Jelena Bonner

Jelena Bonner, 1923–2011

Elena Georgievna Bonnėr

Елена Георгиевна Боннэр

Noch vor der Verbannung begann eine Kampagne mit beispielloser Wucht und Unerbittlichkeit, Bonner zu diskreditieren. Sie erhielt anonyme Briefe, in den Zeitungen erschienen verunglimpfende Artikel und es wurden Broschüren in Millionenauflagen herausgegeben, in denen Bonner als Frau mit dunkler Vergangenheit dargestellt wurde. Sie habe ein Akademiemitglied – Andrei Sacharow – geheiratet, um sich Vorteile zu verschaffen, und würde ihn jetzt beinahe mit Gewalt dazu zwingen, antisowjetische Erklärungen abzugeben. Sie wurde auch als Agentin ausländischer Geheimdienste und Vertreterin des internationalen Zionismus dargestellt, die auf Andrei Sacharow angesetzt worden sei. Die Kampagne fand 1983 ihren Höhepunkt in Artikeln des Historikers Nikolai Jakowlew, die in den Zeitschriften „Smena” und „Čelovek i zakon” (Mensch und Gesetz) erschienen. Jakowlew hatte auch die Broschüre „CIA gegen die UdSSR“ verfasst, die eine umfangreiche angebliche „Demaskierung“ Jelena Bonners enthielt. Die gegen sie gerichteten Verleumdungen waren nicht einfach nur Teil einer allgemeinen Hetzjagd gegen Dissidenten, sondern auch der Versuch, „der Bevölkerung das Phänomen Sacharow zu erklären“. Andrei Sacharow selbst äußerte in seinen Erinnerungen die Vermutung, dass die Erfinder des Mythos vom „bösen Genie des Gelehrten“ tatsächlich selbst daran geglaubt hätten. Im September 1983 verklagte Bonner Jakowlew wegen Verleumdung; das Gericht jedoch weigerte sich, die Klage zu bearbeiten.

Seit sie sich für die Menschenrechtsbewegung engagierte, wurden Bonner gegenüber auch „gewöhnliche“ Druckmittel verwendet: vielfache Hausdurchsuchungen, Verhaftungen, Verhöre, „Warnungen“. Außerdem wurden die Sacharows auch mit den Kindern aus ihrer ersten Ehe erpresst. Bonners Tochter Tatjana Semjonowa-Jankelewitsch und ihrem Sohn Alexej Semjonow wurde mit wechselnden Begründungen der Studienplatz entzogen, ihr Schwiegersohn Jefrem Jankelewitsch verlor seinen Arbeitsplatz, 1977 bis 1978 wurden Bonners Kinder von den Behörden schließlich zur Emigration gezwungen. Der Verlobten ihres Sohnes, Jelisaweta Alexejewa, wurde es verweigert, zu ihrem Partner auszureisen, was der Grund für den ersten Hungerstreik der Sacharows in Gorki wurde. Der Hungerstreik vom 22. November bis 9. Dezember 1981 hatte schließlich Erfolg: Jelisaweta Alexejewa durfte ebenfalls in die USA ausreisen.

Jelena Bonner war wahrscheinlich die einzige Dissidentin, die mehrfach in den Jahren 1973, 1977, 1979 und von 1983 bis 1986 ins Ausland reisen und in die Sowjetunion zurückkehren durfte. Das hing zweifellos mit der spezifischen Situation ihres Mannes zusammen: Die Behörden gingen davon aus, dass Andrei Sacharow aus seiner Zeit als Atomphysiker Träger wichtiger militärischer Geheimnisse war, weswegen man ihn weder ins Ausland reisen lassen noch zwangsaussiedeln konnte. Hätte man seiner Frau Jelena bei einer Auslandsreise die Staatsbürgerschaft entzogen, wäre das „Problem der Eheleute Sacharow“ überhaupt nicht zu lösen gewesen. Zugleich war es die weltweite Bekanntheit von Andrei Sacharow, die es nicht zuließ, seiner Frau die Ausreise zu medizinischen Behandlungen zu verweigern. Allerdings war das Erhalten von Ausreisegenehmigungen jedes Mal mit größten Schwierigkeiten verbunden. Die letzte Ausreise wurde Bonner erst nach drei langen Hungerstreiks ihres Mannes von Mai bis September 1984 sowie von April bis Juli und von Juli bis Oktober 1985 genehmigt. Ihre Verbannung wurde schließlich verkürzt und sie konnte in die USA fliegen, um sich einer komplizierten Herzoperation zu unterziehen.

Während dieser Reise schrieb sie ihr erstes Erinnerungsbuch: „Postscriptum. Buch über die Verbannung in Gorki“ (Postskriptum. Kniga o gor’kovskoj ssylke) umfasste die Ereignisse der Jahre 1983 bis 1986 und war gewissermaßen eine Verlängerung von Andrei Sacharows Erinnerungen. Die letzten Kapitel von „Postscriptum“ stellen gemeinsam mit Andrei Sacharows nach der Rückkehr aus der Verbannung geschriebenem Buch „Gorki, Moskau und überall“ (Go’rki, Moskva, dalee vezde) eine Gesamtdarstellung ihrer Zeit in der Verbannung bis zu den Anfängen der Perestroika dar.

Nach ihrer Rückkehr nach Moskau im Dezember 1986 nahm Bonner aktiv an bürgerrechtlichen und politischen Aktionen während der Perestroika teil. 1988 war sie Mitbegründerin der „Moskauer Tribüne“, einem informellen Klub demokratischer Intellektueller. Zusammen mit Andrei Sacharow initiierte sie zahlreiche Initiativen, um den armenisch-aserbeidschanischen Konflikt beizulegen.

Nach dem Tod ihres Mannes am 14. Dezember 1989 galt ihre besondere Aufmerksamkeit der Bewahrung dessen moralischen und schöpferischen Vermächtnisses. Unter der Leitung von Jelena Bonner fand der Erste Internationale Kongress zum Gedenken an Andrei Sacharow unter dem Titel „Frieden, Fortschritt, Menschenrechte“ vom 21. bis 25. Mai 1991 statt. Sie schuf einen Sacharow-Fonds, ein Sacharow-Archiv und ein Sacharow-Museum in Moskau.

Während des Putsches reformfeindlicher kommunistischer Funktionäre im August 1991 schloss sich Bonner den Verteidigern des Parlaments an. Während der Verfassungskrise und der Auseinandersetzung zwischen Präsident Boris Jelzin und dem Parlament im September und Oktober 1993 stellte sie sich entschieden auf die Seite Jelzins, der sie anschließend in die Menschenrechtskommission beim Präsidenten berief. Diese verließ sie wieder im Dezember 1994 aus Protest gegen die russische Militärintervention in Tschetschenien. Sie verteidigte aktiv das Selbstbestimmungsrecht der Armenier in Bergkarabach, der Tschetschenen sowie der irakischen und türkischen Kurden und publizierte regelmäßig zu Menschenrechtsfragen in der russischen und internationalen Presse. 2010 unterzeichnete sie eine Erklärung der russischen Opposition gegen Präsident Wladimir Putin.

Jelena Bonner starb am 18. Juni 2011 in Boston, USA.

Nikolai Mitrochin
Aus dem Polnischen von Markus Pieper und Sonja Stankowski
Letzte Aktualisierung: 03/16