Widerstandskämpfer, wiederholt in mehrjähriger Lagerhaft. Politiker und Abgeordneter der Lettischen Volksfront.

Ints Cālītis wurde 1931 in Riga geboren. Sein Vater – von Beruf Journalist – kam 1947 wegen der Anführung einer Untergrundgruppe in Haft. Verurteilt zu 25 Jahren Gefängnis, verbüßte er die gesamte Strafe und wurde erst 1972 entlassen.

Cālītis gründete 1947 im Untergrund eine Jugendorganisation, die zum politischen und ideologischen Arm des bewaffneten Widerstands werden sollte. Die Mitglieder dieser Gruppierung lernten intensiv Fremdsprachen, beschäftigten sich mit Geschichte, Topografie, Fotografie und Funktechnik, druckten und verteilten Flugblätter. Am 18. November 1948 wurden zehn Mitglieder der Organisation verhaftet und am 28. März 1949 vom Militärgericht des Baltischen Militärbezirks zu 25 Jahren Haft verurteilt. Cālītis kam in ein Straflager im Kolyma-Gebiet. Dort gab er eine kleine, handgeschriebene, illustrierte Zeitung in lettischer Sprache heraus. 1954 organisierte er einen Streik der Elektromonteure des Bergwerks „Cholodnyj“. 1955 wurde sein Urteil auf zehn Jahre reduziert, bereits im selben Jahr wurde Cālītis jedoch nach Verbüßung von zwei Dritteln seiner Strafe aufgrund eines Beschlusses des Obersten Sowjets der Russischen Sozialistischen Föderativen Sowjetrepublik (RSFSR) aus der Lagerhaft entlassen. Sein Urteil wurde in lebenslange Verbannung in das Gebiet Magadan abgeändert. Erst nach einer Amnestie von 1956 erhielt er einen Personalausweis und das Recht, in die Heimat zurückzukehren. In Riga arbeitete er fortan als Elektriker im städtischen Wasser- und Kanalisationswerk und bildete sich in einer Abendschule weiter.

In Riga ließ er seine Kontakte mit Bekannten aus dem Lager wieder aufleben, er suchte Gleichgesinnte unter Jugendlichen und Intellektuellen und nahm an Diskussionen zu aktuellen politischen Themen teil. 1958 wurde er erneut verhaftet. Am 30. September 1958 verurteilte ihn das Oberste Gericht der Lettischen Sozialistischen Sowjetrepublik (LSSR) nach Artikel 58, Paragraf 10 Strafgesetzbuch der RSFSR zu sechs Jahren Freiheitsentzug. Zur Last gelegt wurde ihm unter anderem der Besitz verbotener Literatur.

Die Strafe verbüßte Cālītis in den mordwinischen Lagern. Dort holte er das Abitur nach, bildete sich weiter, lernte Fremdsprachen und organisierte selbst Kurse in den baltischen Sprachen. Er schuf eine in der Gulag-Geschichte einzigartige Bibliothek lettischsprachiger Bücher mit rund 1.000 Bänden, die der Bibliothek von lettischen Gefangenen als Leihgabe zur Verfügung gestellt wurden. Cālītis war Mitorganisator von Festen zu nationalen und religiösen Feiertagen, so etwa anlässlich des Johannistages. Nach Verbüßung seiner Strafe kehrte er 1964 nach Riga zurück.

1968 fand in Cālītis' Wohnung ein Treffen estnischer, lettischer und litauischer Oppositioneller statt, auf dem beschlossen wurde, fortan zur Übermittlung von Informationen in den Westen in größerem Maße als bisher die Hilfe Moskauer Dissidenten in Anspruch zu nehmen. 1977 war Cālītis aktiv an der Gründung des Allgemeinen Komitees der nationalen Bewegungen in Litauen, Lettland und Estland beteiligt. 1979 war er einer der Unterzeichner des Baltischen Appells und sammelte Unterschriften auch für andere Petitionen und offene Briefe der Dissidenten aus den baltischen Ländern. Zu diesen Dokumenten gehörten unter anderen ein Aufruf an westliche Länder zur Verhängung eines Getreideembargos gegen die UdSSR und ein Memorandum an das Internationale Olympische Komitee (28. Januar 1980). Der KGB versuchte im Dezember 1979 vergeblich, Cālītis zur Emigration zu bewegen.

Am 11. April 1983 wurde Cālītis zum dritten Mal verhaftet und am 23. September vom Obersten lettischen Gericht nach Artikel 65, Paragraf 1 Strafgesetzbuch der Lettischen SSR (siehe Artikel 70 Strafgesetzbuch der RSFSR) zu sechs Jahren Freiheitsentzug verurteilt. 1983/84 saß er im Gefängnis von Tschistopol, bevor er in die Permer Lager verlegt wurde. Im Juli 1986 kam er unter Auflagen aus der Haft frei (auf Grundlage eines Dekrets des Präsidiums des Obersten Sowjets der Lettischen SSR vom 20. Juni 1986).

Cālītis kehrte erneut nach Lettland zurück, wo er bald darauf zum Vorsitzenden des Klubs für Umweltschutz (Vides Aizsardzības Klubs) gewählt wurde. Im April 1986 eröffnete er in seiner Wohnung die erste öffentliche Samisdat- und Tamisdat-Bibliothek Lettlands. Hilfe bei der Komplettierung der Bestände und der Bibliothekseinrichtung erhielt er von Moskauer Dissidenten, die er in den Straflagern kennengelernt hatte. 1990 übergab Cālītis den kompletten Bibliotheksbestand an die Lettische Staatsbibliothek.

Der Gründungskongress der Informellen Volksfront wählte Cālītis 1989 zu einem der Vorsitzenden. Er gehörte außerdem als Vorstandsvorsitzender der Leitung der Lettischen Volksfront (Latvijas Tautas fronte) an, deren Ausschuss für Kontakte zu demokratischen Organisationen er leitete. Cālītis pflegte eine intensive Zusammenarbeit mit vielen unabhängigen Gruppen in Russland, Georgien, Armenien, Belarus und in der Ukraine.

Bei der Parlamentswahl 1990 zog er als Abgeordneter der Lettischen Volksfront in den Obersten Sowjet der Republik Lettland ein, wo er sein Mandat bis Juni 1993 behielt. Nach der Unabhängigkeit Lettlands und dem Ende der sowjetkommunistischen Diktatur war er 1992–94 Vorsitzender der Demokratischen Zentrumspartei (Demokrātiskā centra partija), der ersten nichtkommunistischen politischen Partei der Republik Lettland. Cālītis wurde Vorsitzender der Stiftung für die Entwicklung der Demokratie in Lettland. 2010 war er an der Gründung der neuen Partei „Für eine Präsidialrepublik“ (Par prezidentālu republiku) beteiligt, mit der er im Jahr darauf – erfolglos – zu den Parlamentswahlen antrat.

Ints Cālītis starb am 1. Juli 2023 im Alter von 92 Jahren.

Inārā Serdāne
Aus dem Polnischen von Gero Lietz
Letzte Aktualisierung 01/24