Glossar

Danziger Vereinbarung

Eine von drei im Streiksommer 1980 unterzeichneten Vereinbarungen zwischen der polnischen Regierung und den streikenden Arbeitern (Stettin 30. August, Danzig 31. August, Jastrzębie 3. September). Die Vereinbarungen bildeten die Grundlage für die Gründung der Solidarność. Hinter der Danziger Vereinbarung stand die größte Anzahl von Betrieben (vertreten durch das Überbetriebliche Streikkomitee), und es war in politischer Hinsicht das ausgereifteste und für die Protestierenden vorteilhafteste Verhandlungsergebnis. Im ersten Punkt heißt es: „Die Tätigkeit der Gewerkschaften in der Volksrepublik Polen hat die Hoffnungen und Erwartungen der Arbeiter nicht erfüllt. Es erscheint sinnvoll, neue, selbstverwaltete Gewerkschaften zu berufen, die eine authentische Vertretung der werktätigen Klasse darstellen.“

Die Regierungsseite erkannte den gewerkschaftlichen Pluralismus an, und das Überbetriebliche Streikkomitee sollte zum Gründungskomitee neuer Gewerkschaften werden und das Recht besitzen, eigene Publikationen herauszugeben. Den Arbeitern wurde das Streikrecht zugestanden, die neuen Gewerkschaften sollten jedoch die sozialistische Gesellschaftsordnung und die führende Rolle der Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei anerkennen sowie das „bestehende internationale Bündnissystem“ nicht infrage stellen. Die Vereinbarung garantierte Streikenden außerdem Sicherheit, sah eine gesetzliche Regelung zur Beschränkung der Zensur sowie die sonntägliche Übertragung einer heiligen Messe im Radio vor. Die Kündigungen, die nach den Streiks im Dezember 1970 und im Juni 1976 ausgesprochen worden waren, sollten zurückgenommen, die politischen Häftlinge und die im Zusammenhang mit den Streiks Verhafteten wieder auf freien Fuß gesetzt werden. Die Regierungsseite verpflichtete sich, „das Recht der freien Meinungsäußerung im öffentlichen und beruflichen Leben voll und ganz respektieren zu wollen“.

Seitens der Streikenden unterzeichnete das Präsidium des Überbetrieblichen Streikkomitees, bestehend aus Lech Wałęsa (Vorsitzender), Andrzej Kołodziej und Bogdan Lis (beide stellvertretende Vorsitzende) das Dokument sowie die Mitglieder Lech Bądkowski, Wojciech Gruszewski, Andrzej Gwiazda, Stefan Izdebski, Jerzy Kwiecik, Zdzisław Kobylińksi, Henryka Krzywonos, Stefan Lewandowski, Alina Pieńkowska, Józef Przybylski, Jerzy Sikorski, Lech Sobieszek, Tadeusz Stanny, Anna Walentynowicz und Florian Wiśniewski. Die Regierungsseite repräsentierten Mieczysław Jagielski (Vizepremier), Zbigniew Zieliński, Tadeusz Fiszbach (Erster Sekretär der Danziger Woiwodschafts-Parteileitung) und Jerzy Kołodziejski (Woiwode von Danzig). Großen Einfluss auf die Verhandlungsergebnisse hatten auch das Expertenteam mit Tadeusz Mazowiecki an der Spitze, der Hauptorganisator des Streiks Bogdan Borusewicz sowie Lech Kaczyński.

Auf Basis der Danziger Vereinbarung formierten sich im ganzen Land von der kommunistischen Partei unabhängige Gewerkschaften. Am 17. September 1980 gründeten die Vertreter der verschiedenen Regionen in Danzig die Unabhängige Selbstverwaltete Gewerkschaft Solidarność. Die Staats- und Parteiführung kündigte die Vereinbarung am 13. Dezember 1981 mit der Ausrufung des Kriegsrechts auf.

