Andrei Sinjawski wurde 1925 in Moskau geboren. Sein Vater war Berufsrevolutionär, der vor 1918 den Sozialrevolutionären angehört hatte. 1943–45 diente Sinjawski in der Armee. Nach seiner Entlassung studierte und promovierte er an der Philologischen Fakultät der Moskauer Universität.
Zwischen Ende der 40er und Anfang der 50er Jahre versuchte das Ministerium für Staatssicherheit, ihn als „Agent Provocateur“ gegen die Französin Hélène Pelletier, eine Kommilitonin aus seinem Studienjahr, einzusetzen. Nachdem er sie über die Absichten des Geheimdienstes in Kenntnis gesetzt hatte, gelang es ihnen gemeinsam, die Pläne der Staatssicherheit durch ein Ablenkungsmanöver zu vereiteln. Einige Jahre später half Hélène Pelletier Andrei Sinjawski dabei, seine in der UdSSR verbotenen Werke in den Westen zu schmuggeln. Diese Begebenheit bildet die Grundlage eines Kapitels seines Romans „Gute Nacht“ (Spokojnoj noči) von 1984.
1952 verteidigte Sinjawski seine Doktorarbeit und arbeitete ab 1953 als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Gorki-Institut für Literatur der Akademie der Wissenschaften der UdSSR. Er veröffentlichte Arbeiten über Wladimir Majakowski, Maxim Gorki, Eduard Bagrizki sowie über die sowjetische Literatur in der Zeit des Bürgerkrieges und des Zweiten Weltkriegs. 1957/58 hielt er an der Philologischen Fakultät der Moskauer Universität ein Seminar über die russische Poesie zu Anfang des 20. Jahrhunderts. 1958–65 unterrichtete er russische Literatur an der Bildungseinrichtung des Moskauer Kunsttheaters (MChAT). 1960 gab er gemeinsam mit Igor Golomstock das Buch „Picasso“ heraus, die erste sowjetische Monografie über diesen in der UdSSR offiziell nicht anerkannten Maler. Im Dezember 1960 wurde Sinjawski Mitglied des Schriftstellerverbands der UdSSR und auch als Kritiker der literarischen Monatszeitschrift „Novyj Mir“ bekannt. 1965 erschien erstmals ein Band mit Gedichten von Boris Pasternak in der Serie „Bibliothek des Poeten“, der von Sinjawski mit einem ausführlichen Vorwort versehen wurde. Nach seiner Verhaftung wurde Sinjawskis Vorwort aus den Neuauflagen des Buches entfernt.
1954 begann Sinjawski, sich dem literarischen Schreiben zu widmen. Da seine Geschichten, Erzählungen und Essays aufgrund ihres Inhalts und Stils nicht in der UdSSR erscheinen konnten, veröffentlichte er sie ab 1956 im Ausland. In seinem programmatischen Aufsatz über Philosophie und Ästhetik mit dem Titel „Was ist sozialistischer Realismus?“ (Čto takoe socjalističeskij realizm?), der 1959 anonym in Paris erschienen war, analysierte Sinjawski den tragischen Widerspruch zwischen den hohen Idealen der kommunistischen Theorie und den Mitteln, die zu ihrer Verwirklichung eingesetzt wurden: „Damit die Gefängnisse für immer verschwinden, haben wir neue Gefängnisse gebaut. Damit die Grenzen zwischen den Staaten aufgehoben werden, haben wir uns mit einer chinesischen Mauer umgeben. Damit Arbeit zukünftig Erholung und Freude bedeutet, haben wir die Zwangsarbeit eingeführt. Damit kein weiterer Tropfen Blut vergossen wird, haben wir gemordet, gemordet und gemordet. […] Die erreichten Ziele sind niemals mit den anfänglich gesetzten Zielen identisch. Die Mittel, die man einsetzt, um ein Ziel zu erreichen, verändern dessen Wesen so stark, dass man es oft kaum noch erkennt. Die Scheiterhaufen der Inquisitionen haben geholfen, die Botschaft des Evangeliums zu verkünden, aber was ist anschließend von dieser Botschaft noch übrig geblieben?“
Den sozialistischen Realismus, der ab 1934 in der Sowjetunion die einzig gültige Kunstrichtung war, interpretierte Sinjawski als „teleologische Kunst“ und als „neuen Klassizismus“. Er erkannte dessen ästhetischen Wert in seiner reinen Form zwar an, betonte jedoch gleichzeitig dessen unauflösbare Verbindung mit der sozialen und kulturellen Realität im Totalitarismus. Sinjawski kritisierte scharf, dass viele sowjetische Schriftsteller den sozialistischen Realismus mit Stilelementen des kritischen russischen Realismus des 19. Jahrhunderts vermischten. Als Alternative stellte er diesem Eklektizismus den von ihm selbst entwickelten „fantastischen Realismus“ entgegen, der auf adäquate Weise im Stande sei, das Absurde der totalitären Wirklichkeit abzubilden.
