Am 15. April 1919 wurde Werner Herbig in Gersdorf in der Lausitz als einziger Sohn eines Angestellten geboren. Er besuchte die Volksschule bis zur 8. Klasse und absolvierte anschließend eine Kellnerlehre. Dem freiwilligen Arbeitsdienst folgte die Einberufung zur Wehrmacht. Unter anderem war er beim Wachbataillon Berlin und in einer Fliegerkurierstaffel eingesetzt. Zur Frontbewährung an die Ostfront, nach Charkiw in die Ukraine kommandiert, wurde er im September 1942 in Alexandrowka verwundet. Er kam zunächst in ein Frontlazarett, wurde dann nach Deutschland zurücktransportiert und erlebte das Kriegsende in Görlitz. Obwohl er sich schon bald mit Fluchtabsichten trug, blieb er in seiner ostdeutschen Heimat und gründete dort eine Familie.
Zunächst war Herbig als parteiloser Angestellter in der Stadtverwaltung tätig, konnte aber Maßnahmen, die auf politische Gleichschaltung hinausliefen, nicht akzeptieren und versuchte sich selbstständig zu machen. Er führte in den späten 40er Jahren ein Café in der Innenstadt von Görlitz, hatte selbst Angestellte, konnte aber angesichts der gegen Privatinitiative gerichteten kommunalen Wirtschaftspolitik damit nicht überdauern.
Einer Tätigkeit bei der Gewerkschaft Nahrung und Genuss folgte die Arbeit im Pflanzenschutzdienst des Kreises. Zu Herbigs Aufgaben gehörte dabei die Aufklärung der Landwirte über den Einsatz von Schädlingsbekämpfungsmitteln. In dieser Funktion verlangte man von ihm, einen Zeitungsartikel zu verfassen, in dem er das Auftreten der Kartoffelkäfer als Ergebnis von gezielten Abwürfen der Amerikaner begründen sollte. Als er sich weigerte, solchen Hirngespinsten stattzugeben, wurde ihm als „unzuverlässiges“ und „feindliches Element“ fristlos gekündigt. Arbeitslos geworden, erlebte und verfolgte er die sich anstauende Unzufriedenheit und Verbitterung der Bevölkerung in den letzten Wochen vor den Juni-Ereignissen 1953.
Gerüchte und Informationen über Unruhen, Streiks und Demonstrationen in Berlin und anderen Städten drangen sehr schnell auch nach Görlitz. Herbig hielt sich am Vormittag des 17. Juni 1953 in der Görlitzer Innenstadt auf und wurde von Arbeitern des Lokomotiv- und Waggonbau-Betriebes (Lowa), die sich in der Berliner Straße zum Marschblock formiert hatten, erkannt. Sie wussten von seiner Gesinnung und riefen ihm zu: „Werner komm mit, Du gehörst doch zu uns.“
Arbeiter und Angestellte verschiedener Betriebe und Einrichtungen strömten zusammen. Ihre Sprechchöre schallten zwischen den Häuserwänden. Spontan wurde ein Streikkomitee gebildet, dem neben Herbig unter anderem ein Schlosser, ein Architekt und ein Maler angehörten. Eine der ersten Entscheidungen des Komitees war die Besetzung der Kreisdienststelle der Volkspolizei, die Entwaffnung der Polizisten und das Beschlagnahmen der Akten und Karteien. Bald waren alle wichtigen Gebäude der Stadt, einschließlich der Kreisverwaltung des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS), in der Hand der Aufständischen. Durch Görlitz patrouillierte eine Bürgerwehr, die an weißen Armbinden erkennbar war. Die Revolution schien in Görlitz fast ohne Gegenwehr siegreich zu verlaufen.
Gegen 15 Uhr kam es zur zweiten Großkundgebung auf dem Obermarkt. Die Mitglieder des Streikkomitees appellierten an die Streikenden und Demonstranten, Ruhe zu bewahren und kein Blutvergießen zuzulassen. Ab 17 Uhr rückten sowjetische Panzer aus Richtung Weißwasser an, eine Stunde zuvor waren bereits Einheiten der Kasernierten Volkspolizei (KVP) zögerlich in die Stadt eingerollt. Der vom abgesetzten SED-Bürgermeister denunzierte Herbig und andere Mitglieder des Streikkomitees wurden noch am Abend des 17. Juni verhaftet. Obwohl sich die einzelnen Mitglieder des Komitees untereinander zum Teil kaum kannten, waren sie in dieser Situation schicksalhaft miteinander verbunden. In der ersten Woche blieben die Verhafteten aus Görlitz im Gewahrsam der sowjetischen Streitkräfte. Von den zu ihrer Bewachung eingeteilten einfachen sowjetischen Soldaten wurden Herbig und seine Haftgefährten menschlich behandelt und erhielten Zeichen verstohlener Sympathie. Mit den Worten „Du 17. Juni Spezialist, gutt ...“ steckte ihm ein sowjetischer Wachsoldat heimlich Sauerkraut und Sonnenblumenkerne zu.
