Ukraine (Krimtataren)

Juri Osmanow

Juri Osmanow, 1941–93

Jurij Osmanov

Юрий Османов

Physiker, eine der wichtigsten Persönlichkeiten der krimtatarischen Bewegung, führender Kopf der Initiativgruppe Ferghana und der Nationalbewegung der Krimtataren.

Juri Osmanow (Yuriy Bekir oğlu Osmanov) wurde in dem Dorf Bijuk-Karales (Büyük Qaralez, seit 1945: Krasny Mak) auf der Krim geboren. Sein Vater kämpfte bei den Partisanen und wurde schwer verwundet. 1944 gelangte die Familie im Zuge der Deportation der Krimtataren nach Ferghana in Ostusbekistan.

Von 1958 bis 1965 studierte Osmanow an der Staatlichen Technischen Bauman-Universität in Moskau. Nach Abschluss des Studiums arbeitete er am Institut für Hochenergiephysik in Protwino und im Vereinigten Institut für Kernforschung in Dubna (Gebiet Moskau). Er war Inhaber mehrerer Patente.

Schon während des Studiums engagierte sich Osmanow in der krimtatarischen Nationalbewegung und war an der Entstehung verschiedener Dokumente beteiligt. Er befasste sich mit den Werken des krimtatarischen Denkers und islamischen Reformators İsmail Gaspıralı (Gasprinski) aus der Zeit um 1900. Ab 1963 war er, Vertreter des Volkes und empfing in Moskau Angehörige der krimtatarischen Bewegung, die aus verschiedenen Regionen der Sowjetunion in die Hauptstadt kamen. Auf Treffen mit sowjetischen Schriftstellern, Historikern und anderen Wissenschaftlern brachte er immer wieder die Frage der Krimtataren zur Sprache und widersetzte sich verzerrenden Presseberichten zum Thema.

Im Januar 1968 wurde Osmanow gemeinsam mit anderen Aktivisten der Bewegung verhaftet. Am 5. Juni 1968 stand er zusammen mit Enwer Memetow, Sejdamet Memetow und Sabri Osmanow vor dem Obersten Gericht der Usbekischen SSR in Taschkent. Gemäß Artikel 64 Strafgesetzbuch der Usbekischen SSR (nationale und rassische Diskriminierung) und Artikel 191, Paragraf 4 Strafgesetzbuch der Usbekischen SSR (entspricht Artikel 190, Paragraf 1 Strafgesetzbuch der RSFSR) wurde er zu zweieinhalb Jahren Haft verurteilt. Ihm war die Abfassung mehrerer Aufsätze über Werke sowjetischer Schriftsteller zur Last gelegt worden, in denen die Geschichte der Krimtataren verfälscht dargestellt worden sei. Seine Strafe verbüßte er in einem Strafgefangenenlager mit verschärften Haftbedingungen in der Nähe der Goldmine Bessopan in der Wüste Kysylkum.

Nach seiner Haftentlassung fand er zunächst keine Arbeit. Er zog nach Sumgait (Sumqayıt) in Aserbaidschan, wo er in der Projektabteilung einer Glashütte eine Stelle antrat. Sein Engagement in der krimtatarischen Bewegung setzte er fort und gründete eine kleine Initiativgruppe in Sumgait. 1972 zog er erneut um, diesmal nach Ferghana in Usbekistan, wo er zunächst in einem Stickstoffdüngerwerk und dann im Institut für Wasserwirtschaft tätig war, anfangs als Verantwortlicher der Abteilung Pumpstationen, dann als leitender Ingenieur. Er war sehr aktiv in der Initiativgruppe Ferghana und verfasste deren Schriften. Gemeinsam mit seinem Vater wertete er die Daten einer Erhebung zu den Opferzahlen der Deportation von 1944 aus.

