwechsel innerhalb Usbekistans möglich, mit einem Beschluss des Ministerrates vom 21. November 1947 und einem Dekret des Obersten Sowjets der UdSSR vom 26. November 1948 wurden die Deportationsbestimmungen jedoch verschärft, und Reisen in andere Landesteile (auch in die unmittelbaren Nachbarregionen) waren nur noch mit einer „Einladung“ naher Verwandter möglich. Eine Reise ohne Erlaubnis wurde beim ersten Mal mit fünf Tagen Arrest geahndet, im Wiederholungsfall wurde dies als „Flucht vom Ort der Verbannung“ bewertet, die mit 20 Jahren Freiheitsentzug bestraft werden konnte. Formal verfügten die Deportierten weiterhin über alle Bürgerrechte, konnten ihre Personaldokumente behalten und durften an Wahlen teilnehmen. Den kommunistischen Deportierten wurde der Eintritt in die lokalen Parteiorganisationen gestattet.
Kraft eines Dekrets des Präsidiums des Obersten Sowjets der UdSSR vom 19. Februar 1954 wurde die Oblast Krim „mit Rücksicht auf die ökonomische Gemeinschaft, die territoriale Nähe sowie die engen wirtschaftlichen und kulturellen Kontakte“ aus der RSFSR herausgelöst und in die Ukrainische SSR eingegliedert.
Das Unrecht an den deportierten Volksgruppen benannte erstmals der damalige Erste Sekretär des ZK der KPdSU Nikita Chruschtschow in seiner Rede auf dem XX. Parteitag der KPdSU am 25. Februar 1956. Kurz darauf erließ das Präsidium des Obersten Sowjets ein Dekret (Dekret von 1956), in dem die Einschränkungen im Zusammenhang mit der sogenannten Spezialumsiedlung aufgehoben wurden. Krimtataren und Angehörige anderer, ebenfalls deportierter Volksgruppen unterlagen fortan nicht mehr den bisher für sie geltenden Vorschriften und administrativen Kontrollen. Dies schloss jedoch keinesfalls die Restitution ihres im Zuge der Umsiedlung konfiszierten Besitzes ein, und auch eine Rückkehr an ihre alten Wohnorte blieb ihnen versagt. Analoge Dekrete wurden kurze Zeit später auch für die Volksgruppen der Inguschen, Kalmücken, Karatschaier und Tschetschenen erlassen. Anders als die Krimtataren (sowie die Turk-Mescheten und die Deutschen) konnten sie 1957 jedoch in ihre historische Heimat zurückkehren, wo ihnen ein Autonomiestatus im Rahmen der UdSSR zuerkannt wurde.
Schon kurze Zeit nach Erlass des Dekrets von 1956 entwickelte sich die Bewegung der Krimtataren zu einem Massenphänomen. Es entstand ein Netzwerk von Initiativgruppen, die sich für eine Rückkehr der Krimtataren auf die Krim engagierten. Dieser Form der Selbstorganisierung ist eine beispiellose Flut von Protestschreiben an die höchsten Staatsorgane zu verdanken: zahllose Briefe von Einzelpersonen, aber auch Petitionen mit jeweils Zehntausenden Unterschriften. Lange Zeit blieben sie unbeantwortet, bis es schließlich am 17. März 1958 zum Treffen mit Anastas Mikojan kam. Obwohl der damalige Vizepremier den krimtatarischen Aktivisten versicherte, die Frage der Krimtataren werde gelöst und er werde die Angelegenheit Chruschtschow persönlich vortragen, blieben Veränderungen aus. Eine weitere Petition mit 10.000 Unterschriften wurde 1959 an das ZK der KPdSU übermittelt, im März 1961 folgte eine von 18.000 Personen unterzeichnete Petition an das Präsidium des ZK der KPdSU.
Ab 1964 gab es in Moskau eine inoffizielle Vertretung der Krimtataren, die Briefe und Petitionen an die jeweiligen Regierungsbehörden weiterleitete. Die Initiativgruppen veröffentlichten und verbreiteten in regelmäßigen Abständen die sogenannten „Informationen“, die die Anzahl der übergebenen Schreiben und Gespräche mit Behördenvertretern dokumentierten. Es wurde eine Zentrale Initiativgruppe ins Leben gerufen, die einen gemeinsamen Standpunkt zu allen die Krimtataren betreffenden Fragen formulierte. Vermutlich war es die Aktionsform der Initiativgruppen, die es (in Ermangelung ihrer eindeutigen Führungsstruktur) der sowjetischen Staatsmacht unmöglich machte, die Aktivitäten der Bewegung der Krimtataren durch Verhaftungen oder andere Maßnahmen zu blockieren. Gegen die KPdSU-Mitglieder der Bewegung, die nach Moskau fuhren, konnten lediglich Parteistrafen ausgesprochen werden. Die älteren Köpfe der Bewegung (Dschepar Akimow, Mustafa Selimow, Bekir Osmanow, Ifta Dschelilew, Weli Murtasajew und andere), waren bemüht, ihr einen „loyalen“ Charakter zu verleihen. Das äußerte sich unter anderem in der Bezeichnung der Initiativgruppen, deren vollständige Bezeichnung „Initiativgruppen zur Unterstützung von Partei und Regierung bei der Lösung der nationalen Frage der Krimtataren“ lautete. Darüber hinaus wurden dem ZK der KPdSU die Mitgliederverzeichnisse der Initiativgruppen mit mehr als 5.000 Namen übermittelt.
Kurz nach dem Sturz Chruschtschows erwirkten die krimtatarischen Vertreter des Volkes 1965 ein weiteres Treffen mit Anastas Mikojan. Es folgten zahlreiche Maßnahmen, mit denen die Behörden versuchten, die nationale Bewegung zu schwächen. Die krimtatarischen Teilnehmer des Treffens wiederum beschlossen diese zu beleben. Am 27. August 1965 versammelten sich vor dem Gebäude der Parteileitung in der ostusbekischen Stadt Bekobod über 1.000 Demonstranten, und forderten eine Antwort des Ersten Sekretärs des ZK der KP Usbekistans Scharaf Raschidow auf die Frage, wann eine Entscheidung des ZK der KPdSU in der Frage der Krimtataren zu erwarten sei. Die Demonstration wurde gewaltsam aufgelöst, ebenso wie die Kundgebungen und Versammlungen, die anlässlich des 45. Jahrestages der Gründung der ASSR Krim vom 8. bis 18. Oktober 1966 in vielen usbekischen Städten stattfanden. Es kam zu Massenverhaftungen, Tausende Teilnehmer wurden geschlagen, Hunderte festgenommen und für 15 Tage inhaftiert, 17 Personen wurden verurteilt. Seitens des ZK der KP Usbekistans erging folgende Information an die Moskauer Zentrale: „Die Situation unter den Spezialumsiedlern von der Krim […] hat gefährliche Züge angenommen […] Bestimmte Personen drohen damit, für den Fall, dass die ‚Frage der Krimtataren‘ nicht gelöst wird, zu schärferen Formen des ‚Kampfes‘ überzugehen, sich an die UNO zu wenden, Streiks zu organisieren usw.“