Die Hölle begann für die Inhaftierten nach einer Woche, als sie nach Dresden verlegt und dort dem DDR-Staatssicherheitsdienst übergeben wurden. Tages- und Nachtverhöre, Schläge und Geständnisdruck, dazu entsetzliche Haftbedingungen sollten jeden Widerstand brechen. Herbig, der zu Verrat und Denunziation nicht bereit war, wurde von Verhörspezialisten bearbeitet, die ihr Handwerk bei den Nationalsozialisten gelernt hatten. Ihm und den anderen Mitgefangenen wurde der Beistand von Rechtsanwälten verweigert, sie erhielten keine Anklageschrift. Bei den Verurteilungen reichte das Strafmaß für angebliche „Rädelsführerschaft“ von 18 Jahren Zuchthaus bis zur „Mindeststrafe“ von fünf Jahren.
Im Zuchthaus Waldheim teilte Herbig eine Zelle mit 180 anderen Inhaftierten, die alle aus Sachsen kamen. Der Staatssicherheitsdienst versuchte 1954, ihn in der Haft als „Geheimen Informator“ (GI) anzuwerben. Herbig ging Ende Januar 1954 zum Schein darauf ein (GI „Kittler“). Offenbar hatte er sich Hafterleichterungen oder gar eine Haftentlassung erhofft, um schneller in die Bundesrepublik flüchten zu können. Solche Scheinverpflichtungen mit der Staatssicherheit gingen in Folge des 17. Juni 1953 sehr viele Verhaftete und Verurteilte aus taktischen Gründen ein, ohne je für die Geheimpolizei tätig gewesen zu sein. Als Herbig bemerkte, dass die Verpflichtung keinerlei Vergünstigungen für ihn bewirkte, nahm er sie nicht einmal zwei Wochen später zurück und erklärte: „Ich habe Ihnen gegenüber jetzt den Mut zu erklären, dass ich ein Gegner der DDR bin. Bisher hatte ich Angst vor Schlägen, wenn ich so etwas zugebe.“ Er erklärte zudem standhaft, dass er alle Haftverschärfungen bis hin zur Isolationshaft in Kauf nehmen werde, bis die Verpflichtung zurückgenommen sei. Der Staatssicherheit blieb letztlich nichts anderes übrig, als die Verpflichtung für nichtig zu erklären. Herbigs Mut und Aufrichtigkeit zeigen, dass letztlich die Macht der Staatssicherheit selbst hinter Kerkermauern ihre Grenzen hatte.
Nach seiner Freilassung Mitte 1958 entschied sich Herbig, um der Sicherheit seiner Familie willen, zur Flucht in den Westen. Über die noch halboffene Grenze zu West-Berlin gelang es ihm, mit Frau und Kindern zu entkommen. Die Erfahrungen im Flüchtlingslager in Berlin-Zehlendorf und die Konfrontation mit anderen Verfolgtenschicksalen trieben ihn dazu an, sich für die Situation der am 17. Juni Beteiligten, der Verhafteten und Verfolgten einzusetzen. Neben seiner Tätigkeit im Botanischen Garten in Berlin-Steglitz und der späteren Arbeit als Personalrat, engagierte er sich unermüdlich für die Verwirklichung der Ziele, die den Aufstand von 1953 bestimmten. Mit anderen Gefährten bereitete er die Gründung des „Arbeitskreises 17. Juni“ vor, der im Juni 1962 ins Leben trat und dessen Vorsitzender er wurde. Der Arbeitskreis war im Rahmen des „Kuratoriums unteilbares Deutschland“ tätig. Neben den Tagungen des Kuratoriums, die der Arbeitskreis mit eigenen Treffen verband, gab es zahlreiche weitere Arbeitsschwerpunkte. Das Wachhalten der Erinnerung an die Ereignisse und das Schicksal der Beteiligten, die politische Bildungsarbeit und die Interessenvertretung der Widerständler gehörten zu den wichtigsten Aufgaben in der jahrzehntelangen Aktivität des Arbeitskreises. Waren zu Beginn noch 2.100 Beteiligte aktiv, so sind es heute nur noch wenige Dutzend.
Nach dem Ende der DDR setzten die Mitglieder des Arbeitskreises ihr Engagement fort und erstritten ein Denkmal für den 17. Juni 1953 in der Berliner Leipziger Straße, am historischen Ort der Geschehnisse. Herbig wurde für seine Verdienste um die deutsche Einheit mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet.
Werner Herbig starb 2008 in Berlin.