Larissa Bogoras (auch Bogoras-Bruchman) wurde am 8. April 1929 in Charkow (Charkiw) geboren. Ihre Eltern waren Parteimitglieder und arbeiteten im sowjetischen Partei- und Staatsapparat. Ihr Vater wurde 1936 unter dem Vorwurf sogenannter trotzkistischer Umtriebe zu fünf Jahren Lagerhaft verurteilt. Während ihres Studiums der Linguistik ab 1946 an der Universität in Charkow lernte sie ihren Kommilitonen Juli Daniel kennen, den sie nach ihrem Studienabschluss 1950 heiratete und mit dem sie gemeinsam nach Moskau zog. Bis 1961 arbeitete Bogoras als Russischlehrerin in einer Schule. In den Jahren 1961–64 promovierte sie in Linguistik und lehrte bis 1965 Sprachwissenschaft an der Universität Nowosibirsk.
Laut Bogoras selbst gab es drei entscheidende Ereignisse, die ihre allmähliche Distanzierung zum Regime einleiteten. Dazu gehörte zum einen ihre Bekanntschaft mit Juli Daniel, und seinem Freundeskreis, in dem offen über Politik, Kunst und Lyrik diskutiert wurde. Nicht zuletzt diese Gespräche veranlassten Bogoras 1948 ihren Vater, zu dem sie nach seiner Verurteilung 1936 keinen Kontakt mehr hatte, an seinem Verbannungsort in Workuta zu treffen. Einschneidend war schließlich der Tod ihrer Mutter 1950, die infolge der staatlicherseits initiiereten antisemitischen Kampagne nach dem Krieg ihre Arbeit verloren und dies als schwere Demütigung empfunden hatte. Bogoras veranlasste das, ihren eigenen Worten folgend, ein System zu hinterfragen, das seine treuesten Bürger verstieß.
Als im September 1965 ihr Mann Juli Daniel (mit dem sie bereits in Trennung lebte) verhaftet und angeklagt wurde , organisierte sie gemeinsam mit Maria Rosanowa, der Frau des Mitangeklagten Andrei Sinjawski, Solidaritätsaktionen für die beiden Schriftsteller. Der Prozess gegen Andrei Sinjawski und Juli Daniel war für sie der Beginn ihres systematischen Engagements für Menschenrechte.
1966 und 1967 besuchte sie Juli Daniel, der seine Strafe in den mordwinischen Lagern absaß, regelmäßig. Ihre Moskauer Wohnung wurde Anlaufstelle für die Angehörigen von politischen Gefangenen und die politisch Verfolgten selbst, wenn sie aus dem Lager entlassen wurden. Auf diese Weise lernte sie 1966 Anatoli Martschenko kennen, der nach seiner Entlassung aus der Haft bei ihr unterkam und mit dem sie später liiert war. 1973 heirateten sie und hatten ein gemeinsames Kind.
Bogoras war die erste, die in öffentlichen Appellen und offenen Briefen auf das Problem der politischen Gefangenen in der UdSSR aufmerksam machte. Sie beschrieb ihre Motivation für ihr Engagement folgendermaßen: „Eine wahnsinnige Wut verzehnfachte meine Kräfte und löschte in mir jegliche Angst aus. Ich wollte stärker sein als sie, stärker als der KGB, der Staat, die Macht, diese Ungeheuer, die meinen Vater und meinen Mann verhaftet hatten. Dafür musste ich die Öffentlichkeit informieren und mobilisieren, in der UdSSR und im Ausland.“
Inzwischen war die Zusammenarbeit der noch Mitte der 60er Jahre vereinzelt agierenden Gruppen, Zirkel und Freundeskreise weit vorangeschritten. Es entwickelte sich eine gesellschaftliche Bewegung, aus der dann die russische Menschenrechtsbewegung hervorging, in der Bogoras eine zentrale Rolle spielte. Ein Meilenstein war der im Januar 1968 gemeinsam mit Pawel Litwinow verfasste Appell an die Weltöffentlichkeit – ein Protest gegen die massiven Rechtsverstöße beim Prozess der Vier gegen Alexander Ginsburg, Juri Galanskow, Alexei Dobrowolski und Wera Laschkowa und der erste direkt an die Öffentlichkeit gerichtete Aufruf, sich für die Verteidigung der Menschenrechte in der Sowjetunion einzusetzen. Durch die wiederholte Ausstrahlung des Appells in westlichen Medien wurde er auch innerhalb der sowjetischen Landesgrenzen bekannt. Viele Menschen solidarisierten sich mit den Verfassern des Dokuments und schlossen sich später selbst der Menschenrechtsbewegung an.
