Literaturkritiker und Literaturhistoriker (Schwerpunkt: Leben und Werk des Schriftstellers Joseph Conrad-Korzenowski), Publizist, Politiker; 1976 Gründer der Polnischen Unabhängigkeitsallianz, 1982–87 Direktor des polnischen Programms von Radio Freies Europa, 1990–92 Vorsitzender des Bürgerkomitees beim Vorsitzenden der Solidarność; Pseudonyme: „Exul“, „Bogusław Grodzicki“, „Marian Kowalski“, „Bronisław Lasocki“, „Socjusz“.

Zdzisław Najder wurde 1930 in Warschau geboren, wo er ab 1949 Polonistik und Philosophie studierte. 1952 schrieb er unter dem Pseudonym „Bogusław Grodzicki“ im „Tygodnik Powszechny“ (Allgemeines Wochenblatt). Aus diesem Grund erhielt er keine Zulassung zur Magisterprüfung, was gleichbedeutend mit der Relegierung von der Hochschule war. Sein Studium konnte er erst 1954 abschließen. 1952–57 war er Assistent am Institut für Literaturwissenschaft der Polnischen Akademie der Wissenschaften und 1958/59 am Lehrstuhl für Ästhetik der Warschauer Universität. 1957/58 beteiligte er sich am Klub des Krummen Kreises (Klub Krzywego Koła; KKK), 1957–83 war Mitglied des Polnischen Schriftstellerverbandes und seit 1958 auch im polnischen P.E.N.-Club.

Während Auslandsaufenthalten im Jahr 1957 nahm Najder mit der Londoner und Pariser politischen Emigration Kontakt auf. Im Herbst desselben Jahres fing die Staatssicherheit einen Brief von ihm an Jerzy Giedroyc, den Redakteur der Pariser Exilzeitschrift „Kultura“, ab, in dem er die Situation in Warschau nach der Schließung der Zeitschrift „Po prostu“ (Geradeheraus) beschrieb. Najder wurde vorgeworfen, mit Emigrationskreisen zusammenzuarbeiten, und verhört. Anfang 1958 unterschrieb er eine Verpflichtungserklärung zur Zusammenarbeit mit der Sicherheitsdienst (Deckname „Zapalniczka“/Feuerzeug) in der Absicht – wie er sagte –, die Geheimpolizei zu desinformieren und seine Bekannten warnen zu können, dass sie verfolgt oder überwacht würden (er informierte unter anderen den in London lebenden Dichter und Übersetzer Bolesław Taborski darüber, dass er der Spionage verdächtigt wurde, und 1958 seine Kollegen aus dem Klub des Krummen Kreises, dass sie observiert wurden).

Im Sommer 1958 zog er sich aus dem Klub des Krummen Kreises zurück, weil er befürchtete, den übrigen Mitgliedern zu schaden. Über seine Kontakte zur Staatssicherheit informierte er seine Freunde Jan Olszewski und Jan Józef Szczepański. Als sich Najder 1959 im Ausland befand, wurde ihm auf Anweisung des Innenministeriums an der Warschauer Universität gekündigt. Ab dieser Zeit konnte er in Polen keine akademische Tätigkeit mehr aufnehmen.

Nachdem er von einem Stipendienaufenthalt in England (1961–63) zurückgekehrt war, lehnte er jede weitere Zusammenarbeit mit dem Staatssicherheitsdienst ab. In den folgenden Jahren lehrte er polnische und englische Literatur und Philosophie an Universitäten im Ausland.

Im Mai 1975 veröffentlichte er unter dem Pseudonym „Marian Kowalski“ in der Pariser Exilzeitschrift „Kultura“ (Nr. 5) den Artikel „Von der Notwendigkeit eines Programms“ (O potrzebie programu), in dem er an die Emigration appellierte, ein Programm zur Erlangung der Unabhängigkeit zu formulieren, das Initialzündung für die Zusammenarbeit von Arbeitern und Intellektuellen in Polen sein könne. Grundlage eines solchen Programmes müsse die Erkenntnis sein, dass Polen seine völlige Unabhängigkeit nicht ohne Unterstützung einer der Großmächte erreichen werde.

Najder unterschrieb den Brief der 101 vom 31. Januar 1976, der beim Verfassungsausschuss des Sejms gegen geplante Verfassungsänderungen protestierte. Im gleichen Jahr gründete er die konspirative Polnische Unabhängigkeitsallianz (Polskie Porozumienie Niepodległościowe; PPN), deren Programm er gemeinsam mit Jan Olszewski, Jan Zarański und Wojciech Karpiński verfasste. Es erschien am 3. Mai 1976 im Londoner Exil im „Tygodnik Polski“ (Polnische Wochenzeitung), einige Tage später als maschinengeschriebenes Manuskript in Polen und im Juli 1976 in der Pariser Exilzeitschrift „Kultura“. Als Ziele der Polnischen Unabhängigkeitsallianz wurden genannt: die Erringung der Souveränität Polens – womit die völlige Unabhängigkeit von der Sowjetunion und der Austritt aus dem Warschauer Pakt verbunden wären –, die Einführung der Demokratie, die Garantie von Bürgerrechten, Meinungs- und Versammlungsfreiheit und die Zulassung eines Privatsektors in der Wirtschaft. Neben der Unterstützung der Unabhängigkeitsbewegungen in der Ukraine, Belarus und Litauen wurde auch die Versöhnung mit den Deutschen gefordert, die Voraussetzung für den Beitritt zur Europäischen Gemeinschaft wäre. (In späteren Veröffentlichungen der Polnischen Unabhängigkeitsallianz wurde die These formuliert, die Unabhängigkeit Polens sei Voraussetzung für die Vereinigung Deutschlands und die Vereinigung Deutschlands wiederum sei Voraussetzung für die Unabhängigkeit Polens.)

Joanna Rutkowska
Aus dem Polnischen von Markus Pieper und Wolfgang Templin
Letzte Aktualisierung: 05/23