Allein im Zeitraum 1979–82 wurde seine Wohnung viermal durchsucht. 1982 sichergestellte Materialien führten zu seiner Verhaftung. Vom 3. bis 9. Mai 1983 verhandelte das Stadtgericht Ferghana seinen Fall. Die Anklage gründete sich auf Artikel 191, Paragraf 4 Strafgesetzbuch der Usbekischen SSR (entspricht Artikel 190, Paragraf 1 Strafgesetzbuch der RSFSR). Konkret wurde ihm vorgeworfen, Briefe und Appelle der Krimtataren unterzeichnet und einige Dokumente auch selbst verfasst zu haben, darunter einen Brief an den Schauspieler und Regisseur Oleg Jefremow. Osmanow verteidigte sich selbst und bekannte sich nicht schuldig. Die vom Gericht bestellten Zeugen erklärten sich solidarisch mit dem Angeklagten. Die dreijährige Lagerhaft, zu der er verurteilt wurde, verbüßte er in einem Lager für kriminelle Straftäter in der Jakutischen ASSR. Kurz vor der geplanten Haftentlassung Ende 1985 wurde ein neues Strafverfahren gegen ihn eröffnet. Das Gericht erklärte ihn für psychisch krank und wies ihn in eine Klinik in Blagoweschtschensk im Fernen Osten Russlands ein. 1987 wurde er in die Psychiatrische Klinik in Ferghana verlegt, aus der er nach sechs Monaten entlassen wurde.

Nach seiner Freilassung stand er an der Spitze der Ferghana-Gruppe, einer der wichtigsten Strömungen der krimtatarischen Bewegung, aus der später die Nationalbewegung der Krimtataren hervorging. Am 9. November 1988 war Osmanow einer der prominentesten Teilnehmer eines Treffens in Utsch-Kos (Üç Köz, seit 1948 Nowoklenowe/Nowokljonowo) auf der Krim. Hier diskutierten die Vertreter verschiedener Initiativgruppen über die grundlegenden Prinzipien der krimtatarischen Bewegung und verständigten sich über die Koordinierung ihrer Strukturen. Nach einem Pogrom gegen die Mescheten im Ferghana-Tal im Sommer 1989 war es auch dem Einsatz Osmanows zu verdanken, dass sich der Konflikt nicht auf das Verhältnis von Usbeken und Krimtataren insgesamt ausweitete.

1989 wurde Osmanow Mitglied im Ausschuss des Obersten Sowjets der UdSSR zur Frage der Krimtataren. Im Oktober 1990 amtierte er als Vorsitzender des Staatlichen Komitees für die Fragen Deportierter Völker beim Gebiets-Exekutivkomitee der Krim. In dieser Funktion traf er Vertreter der Staatsführung der UdSSR und der zentralasiatischen Republiken. Diese persönlichen Kontakte wirkten sich förderlich auf die Erarbeitung rechtlicher Grundlagen für eine Rückkehr der Krimtataren auf die Krim aus. Einfluss auf Annahme entsprechender Dokumente hatte auch die Rede Osmanows auf dem IV. Kongress der Volksdeputierten der UdSSR. Ebenso war es seinem Engagement zu verdanken, dass mit den Staatsführungen der zentralasiatischen Republiken ein Kompromiss gefunden werden konnte, um den Tataren eine Rückkehr auf die Krim zu ermöglichen.

Osmanow war aussichtsreicher Kandidat für die Leitung des Komitees für die Fragen Deportierter Völker, wurde 1991 jedoch nicht als Vorsitzender bestätigt, nachdem er Unregelmäßigkeiten bei der Verausgabung von Mitteln kritisiert hatte, die von der Regierung der UdSSR für den Bau von Wohnungen für die heimkehrenden Krimtataren bereitgestellt worden waren. 1991 gründete er die Zeitung „Areket“ (Die Bewegung). 1992 zog seine Familie auf die Krim. 1993 wurde er Dekan der Fakultät für Orientalistik an der Taurischen Ökologisch-Politischen Hochschule (Tavričeskij Ėkologo-Politologičeskij Universitet) in Simferopol. Von Osmanow stammen der Entwurf der Verfassung der ASSR Krim, die Grundzüge des Gesetzes zur Regelung von Rechts- und Eigentumsfragen sowie die grundlegenden Prinzipien der Nationalitätenpolitik der Krim.

Am 6. November 1993 wurde Juri Osmanow in Simferopol Ziel eines Mordanschlags, an dessen Folgen er einen Tag später starb. Die Umstände seiner Ermordung sind ungeklärt. Er wurde auf dem städtischen Abdal-Friedhof beerdigt.

Autorenteam der Stiftung „Initiative der Krimtataren“
Aus dem Polnischen von Gero Lietz
Letzte Aktualisierung:10/20