Am 25. August 1968 beteiligte sich Bogoras an der Demonstration der Sieben auf dem Roten Platz in Moskau, die sich gegen den Einmarsch von Truppen des Warschauer Pakts in die Tschechoslowakei richtete. Die Teilnehmer der Aktion wurden verhaftet und gemäß Artikel 190, Paragraf 1 Strafgesetzbuch der RSFSR („Verleumdung des sowjetischen Systems“) und Artikel 190, Paragraf 3 Strafgesetzbuch der RSFSR („Störung der öffentlichen Ordnung“) zu vier Jahren Verbannung in Sibirien verurteilt. Dort war sie unter schweren Arbeitsbedingungen und bei prekärer Versorgung in der Holzverarbeitung beschäftigt; sie erlitt Erfrierungen und entwickelte Magengeschwüre.
Nach ihrer Rückkehr nach Moskau 1972 fand sie keine Anstellung in ihrem Beruf und arbeitete als Reinigungskraft und Nachtwächterin. Sie engagierte sich nicht unmittelbar in den inzwischen entstandenen dissidentischen Vereinigungen (erst 1979/80 wurde sie Mitglied im Solidaritätskomitee für Tatjana Welikanowa), nahm aber ihr eigenes Engagement für Freiheit, Menschenrechte und Demokratie wieder auf. So war sie Mitunterzeichnerin des Moskauer Appells gegen die Ausweisung Alexander Solschenizyns aus der UdSSR. In einem persönlichen, offenen Brief an KGB-Chef Juri Andropow kündigte sie an, selbst Informationen über die stalinistischen Verfolgungen zusammenzutragen, da keine Hoffnung bestehe, dass der KGB freiwillig seine Archive öffne. Ihre Idee war einer der Impulse zur Gründung der unabhängigen, historisch orientierten Samisdat-Zeitschrift „Pamjat“ (1976–84), an deren Herausgabe sie beteiligt war.
Selten publizierte Bogoras Artikel im Ausland. 1976 veröffentlichte sie (zusammen mit Anatoli Martschenko) unter dem Pseudonym „M. Trusewitsch“ in der Zeitschrift „Kontinent“ den Beitrag „Tertium datur – Tretje dano“ („Es gibt ein Drittes“), bei dem es um Fragen der internationalen politischen Entspannung ging. Anfang der 80er Jahre erregte Bogoras Aufsehen, als sie die britische Regierung zu einer menschenwürdigen Behandlung der inhaftierten IRA-Terroristen aufrief.
Der ständige Wechsel von Verhaftung und Entlassung ihres zweiten Mannes Anatoli Martschenko bedeutete für Bogoras eine starke emotionale Belastung. Eine Freundin sagte 1981 über sie: „Aber ich sehe die Augen von Larissa Bogoras. Anatoli kam wieder ins Gefängnis und in ihren Augen solche Verzweiflung.“ Mehrfach forderte Bogoras öffentlich eine umfassende Amnestie für politische Gefangene. Die letzte Kampagne, die sie im Oktober 1986 gemeinsam mit anderen Dissidenten startete, war zugleich die erfolgreichste: Im Januar 1987 begann die sowjetische Regierung unter Michail Gorbatschow mit der Entlassung politischer Häftlinge aus Gefängnissen und Lagern. Für ihren Mann kam diese Amnestie jedoch zu spät – er starb im Dezember 1986 im Gefängnis von Tschistopol an den Folgen eines Hungerstreiks.
In den Jahren der Perestroika und danach setzte Bogoras ihre Arbeit fort. Im Herbst 1989 wurde sie Mitglied der reaktivierten Moskauer Helsinki-Gruppe und leitete diese als deren Co-Vorsitzende bis 1996. Von 1993 bis 1997 war sie Vorstandsmitglied der russisch-amerikanischen Projektgruppe für Menschenrechte.
Larissa Bogoras engagierte sich bis kurz vor ihrem Tod am 6. April 2004 in Moskau.