Bartosz Kaliski, Jan Skórzyński

Dekret des Präsidiums des Obersten Sowjets der UdSSR vom 25. Dezember 1972

Das Dekret Nr. 3707-VIII „Über die Erteilung von Verwarnungen durch die Staatssicherheitsorgane als Mittel zur prophylaktischen Einflussnahme“ wurde erlassen, um gegen sogenannte „Erscheinungsformen von Abweichung“ vorgehen zu können. Es regelte, dass Personen, deren „Handeln an die Verübung einer Straftat grenzte“, von den Staatssicherheitsorganen über eine drohende Strafe vorab verwarnt werden konnten. Die bislang angewandten Einflussnahmen wie Gespräche oder öffentliche Kritik auf Versammlungen waren aus der Sicht der Behörden nicht effektiv, da sie von den Dissidenten ignoriert wurden, solange sie keine Folgen nach sich zogen. Das Dekret erteilte den Sicherheitsorganen nunmehr das Recht, Personen zu verhaften, die verwarnt werden sollten, sich aber der Vorladung entzogen. Bei der Erteilung einer Verwarnung wurde ein Protokoll angefertigt, das die verwarnten Personen unterzeichnen mussten. Im Fall eines späteren Strafverfahrens wurde dieses Protokoll den Prozessakten beigefügt. Bis Mitte der 80er Jahre wurde das Dekret als psychologisches Druckmittel gegen Dissidenten eingesetzt. Der Text des Dekretes war öffentlich nicht zugänglich.

Dekret von 1956

Die Anordnung Nummer 0-134/42 des Präsidiums des Obersten Sowjets der UdSSR vom 28. April 1956 „Über die Aufhebung der Einschränkungen, die sich aus der Umsiedlung der Krimtataren, Balkaren, Turk-Mescheten und anderen ergeben“, hob die Auflagen der Verbannung und der administrativen Beaufsichtigung der umgesiedelten Völker auf, sah jedoch nicht ihre Rückkehr in die ursprünglichen Heimatregionen vor.

Dekret von 1967

Die Anordnung Nummer 493 des Präsidiums des Obersten Sowjets der UdSSR vom 5. September 1967 „Über ehemals auf der Krim ansässige Bürger tatarischer Nationalität“ hob frühere Anordnungen der Staatsbehörden mit zum Teil verallgemeinernden Anschuldigungen gegen Krimtataren auf und unterstrich zugleich ihre dauerhafte Ansiedlung auf dem Gebiet der Usbekischen SSR und anderer Unionsrepubliken.

Demokratische Bewegung der Sowjetunion

Untergrundorganisation von Dissidenten aus dem estnischen Tallinn mit dem Ziel, die Aktivitäten aller Oppositionsströmungen in der UdSSR zu koordinieren. Die Gründer Artem Juskevitš und Sergei Soldatow verfassten im Oktober 1969 das „Programm der Demokratischen Bewegung der Sowjetunion“ (Programma Demokratičeskogo Dviženia Sovetskogo Sojuza), das von Demokraten aus Russland, der Ukraine und den baltischen Staaten unterzeichnet wurde. 1970 erschien die Schrift „Taktische Grundsätze der Demokratischen Bewegung der Sowjetunion“ (Taktičeskie osnowy Demokratičeskogo Dviženia Sovetskogo Sojuza). In beiden Texten sprachen sich die Autoren gegen öffentliche Formen des Widerstands aus und empfahlen allen Dissidenten, konspirative Handlungsmethoden anzuwenden.

Die Texte, die in der UdSSR verbreitet und im Westen veröffentlicht wurden, riefen starke kritische Reaktionen im ukrainischen und russischen Samisdat hervor. Die Autoren wurden für ihre konspirativen Neigungen getadelt und beispielsweise in Nr. 14 der „Chronik der laufenden Ereignisse“ mit den Hauptfiguren des Romans „Böse Geister“ von Fjodor Dostojewski verglichen. Nr. 3 des „Ukrainischen Boten“ (Ukrains‘kyj vysnik) distanzierte sich vom Programm der „Demokratischen Bewegung“ wegen des Verdachts, dass es sich bei den ukrainischen Unterzeichnern in Wirklichkeit um Russen oder russifizierte Ukrainer handele.

