Robert Havemann ist mit seinem politischen Lebensweg die Ausnahme in der DDR geblieben: vom zum Tode verurteilten Antifaschisten über den SED-loyalen Naturwissenschaftler und Funktionär zum intensiv verfolgten Oppositionellen, der sich bis an sein Lebensende weigerte, in den Westen zu emigrieren. Mit seiner mutigen Haltung, seinem Freiheitsbegriff und seiner politischen Lebenserfahrung wurde er zu einem Symbol der DDR-Opposition.

Robert Havemann wurde am 11. März 1910 in München geboren. Seine Mutter war Malerin, sein Vater Lehrer, Autor und Redakteur. Nach dem Studium der Chemie promovierte er 1935 an der Berliner Universität. Bereits 1933 hatte er sich der Widerstandsgruppe „Neu Beginnen“ angeschlossen, die sich aus oppositionellen KPD- und SPD-Mitgliedern zusammensetzte. Im Juli 1943 gründete er die Widerstandsgruppe „Europäische Union“ mit, die Verbindungen zu illegalen Organisationen ausländischer Zwangsarbeiter aufbaute und von der Deportation bedrohte Juden versteckte. Im Herbst 1943 wurden Mitglieder der Gruppe schlagartig verhaftet. Der Volksgerichtshof verurteilte Havemann und 13 weitere Angeklagte zum Tode. Befreundete Wissenschaftler erreichten jedoch, dass Havemanns Hinrichtung wegen vorgeblich „kriegswichtiger“ Forschungen mehrfach aufgeschoben wurde. In der Todeszelle, in der er für die Wehrmacht forschen sollte, baute er einen Radioempfänger und gab täglich sein illegales Nachrichtenblatt „Der Draht“ an die Mithäftlinge heraus.

Nach dem Ende der NS-Diktatur und des Zweiten Weltkrieges setzen die sowjetischen und ostdeutschen Kommunisten Havemann im Juli 1945 als Leiter der Kaiser-Wilhelm-Institute in Berlin-Dahlem ein, die im künftigen amerikanischen Sektor lagen. Er widmete sich sofort dem Aufbau einer neuen, antifaschistischen Gesellschaft, gehörte dem Hauptausschuss „Opfer des Faschismus“ an und wurde Mitbegründer des Kulturbunds. Der sowjetische Geheimdienst warb ihn an, damit er über die überlebenden Angehörigen von „Neu Beginnen“ berichtete, die als SPD-Mitglieder die Zwangsvereinigung mit der KPD zur Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) verhindern wollten. Der Kontakt wurde 1948 beendet, weil Havemann keine brauchbaren Informationen lieferte. Im gleichen Jahr setzten ihn die misstrauisch gewordenen Amerikaner als Leiter der Kaiser-Wilhelm-Institute ab, beließen ihn aber dort noch als Abteilungsleiter. Als er im Februar 1950 die amerikanischen Pläne zur Entwicklung der Wasserstoffbombe in der SED-Zeitung „Neues Deutschland“ kritisierte, wurde er endgültig entlassen.

Havemann siedelte in die DDR über und wurde Professor und Direktor des Physikalisch-Chemischen Instituts an der Humboldt-Universität Berlin. 1951 trat er in die SED ein und übernahm eine Reihe politischer und wissenschaftlicher Funktionen. Als Vertreter des Kulturbundes blieb er bis 1963 Volkskammerabgeordneter. Kurz bevor ihn die Geheimrede Chruschtschows auf dem XX. Parteitag der KPdSU erschüttern sollte, ließ er sich im Februar 1956 vom DDR-Ministerium für Staatssicherheit (MfS) als „Geheimer Informator“ (GI) dazu verpflichten, westliche Wissenschaftler wie Werner Heisenberg und Max Born auszuhorchen und sie für die DDR zu gewinnen. Ab 1959 überwachte ihn das MfS jedoch als verdächtig gewordenen Mitarbeiter. Während seiner letzten Vorlesungsreihe eröffnete das MfS 1964 gegen ihn einen Operativen Vorgang (OV).

Mit den zaghaften Enthüllungen des XX. Parteitags der KPdSU über Stalins Verbrechen fand Havemann seine eigene kritische Sicht und forderte auch die Entstalinisierung der SED. Er bewertete auf Parteiversammlungen die Streiks in Polen vom *Juni 1956 und die Ungarische Revolution von 1956 als ein Drängen nach Demokratisierung, dem die kommunistischen Parteien nachgeben müssten und forderte Informations- und Meinungsfreiheit als Voraussetzung zur Überwindung des Stalinismus. In einem Kolloquiumsvortrag im September 1962 legte er dar, dass der Marxismus durch seine offiziellen Vertreter zunehmend diskreditiert worden sei. Da der Vortrag nicht veröffentlicht werden durfte, verschickte Havemann sein Manuskript im In- und Ausland. Als Folge wurde er 1963 aus der Universitätsparteileitung ausgeschlossen.

Im Wintersemester 1963/64 hielt er seine letzte, Aufsehen erregende Vorlesungsreihe „Naturwissenschaftliche Aspekte philosophischer Probleme“, in die über 1.000 Hörer aus dem ganzen Land und aus West-Berlin strömten. Die Vorlesungsskripte wurden von Studenten vervielfältigt und verbreitet. In den Vorlesungen erläuterte Havemann seine Vorstellung von der Freiheit des Einzelnen im Sozialismus: „Freiheit ist nur erstrebenswert, ist nur moralisch, die nicht die Freiheit Einzelner ist, sondern die Freiheit aller. […] Wahre Freiheit haben wir erst, wenn es für unser Tun und Lassen eine breite Skala von Möglichkeiten gibt […], sodass jeder ganz nach seinem individuellen Streben handeln kann, nicht beschnitten und eingeengt durch Anordnungen, Befehle und Grundsätze.“

Die SED-Führung sah darin eine Gefährdung ihrer Herrschaft. Havemann wurde als Hochschullehrer fristlos entlassen und aus der Partei ausgeschlossen. Als Vorwand diente seine Äußerung in einer Hamburger Zeitung, dass den DDR-Bürgern mehr Freiheit gegeben werden müsse als den Bewohnern westlicher Länder, denn nur auf dieser Grundlage könne der Sozialismus erfolgreich sein. Seine Entlassung aus der Arbeitsstelle für Photochemie im Dezember 1965 und der Ausschluss aus der Akademie der Wissenschaften führten zum endgültigen Berufsverbot. Der Grund hierfür war sein Artikel zur Neuzulassung der KPD in der Bundesrepublik, die er mit dem Aufruf zur demokratischen Erneuerung der SED verbunden hatte. Die SED startete daraufhin politisch und publizistisch eine Kampagne zur „politisch-ideologischen Zerschlagung und Isolierung Havemanns“.

Werner Theuer
Letzte Aktualisierung: 09/16