Für die Realisierung dieses künstlerischen Programmes schuf er die Figur „Abram Terz“, dessen Namen er später nicht nur als Pseudonym verwendete, sondern der auch zu seinem literarischen Alter Ego wurde. Die fantastischen Geschichten und Erzählungen von Abram Terz erschienen ab 1959 im Ausland und waren lange vor dem Bekanntwerden und der Verhaftung von Sinjawski ein großer Erfolg. Sie wurden in die wichtigsten europäischen und asiatischen Sprachen übersetzt. Viele Jahre suchte der KGB angestrengt den Autor dieser Erzählungen und setzte für die Suche auch seinen Auslandsgeheimdienst ein.
Am 8. September 1965 wurde Andrei Sinjawski verhaftet. Am 5. Januar 1966 entschied das Sekretariat des ZK des KPdSU auf Antrag des KGB und nach Abstimmung mit der Leitung des Schriftstellerverbandes, Sinjawski zusammen mit seinem Freund Juli Daniel vor Gericht zu stellen. Daniel war zeitgleich wegen ähnlicher „Verbrechen“ verhaftetet worden, nachdem er unter dem Pseudonym „Nikolai Arschak“ veröffentlicht hatte. Bereits im Vorfeld wurde festgelegt, dass am Ende des Prozesses gegen Andrei Sinjawski und Juli Daniel eine Haftstrafe stehen sollte. Die sowjetische Presse startete eine Hetzkampagne gegen die beiden „Abtrünnigen“ und „literarischen Umstürzler“, die ihren Höhepunkt während des Gerichtsprozesses erreichte und noch einige Wochen darüber hinaus andauerte.
Sinjawskis und Daniels Fall wurde vor dem Obersten Gericht der RSFSR vom 10. bis 14. Februar 1966 verhandelt. Während des ganzen Prozesses und auch in seinem Abschlussplädoyer verweigerte Sinjawski ein Schuldeingeständnis und berief sich als Schriftsteller auf sein Recht auf künstlerische Freiheit. Das Gericht befand, dass in den beiden Erzählungen „Das Verfahren läuft“ (Sud idët) und „Ljubimov“ sowie in Teilen des Aufsatzes „Was ist sozialistischer Realismus?“ eine Straftat laut Paragraf 1 des Artikels 70 Strafgesetzbuch der RSFSR vorliege, und verurteilte Sinjawski zu sieben Jahren Haft.
Der Prozess gegen Andrei Sinjawski und Juli Daniel war 1965/66 ein aufsehenerregendes Ereignis, das in der Weltöffentlichkeit und auch unter prokommunistisch eingestellten westlichen Intellektuellen starke Beachtung fand. In der UdSSR löste er eine präzedenzlose Welle individueller und kollektiver Proteste aus, darunter die Glasnost-Kundgebung am 5. Dezember 1965 auf dem Puschkin-Platz in Moskau, die viele Historiker als erste öffentliche Kundgebung für die Menschenrechte in der Sowjetunion und als Beginn der Menschenrechtsbewegung bezeichnen.