Die „Demokratische Bewegung der Sowjetunion“ gab die unabhängige Zeitschrift „Demokrat“ in russischer Sprache heraus, von der sieben Ausgaben erschienen. Das „Programm“ und „Die taktischen Grundsätze“ beeinflussten die Form der Grundsatzdokumente der „Estnischen Demokratischen Bewegung“.

Demokratische Initiative

Unabhängige Initiative, deren Entstehung auf eine Unterschriftensammlung für mehr Demokratie in der Tschechoslowakei zurückgeht. Den Brief, der am 18. September 1987 an die Abgeordneten des tschechoslowakischen Parlaments geschickt wurde, unterschrieben 50 Personen. An der Spitze dieser Initiative stand eine Gruppe ehemaliger Mitarbeiter der Literaturzeitschrift „Tvář“ (Gesicht): Bohumil Doležal, Emanuel Mandler und Karel Štindl. Die „Tschechoslowakische Demokratische Initiative“ (Československá demokratická iniciativa) vertrat liberal-demokratische Standpunkte und knüpfte an die Tradition der Ersten Tschechoslowakischen Republik aus der Zwischenkriegszeit an, insbesondere an das Erbe des politischen Realismus von Staatspräsident Tomáš G. Masaryk. In ihren Texten, die sie in den Zeitschriften „Zpravodaj Demokratické iniciativy“ (Bericht der Demokratischen Initiative), „Glosář“ (Glossar) und „Pohledy“ (Ansichten) publizierten, forderten sie die Einführung der pluralistischen Demokratie.

1989 wollte die Gruppe ihre Aktionen über Prag hinaus ausdehnen und eine repräsentative Organisation für die gesamte tschechoslowakische Opposition aufbauen. Im September entschieden sich die Mitglieder dazu, die Demokratische Initiative in eine politische Partei umzuwandeln und gründeten die „Tschechoslowakische Demokratische Initiative“. Im November traten ihre Mitglieder dem Bürgerforum (Občanské fórum; OF) bei, waren dort jedoch nur eine von sehr vielen Stimmen und blieben ohne entscheidenden Einfluss. 1990 änderte die Partei ihren Namen in „Liberal-Demokratische Partei“. Sie spielte in der politischen Landschaft der Tschechoslowakei aber nur eine untergeordnete Rolle. Später schloss sie sich der „Demokratischen Bürgerallianz“ (Občanská demokratická aliance; ODA) an.

Demonstration am 14. April 1978

Als am 14. April 1978 auf der Sitzung des Obersten Sowjets der Georgischen SSR, eine neue Verfassung für die Sowjetrepublik verabschiedet werden sollte, fand in Tiflis eine nicht genehmigte Massendemonstration statt. Rund 10.000 Teilnehmer protestierten gegen das im Verfassungsentwurf formulierte Vorhaben, andere Sprachen dem bisher als Amtssprache geltenden Georgisch gleichzustellen und damit der russischen Sprache fortan faktisch eine Vorrangstellung einzuräumen. Am Vortag der Sitzung des Obersten Sowjets wurden an der Universität und anderen öffentlichen Orten Flugblätter mit der Forderung ausgelegt, den Verfassungsartikel über das Georgische als Amtssprache beizubehalten, und die zur Teilnahme an der Demonstration am 14. April 1978 aufriefen. An der Vorbereitung und Durchführung der Demonstration waren auch die Mitglieder des Kampfbunds zur Befreiung Georgiens beteiligt. Die Demonstration begann vor dem Gebäude der Universität, die Teilnehmer durchbrachen Polizeiketten und liefen bis zum Regierungsgebäude, vor dem eine Kundgebung stattfand. Am Nachmittag des 14. April 1978 entschied der Oberste Sowjet der Georgischen SSR auf einer außerplanmäßigen Sitzung, Artikel 75 der alten Verfassung, der Georgisch als Amtssprache festlegte, ohne Änderungen beizubehalten. Die Abgeordneten selbst feierten den Beschluss mit langanhaltendem Beifall, und der Erste Sekretär des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Georgiens Eduard Schewardnadse verkündete den Demonstranten persönlich die Entscheidung. Es handelte sich um einen in der Geschichte der UdSSR beispiellosen Vorgang und eine Ermutigung für die georgische Opposition.

