Thematische Werkstätten, zunächst als neue selbstgestaltete Form von Gottesdiensten und Kulturersatz, fanden bald in verschiedenen Städten im Süden der DDR statt. Ende der 70er Jahre organisierten Schilling und Pfarrer Uwe Koch mit Jugendlichen der Region Großveranstaltungen in Rudolstadt, zu denen 1.000–2.000 Besucher kamen und die zu Vorläufern der Berliner Bluesmessen von Rainer Eppelmann wurden: „JUNE 78“ zum Thema Apartheid/Ausgrenzung mit dem Motto „Trau Dir selbst und dem anderen etwas zu“ und „JUNE 79“ in Bezug zum Uno-Jahr des Kindes. Im Jahr darauf folgte das staatliche Verbot und im Oktober 1980 die endgültige behördliche Schließung des Braunsdorfer Heims, nachdem dies bereits 1974 versucht und Schilling auf staatlichen Druck hin als Heimleiter abgesetzt worden war. Nun lieferten bauliche Mängel den Vorwand. Bedingt auch durch die DDR-Mangelwirtschaft konnte das Heim erst nach dem Ende der DDR modernisiert werden.

Vom Ministerium für Staatssicherheit (MfS) wurde Schilling schon seit den 50er Jahren als Nichtwähler überwacht. Als er sich 1963 in die Jugendpolitik einzumischen begann und neue Gesetze kritisierte, tauchten Stasi-Offiziere bei ihm auf. Als sie seine kritische Distanz zur SED-Politik feststellten, wurde er in verschiedenen Operativen Vorgängen (OV) „bearbeitet“, deren Bezeichnungen OV „Reaktionär“, OV „Plakat“ und OV „Spinne“ lauteten und während der Friedlichen Revolution 1989 zum Teil eilig von MfS-Angehörigen vernichtet wurden. Zersetzungsmaßnahmen zielten vor allem auf Schillings überregionale Tätigkeit, hier wurden auch doppelzüngige Amtsbrüder in der Kirchenleitung als inoffizielle Mitarbeiter (IM) der Staatssicherheit tätig. Fünf der neun Oberkirchenräte arbeiteten mit dem MfS zusammen. 1984 fand Walter Schilling eine Abhörwanze in seiner Pfarrwohnung.

Beargwöhnt wurden vor allem Schillings vielfältige Kontakte. Am meisten dürfte die Stasi-Mitarbeiter jedoch geärgert haben, dass Schilling ihre Konspiration vereitelte. Schon 1959 hatte er begonnen, Jugendliche vor Anwerbungen durch das MfS zu warnen und einzelne vor der Rekrutierung als Spitzel zu bewahren. Immer wieder sprach er offen über das tabuisierte und angstbesetzte Thema Staatssicherheit und hielt darüber ab 1986 angekündigte Vorträge in Thüringer Jungen Gemeinden.

Walter Schilling beteiligte sich nach der Heimschließung verstärkt an überregionalen Aktivitäten. So stellte er 1981 mit anderen aus der Offenen Arbeit eine 60-seitige Dokumentation von Menschenrechtsverletzungen zusammen, die die Kirchenleitung mit der bitteren Realität des staatlichen Umgangs mit kritischen Jugendlichen konfrontierte. Matthias Domaschk aus Jena war in der Geraer Stasi-Untersuchungshaftanstalt ums Leben gekommen, zeitgleich hatte in Berlin ein brutaler Polizeiüberfall auf die Wohnungseinweihungsfeier von Schillings Tochter Kathrin stattgefunden.

1982 gründete Schilling gemeinsam mit Amtskollegen den Altendorfer Friedenskreis, nahm an Treffen des Netzwerks „Frieden konkret“ und von Thüringer Basisgruppen teil. 1986 trug er die Parteitagseingabe der Initiative Frieden und Menschenrechte (IFM) mit. Im gleichen Jahr konnte noch einmal eine Werkstatt in Rudolstadt stattfinden. 1987 beteiligte er sich federführend und als Verfasser diverser Grundsatzpapiere am „Kirchentag von Unten“, den themenbezogene Basisgruppen gemeinsam mit der Offenen Arbeit gestalteten, um gegen die Kirchenleitung zu protestieren, die sich beim Staat mit der Aussetzung der Friedenswerkstatt lieb Kind machen wollte. Für die in Folge entstehende „Kirche von Unten“ (KvU), die neben Gesellschaftskritik einem kirchenreformatorischen Ansatz folgte, wurde er von Juni 1989 bis Juni 1990 in Berlin der Pfarrer des Vertrauens. Landesweit fand sich kein anderer Pastor, der dem basisdemokratischen, staats- und autoritätsfeindlichen Selbstverständnis der KvU entsprach.

In den bewegten Tagen um den 7. Oktober 1989 nahm Schilling an der Mahnwache vor der Gethsemanekirche in Berlin-Prenzlauer Berg teil und informierte vom dortigen Kontakttelefon aus andere DDR-Regionen über die Polizeiübergriffe. Am 8. Oktober wurde er selbst festgenommen und in die Untersuchungshaftanstalt Berlin-Rummelsburg gebracht. Anschließend beteiligte er sich am Zusammentragen der Gedächtnisprotokolle, die vom Stadtjugendpfarramt unter dem Titel „Ich zeige an“ veröffentlicht wurden. Als der geforderte unabhängige Untersuchungsausschuss zu den Polizeiübergriffen eingesetzt wurde, arbeitete er zunächst mit, verließ diesen aber wieder, da ihm auch Verantwortliche für die Übergriffe angehörten. Der intendierte politische Eklat blieb allerdings aus: Einen Tag zuvor war die Mauer gestürmt worden.

Nach dem Ende der DDR 1990 widmete sich Schilling verstärkt der Vergangenheitsklärung mit dem Schwerpunkt der Verstrickung der evangelisch-lutherischen Kirche in Thüringen. 1995 ging er als Pfarrer in den Ruhestand. Er lebte als Vater von vier erwachsenen Kindern anschließend mit seiner Frau Eva in Dittrichshütte. Für sein Engagement wurde er mit dem Menschenrechtspreis der Stadt Weimar gewürdigt.

Walter Schilling starb 2013 in Saalfeld.

Gerold Hildebrand
Letzte Aktualisierung: 08/16