Andrei Sinjawski

Andrei Sinjawski, 1925–97

Andrej Donatovič Sinjavskij

Андрей Донатович Синявский

Im Unterschied zu vergleichbaren Protesten, die ein Jahr früher durch den Prozess gegen Joseph Brodsky ausgelöst worden waren, zeichneten sich die Proteste von 1965/66 durch ihre Intensität und ihre öffentliche Wahrnehmbarkeit aus: Briefe und Reden, in denen Sinjawski und Daniel verteidigt und die von ihren Verfassern oft ausdrücklich als „öffentlich“ bezeichnet wurden, zirkulierten im Samisdat. Auch die Aussagen der beiden Angeklagten vor Gericht wurden im Samisdat verbreitet. Notizen aus dem Gerichtssaal, die von den Ehefrauen der beiden Angeklagten angefertigt worden waren, Reaktionen der sowjetischen und der Weltpresse, Protestbriefe und andere Veröffentlichungen, die mit dem Prozess in Zusammenhang standen, dienten als Material für ein 1966 von Alexander Ginsburg herausgegebenes „Weißbuch“, das den Beginn einer Serie ähnlicher Publikationen über politische Prozesse markierte. Die darauf folgenden staatlichen Repressionen lösten eine erneute Protestwelle aus.

Seine Strafe verbüßte Andrei Sinjawski in den mordwinischen Lagern. Dort schrieb er die beiden Bände „Promenaden mit Puschkin“ (Progulki s Puškinem) und „Eine Stimme im Chor“ (Golos iz chora) und begann ein drittes Buch mit dem Titel „Im Schatten Gogols“ (V čene Gogolja). Diese Bücher, für die Sinjawski wieder die literarische Maske des Abram Terz verwendete, sind keine belletristischen Werke, sondern Essays beziehungsweise literaturwissenschaftliche Aufsätze. Am Ende des sechsten Haftjahres zeigten die Bemühungen seiner Frau Maria Rosanowa und des bereits zuvor entlassenen Juli Daniels, die sich für die Begnadigung von Sinjawski bei den Staatsbehörden eingesetzt hatten, Wirkung. Per Dekret des Präsidiums des Obersten Sowjets der RSFSR vom 20. Mai 1971 wurde Sinjawski von der weiteren Strafverbüßung befreit und am 8. Juni 1971, 15 Monate vor Ablauf der Haftstrafe, aus dem Lager entlassen.

Die nächsten zwei Jahre lebte Sinjawski in Moskau und setzte das Schreiben fort. Da er weder legal noch wie früher illegal veröffentlichen konnte, entschied er sich zur Emigration. Am 10. September 1973 reiste Sinjawski für immer nach Frankreich aus. Dort lehrte er russische Literatur an der Pariser Sorbonne. 1974/75 war er Redaktionsmitglied der vierteljährlich erscheinenden Zeitschrift „Kontinent“, die er später aufgrund eines schweren politisch-ideologischen Konflikts mit dem Chefredakteur Wladimir Maximow verließ. Unterdessen veröffentlichte er unter den Namen Sinjawski und Terz in der Zeitschrift „Sintaksis“ (Paris), die von Maria Rosanowa gegründet und herausgegeben wurde. Er führte eine lange polemische Auseinandersetzung mit den Vertretern der nationalpatriotischen Strömung der russischen Emigration, vor allem mit Alexander Solschenizyn: „Unter den Umständen des sowjetischen Despotismus gehört es sich für einen russischen Intellektuellen, ein Liberaler und Demokrat zu sein und nicht irgendeine andere Form eines neuen Despotismus vorzuschlagen. […] Unsere Berufung ist, auf der Seite der Freiheit zu stehen.“

In der Emigration gab Sinjawski eine Reihe neuer Bücher heraus, unter denen der autobiografische Roman „Gute Nacht“ von 1984 die größte Aufmerksamkeit erlangte. Darin beschrieb Sinjawski die Entstehung seines literarischen Alter Egos Abram Terz. In der UdSSR wurden seine Werke erstmals während der Perestroika 1989 in der Anthologie „Der Preis der Metapher oder Verbrechen und Strafe von Sinjawski und Daniel“ (Cena metafory ili prestuplenie i nakazanie Sinjawskogo i Daniela) veröffentlicht. Darin enthalten waren auch Texte, die zwischen 1959 und 1966 im Westen erschienen waren, sowie Sinjawskis Schlussplädoyer in seinem Strafprozess.

Sinjawski war der Meinung, dass ein Schriftsteller in der Gesellschaft die Rolle eines „Abtrünnigen“, eines „Verbrechers“ – das Pseudonym Abram Terz war aus einer Räuberlegende entliehen – und eines „Dissidenten“ übernehmen müsse. In diesem Sinne betrachtete er sich als Dissident, nicht nur gegenüber dem sowjetischen Regime, sondern auch gegenüber dem Milieu der Emigranten und den dort verbreiteten ideologischen und weltanschaulichen Tabus. Fast jedes neue Buch von Sinjawski rief einen entsprechenden Entrüstungssturm hervor, zunächst in der Emigration und ab 1989 auch in der Sowjetunion, die er mehrfach bereiste. Nach der Verfassungskrise im Herbst 1993 zählte er zu den erbittertsten Kritikern von Russland unter Präsident Boris Jelzin.

Andrei Sinjawski starb 1997 in Fontenay-aux-Roses bei Paris.

Dmitri Subarew
Aus dem Polnischen von Tim Bohse
Letzte Aktualisierung: 03/16