Demonstration auf dem Puschkin-Platz

Friedliche Demonstration für Menschenrechte am 22. Januar 1967 auf dem Puschkin-Platz in Moskau, die von Wladimir Bukowski organisiert wurde. Am Denkmal von Alexander Puschkin versammelte sich eine etwa 30-köpfige Gruppe von jungen Menschen mit Transparenten. Gefordert wurde die Freilassung der aus politischen Gründen verhafteten Dissidenten Alexander Ginsburg, Wera Laschkowa und Alexei Dobrowolski, die später im Prozess der Vier angeklagt wurden. Verlangt wurde außerdem die Streichung der neuen Strafvorschriften, da diese gegen die Verfassung verstießen: Artikel 70 Strafgesetzbuch der RSFSR und der damals erst kürzlich eingeführte Artikel 190, Paragraf 1 Strafgesetzbuch der RSFSR sowie Paragraf 3 desselben Artikels.

Die Initiatoren und wichtigsten Teilnehmer an der Demonstration, Wladimir Bukowski, Ilja Gabaj, Wadim Delone, Jewgeni Kuschew und Wiktor Chaustow wurden verhaftet. Vier von ihnen wurden nach Artikel 190, Paragraf 3 Strafgesetzbuch der RSFSR, gegen den sie protestiert hatten, vor Gericht gebracht. Wladimir Bukowski und Wiktor Chaustow wurden zu drei Jahren Lagerhaft verurteilt. Pawel Litwinow stellte Materialien zu dieser Demonstration, zum Untersuchungsverfahren, zum Prozess und dessen Beteiligten sowie zu den Reaktionen der Gesellschaft im Band „Rechtsstaatlichkeit oder Vergeltung?“ (Pravosudie ili rasprava?) zusammen, der im Samisdat herausgegeben und 1968 im Ausland nachgedruckt wurde.

Demonstration der Sechs

Am 6. Juni 1969 fand während der Internationalen Konferenz der kommunistischen Parteien und Arbeiterparteien auf dem Moskauer Majakowski-Platz eine krimtatarische Kundgebung statt. Die sechs Teilnehmer, Enwer Ametow, Sampira Asanowa, Ibrahim Cholapow, Reschat Dschemilew, Ajder Zejtulajew und Irina Jakir, wurden von der Polizei verhaftet und mit Ausnahme von Jakir, die in Moskau ansässig war, der Stadt verwiesen.

Demonstration der Sieben

Kundgebung russischer Dissidenten aus Protest gegen den Einmarsch von Truppen des Warschauer Paktes in die Tschechoslowakei am 25. August 1968 (vier Tage nach dem Einmarsch) auf dem Roten Platz in Moskau. An der Demonstration beteiligten sich Konstantin Babizki, Larissa Bogoras, Wadim Delone, Wladimir Dremluga, Wiktor Fajnberg, Natalja Gorbanewskaja und Pawel Litwinow sowie als achte Person Tatjana Bajewa. In der Literatur hat sich dennoch die Bezeichnung „Demonstration der Sieben“ durchgesetzt. Die Demonstranten trafen sich mittags am „Lobnoe mesto“, der historischen Hinrichtungsstätte auf dem Roten Platz, und hielten Plakate mit Losungen auf Tschechisch und Russisch hoch: „Schande den Besatzern“, „Hände weg von der ČSSR“, „Für eure und unsere Freiheit“ sowie „Es lebe die freie und unabhängige Tschechoslowakei“.

