1977
Erste Versuche, in Bratislava eine „Fliegende Universität“ zu gründen, was jedoch von der Staatssicherheit verhindert wird.
Erste Versuche, in Bratislava eine „Fliegende Universität“ zu gründen, was jedoch von der Staatssicherheit verhindert wird.
Veröffentlichung der Petition Charta 77, mit der 241 Unterzeichner die Einhaltung der Internationalen Abkommen über Menschen- und Bürgerrechte sowie über wirtschaftliche, gesellschaftliche und kulturelle Rechte einfordern. Mit der Ratifizierung dieser internationalen Normen hatte die tschechoslowakische Regierung deren Vorrang vor nationalstaatlichen Rechtsvorschriften anerkannt. Die Petition Charta 77 klagt außerdem elementare Menschen- und Bürgerrechtsverletzungen durch das kommunistische Regime an.
Der Philosoph Jan Patočka, der Schriftsteller Václav Hável und der ehemalige tschechoslowakische Außenminister aus der Phase des Prager Frühlings, Jiří Hájek, werden zu den ersten Sprechern der aus der Petition entstandenen Bürgerrechtsbewegung Charta 77. Noch am Tag der Veröffentlichung beginnt eine Welle von Verhören, Hausdurchsuchungen und Arbeitsentlassungen im ganzen Land, wovon fast alle Unterzeichner der Petition betroffen sind. Immer mehr Bürger der Tschechoslowakei unterschreiben in der Folgezeit die Petition der Charta 77.
Václav Havel, einer der Sprecher der Charta 77, wird festgenommen. Gleichzeitig geht die Staatsmacht strafrechtlich gegen die Unterzeichner Jiří Lederer und František Pavlíček sowie gegen den Filmemacher Ota Ornest vor. Wenige Tage zuvor waren bereits Bürgerrechtler verhaftet worden, die nicht mit der Charta 77 in Verbindung standen: Aleš Macháček wurde zu dreieinhalb und Vladimír Luštůvka zu zweieinhalb Jahren Haft verurteilt.
Im Rahmen einer gegen die Charta 77 gerichteten staatlichen Kampagne findet im Prager Nationaltheater ein Treffen regimetreuer Künstler statt, die dort die „Erklärung der tschechoslowakischen Künstlerverbände“ (Výzva československých uměleckých svazů) verabschieden. In diesem als „Anti-Charta“ bekannt gewordenen Dokument geben die staatstreuen Künstler ihrer Unterstützung für den Aufbau des Sozialismus Ausdruck und verurteilen die Opposition.
Auf dem III. Slowakischen Schriftstellerkongress hält die Schriftstellerin Hana Ponická ein Plädoyer für Autoren, über die nach 1970 ein Publikationsverbot verhängt worden war. Kurz darauf sieht sie sich selbst der Verfolgung durch die Staatsmacht ausgesetzt. Ihr wird es verboten zu publizieren und ihre Bücher werden aus den Bibliotheken entfernt.
Der niederländische Außenminister Max van der Stoel reist zu einem Staatsbesuch in die Tschechoslowakei. Neben den offiziellen Terminen trifft er sich auch mit Jan Patočka, einem der Sprecher der Charta 77. Jan Patočka wird daraufhin längeren Verhören unterzogen, während derer er ins Krankenhaus eingeliefert werden muss, wo er am 13. März stirbt. Seine Beerdigung wird einerseits zum Symbol der moralischen Überlegenheit der Bürgerrechtsbewegung Charta 77, andererseits aber auch für die Macht des Polizeistaates. Zahlreiche Personen werden während der Begräbnisfeierlichkeit verhaftet, der Friedhof und die Umgebung werden von Hunderten Geheimpolizisten überwacht. Der Tod Jan Patočkas und die Umstände tragen mit dazu dabei, dass die Charta 77 in ihrer inneren Struktur zusammengeschweißt wird.
Václav Havel wird aus dem Gefängnis entlassen und tritt am gleichen Tag als Sprecher der Charta 77 zurück. Jiří Hajek ist nun der einzige Sprecher der Bürgerrechtsbewegung, bis der Philosoph Ladislav Hejdánek im September gewählt wird.