Die Demonstranten wurden mit Ausnahme von Natalja Gorbanewskaja, die mit ihrem Säugling auf den Platz gekommen war, sofort verhaftet. Fünf von ihnen wurden im Oktober 1968 nach Artikel 190, Paragraf 1 Strafgesetzbuch der RSFSR und Paragraf 3 desselben Artikels verurteilt. Keiner von ihnen legte ein Schuldgeständnis ab. Der sechste, Wiktor Fajnberg, der während der Haft brutal zusammengeschlagen worden war, wurde für psychisch krank erklärt und fast vier Jahre in eine psychiatrische Klinik gesperrt.

Die „Demonstration der Sieben“ und der anschließende Prozess gegen die Teilnehmer rief internationale Aufmerksamkeit hervor. Natalja Gorbanewskaja stellte eine Dokumentation dieser Ereignisse unter dem Titel „Zwölf Uhr mittags. Das Verfahren wegen der Demonstration am 25. August 1968 auf dem Roten Platz“ (Polden. Delo o demonstracii 25 avgusta 1968 na Krasnoj ploščadi) zusammen. Diese wurde im sowjetischen Samisdat verbreitet und in verschiedenen Sprachen auch im Ausland herausgegeben.

Deportation der Krimtataren

Im Mai 1944 wurden über 190.000 Krimtataren zwangsumgesiedelt. Hauptziel war die Usbekische SSR. Begründet wurde die Aktion mit dem Vorwurf, während der Besatzung der Krim durch deutsche Truppen mit den Nationalsozialisten kollaboriert zu haben. Die Deportation wurde vom 18. bis zum 20. Mai 1944 von Einheiten des NKWD auf der Grundlage einer Anweisung des Staatlichen Verteidigungskomitees vom 11. Mai 1944 durchgeführt.

Dezember 1970

Durch Preiserhöhungen hervorgerufene Streiks und Protestdemonstrationen von Arbeitern in verschiedenen Städten an der polnischen Ostseeküste. Die Ereignisse gehören zu den gewaltsamsten und blutigsten Protesten in der gesamten Nachkriegsgeschichte Polens. Nach der Verkündung von Preiserhöhungen traten am 14. Dezember 1970 die Arbeiter der Danziger Lenin-Werft in den Streik. Ein Demonstrationszug von mehreren Tausend Arbeitern marschierte in Richtung Woiwodschafts-Parteileitung, wo jedoch niemand mit ihnen reden wollte. Am Nachmittag kam es an vielen Stellen der Stadt zu Zusammenstößen mit den Ordnungskräften, Barrikaden wurden errichtet, einzelne Autos gingen in Flammen auf. Am 15. Dezember hatte der Streik alle wichtigen Betriebe in der Dreistadt Danzig-Gdynia-Sopot erfasst. In Danzig attackierten die Werftarbeiter, die eine Freilassung ihrer in der Nacht verhafteten Kollegen verlangten, das städtische Polizeipräsidium – dort fielen auch die ersten Schüsse und es gab die ersten Todesopfer. Später setzten die Protestierenden den Sitz der Parteileitung in Brand und zogen sich auf das Werftgelände zurück, das sie besetzten. Einer der Danziger Streikführer war Lech Wałęsa.

In Gdynia verliefen die Proteste friedlicher. Die von Edmund Hulsz angeführten Streikenden trafen eine Vereinbarung mit den städtischen Behörden, die zusicherten, sich mit den Forderungen der Arbeiter zu beschäftigen. Es formierte sich das Hauptstreikkomitee der Stadt Gdynia (Główny Komitet Strajkowy miasta Gdyni), deren Mitglieder jedoch in der Nacht verhaftet wurden.

Parteichef Władysław Gomułka traf die Entscheidung, mit Waffengewalt gegen die protestierenden Arbeiter vorzugehen. Etwa 25.000 Soldaten der polnischen Streitkräfte (inkl. Panzertruppen, Luftwaffe und Kriegsmarine) sowie Tausende Spezialeinsatzkräfte der Miliz (ZOMO) und des Staatssicherheitsdienstes wurden nach Danzig verlegt. Am 16. Dezember umstellten die Einsatzkräfte die Lenin-Werft und eröffneten das Feuer auf die Arbeiter. Es gab weitere Tote und Verletzte, der Streik wurde blutig niedergeschlagen. Der tragischste Tag des Konflikts war der 17. Dezember, als die Sicherheitskräfte auf dem Bahnhof Gdynia-Werft das Feuer auf wehrlose Arbeiter eröffneten, die sich auf dem Weg zur Arbeit befanden. Offiziellen Angaben zufolge wurden dabei 18 Personen erschossen.

An diesem Tag griffen die Proteste auch auf Stettin über. Auch dort wurden aus Demonstrationen schnell gewalttätige Auseinandersetzungen mit Miliz und Militär. Der Sitz der Parteileitung stand in Flammen, es gab zwölf Tote. Auch in Elbląg gingen die Sicherheitskräfte mit Waffengewalt gegen die Protestierenden vor. Am 18. Dezember gab es in Stettin die letzten Todesopfer der Dezemberproteste, daraufhin herrschte in der Stadt Generalstreik. Wichtigste Forderung war die Schaffung unabhängiger Gewerkschaften. Das von Edmund Bałuka angeführte Städtische Streikkomitee (Ogólnomiejski Komitet Strajkowy) erklärte die Proteste erst am 22. Dezember für beendet. Proteste gab es außer in den genannten Städten auch in Białystok, Krakau, Słupsk und Wałbrzych. Die meisten Toten waren jedoch in Gdynia und Stettin zu beklagen. Eine genaue Opferbilanz des Dezembers 1970 existiert bis heute nicht. Laut zugänglichen Quellen gab es insgesamt 45 Tote und 1.165 Verletzte. Die Verhafteten wurden von der Miliz brutal misshandelt und sahen sich auch noch in den Folgejahren zahlreichen Schikanen ausgesetzt.

Die Streikenden brachten nicht nur ökonomische, sondern auch soziale und politische Forderungen vor. So wurde ein Wechsel in der Partei- und Staatsführung verlangt. Am 20. Dezember übernahm auf dem VII. Plenum des ZK der Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei Edward Gierek den Posten des Ersten Sekretärs und löste damit Władysław Gomułka ab. Die endgültige Rücknahme der Preiserhöhungen für Lebensmittel erfolgte im Januar und Februar 1971 nach weiteren Streiks in Stettin und Łódź.

Bartłomiej Noszczak, Jan Skórzyński

Dichterlesungen auf dem Majakowski-Platz

Regelmäßig stattfindende Treffen von Jugendlichen zwischen 1958 und 1960 am Denkmal des Dichters Wladimir Majakowski im Zentrum von Moskau. Diese informelle Vereinigung von Lyrik-Freunden unter offenem Himmel entstand nach der Enthüllung des Denkmals im Juli 1958. Ab 1960 waren die Treffen literarisch-politische Kundgebungen. Die Teilnehmer, darunter Juri Galanskow, Wladimir Ossipow, Wladimir Bukowski und Ilia Bokstejn, rezitierten eigene Gedichte und hielten oppositionelle Reden. Es wurde die Gründung einer gegen das Regime gerichteten Untergrundgruppe diskutiert und sogar der Plan in Betracht gezogen, einen Terroranschlag auf Staats- und Parteichef Nikita Chruschtschow zu verüben.

Ab Frühjahr 1961 trieb die Polizei mit Hilfe des Kommunistischen Jugendverbandes „Komsomol“ die Menschen auf dem Platz auseinander. Zwischen August und Oktober 1961 verhafteten die Sicherheitsorgane vier herausragende Aktivisten der Dichterlesungen: Eduard Kusnezow, Wladimir Ossipow, Ilia Bokstejn und Anatoli Iwanow. Die Lesungen wurden abgebrochen. Die 1965 gegründete Literatur- und Künstlergruppe SMOG stellte sich in die Tradition der Lesungen. Die Treffen auf dem Majakowski-Platz („Majakowka“, „Majak“) regten auch die Verlagstätigkeit im Untergrund an: Es erschienen mehrere unabhängige literarisch-essayistische Anthologien wie „Feniks“ (Phönix), „Bumerang“ und „Koktejl‘“ (Cocktail).

„Dievas ir Tėvynė“

Die litauische, national-katholische Zeitschrift „Dievas ir Tėvynė“ (Gott und Vaterland), erschien unter Umgehung der Zensur von April 1976 bis 1981 im damaligen Kapsukas (vor 1955 und heute: Marijampolė). Publiziert wurden 19 Ausgaben mit je etwa 40 Seiten. Die durch Mitglieder des Marianer-Ordens herausgegebene Zeitschrift verteidigte christliche Werte und stellte sich der Säkularisierungs- und Russifizierungspolitik in den Schulen entgegen. Veröffentlicht wurde Lyrik litauischer Emigranten und Erinnerungen an den bewaffneten Widerstand in Litauen nach dem Krieg. Die Zeitschrift wurde in den USA nachgedruckt.

Dobosch-Fall

Jaroslaw Dobosch, belgischer Staatsbürger ukrainischer Herkunft und Mitglied des Ukrainischen Jugendbunds im Exil, wurde am 4. Januar 1972 in Kiew durch Sicherheitsorgane der Ukrainischen SSR verhaftet. Ihm wurde vorgeworfen, „Verbindungsperson zwischen antisowjetischen Einrichtungen im Exil und ihren Agenten“ zu sein. Damit gemeint waren ukrainische Dissidenten, die er einige Tage zuvor getroffen hatte. Auf einer vom KGB organisierten Pressekonferenz am 2. Juni 1972 legte er ein entsprechendes Geständnis ab. Kurz darauf erfolgte seine Ausweisung aus der UdSSR. Nach seiner Rückkehr nach Belgien distanzierte sich Dobosch öffentlich von seinem Geständnis, das er nach eigener Aussage unter Zwang abgelegt habe. Die Operation der Sicherheitsorgane der Ukrainischen SSR bildete den Auftakt zur Zweiten Verhaftungswelle.

Drei-Kreuze-Berg

Die ersten Kreuze auf diesem Berg in Wilna an der Mündung der Vilnia in die Neris wurden im 17. Jahrhundert errichtet: In Erinnerung an der Sage nach von Heiden getötete französische Missionare aus dem 14. Jahrhundert entstanden drei Holzkreuze. 1916 schuf der Bildhauer und Architekt Antoni Wiwulski an gleicher Stelle drei Kreuze aus Stahlbeton. Im Sommer 1950 ließen die sowjetischen Behörden das Denkmal des Drei-Kreuze-Berges (Trijų kryžių kalnas) sprengen, 1989 wurde es wiedererrichtet.

Dritte Welle

Begriff, der in der russischen Historiografie zur Bezeichnung von Emigranten aus der UdSSR genutzt wurde, die das Land in den 70er und 80er Jahren verließen. Mit „erster Welle“ wird die Emigration während Revolution und Bürgerkrieg zwischen 1917 und 1922 bezeichnet und mit „zweiter Welle“ der Verbleib Hunderttausender außer Landes, die sich in Folge des Zweiten Weltkrieges im Westen wiederfanden. Unter den Emigranten der „dritten Welle“ (tret‘ja volna) waren viele bekannte Dissidenten, auf die die sowjetischen Behörden ständig den Druck erhöhten, um sie zum Verlassen des Landes zu bewegen. Oppositionellen, die eine Genehmigung für eine zeitweilige Ausreise erhielten, wurde während ihres Auslandsaufenthalts oftmals die Staatsbürgerschaft entzogen; andere wurden zwangsausgewiesen.