Glossar

Edice Petlice

Erster Untergrund-Literaturverlag in der Tschechoslowakei. Ab März 1970 verstärkte das tschechoslowakische Kulturministerium die Kontrolle der Verlage und erstellte eine Liste von Autoren, die verboten wurden. Deren Werke wurden innerhalb weniger Monate aus Buchhandlungen und Bibliotheken entfernt. 1972 begann Ludvík Vaculík deshalb gemeinsam mit Freunden, von den staatlichen Verlagen abgelehnte Texte selbst zu vervielfältigen. Sie erstellten Kopien auf der Schreibmaschine, banden und unterschrieben sie eigenhändig, denn laut Gesetz durften Texte einzig und allein für den Eigenbedarf des Autors vervielfältigt werden. Nachdem sie mehrere Titel herausgegeben hatten, gründeten sie den Verlag Edice Petlice. Der von Ludvík Vaculík kreierte Name „Petlice“ (Türriegel) war eine ironische Verdrehung des Namens des staatlichen Verlages „Klíč“ (Schlüssel).

Bis Ende der 80er Jahre brachte Edice Petlice literarische und wissenschaftliche Werke sowie Wörterbücher heraus. Zu seinen Autoren gehörten unter anderem Bedřich Fučík, Václav Černý, Bohumil Hrabal, Josef Hiršal, Jiří Kolář, Jaroslav Putík, Alexandr Kliment, Ludvík Vaculík und viele weitere. Der Gedichtband „Deštník z Piccadilly“ (Regenschirm aus Picadilly) von Jaroslav Seifert, dem Literaturnobelpreisträger von 1984, erschien bereits ein Jahr vor seiner offiziellen Veröffentlichung bei „Edice Petlice“.

„Einige Sätze“

Petition, die am 29. Juni 1989 über Radio Freies Europa und andere ausländische Medien verbreitet wurde. Ihr Name und Inhalt knüpften an das „Manifest der 2.000 Worte“ (Dva tisíce slov) an. Zu den Initiatoren der Petition „Einige Sätze“ (Několik vět) gehörten Václav Havel, Jiří Křižan, Alexandr Vondra und Stanislav Devtátý. In dem Text forderten sie die politische Elite der Tschechoslowakei auf, den Systemwechsel konsequent weiter voranzutreiben, die unabhängigen Bewegungen zu legalisieren, politische Häftlinge freizulassen und eine landesweite Diskussion über die Zukunft der Tschechoslowakei anzustoßen. Alle wichtigen oppositionellen Gruppen unterstützten die Petition, Vertreter der verschiedenen Bürgerrechtsbewegungen beteiligten sich an der Organisation der die Petition begleitenden Kampagne. Im Ergebnis unterschrieben ungefähr 40.000 Personen den Text. Die tschechoslowakische Parteiführung reagierte im Gegenzug mit einem Propagandafeldzug in den staatlichen Medien sowie mit Polizeirepressionen und strafrechtlichen Verfolgungen.

Zum Erfolg der Petition „Einige Sätze“ trug wesentlich bei, dass westliche Radiosender regelmäßig über die Zahl der Unterzeichner und die bekanntesten Unterstützer informierten. Für den 10. Dezember 1989 wurde ein Treffen aller Unterzeichner im Stadtzentrum von Prag geplant. Dies sollte der Höhepunkt der oppositionellen Aktivitäten werden, mit denen der Druck auf die kommunistische Regierung erhöht wurde. Zu der Demonstration kam es jedoch nicht mehr, da das kommunistische Regime durch die Samtene Revolution in den Wochen zuvor bereits seine Machtstellung verloren hatte. Die Petition entfaltete jedoch eine unglaubliche Wirkung in der letzten Phase des kommunistischen Regimes. Viele Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, besonders aus der Kultur, unterstützten die dort formulierten Forderungen.

Einmarsch von Truppen des Warschauer Paktes in die Tschechoslowakei

Bezeichnung für den Einmarsch der Truppen von fünf der acht Warschauer-Pakt-Staaten in der Nacht vom 20. auf den 21. August 1968 in die Tschechoslowakei, um den Prager Frühling niederzuschlagen. Der Einmarsch stieß bei einem Großteil der tschechoslowakischen Bevölkerung auf passiven Widerstand. Die damalige Partei- und Staatsspitze unterschrieb in Moskau unter Druck des Kremls das sogenannte Moskauer Protokoll. Nur der Vorsitzende der Nationalen Front, František Kriegel, verweigerte die Unterschrift unter das Dokument, das die militärische Intervention in der Tschechoslowakei nachträglich legitimieren sollte. Im Oktober 1968 unterzeichneten die Tschechoslowakei und die Sowjetunion außerdem noch einen Vertrag, der der sowjetischen Roten Armee die dauerhafte Stationierung von Truppen in der Tschechoslowakei erlaubte. Dieses Datum wird häufig als das Ende des Prager Frühlings verstanden und kennzeichnet den Beginn der sogenannten „Normalisierung“.

Ekoglasnost

Ekoglasnost war die zahlenmäßig größte informelle Organisation der Zivilgesellschaft in Bulgarien. Sie wurde 1988 gegründet. Ihr Hauptanliegen war der Umweltschutz, aber es wurden auch politische Forderungen vorgebracht.

„Ellenpontok“

Samisdat-Zeitschrift, die im Dezember 1981 in Oradea (ungarisch Nagyvárad) gegründet und von Intellektuellen der ungarischen Minderheit in Rumänien herausgegeben wurde. Ziel von „Ellenpontok“ (Kontrapunkte) war es, die Aufmerksamkeit der internationalen Öffentlichkeit auf die Probleme der ungarischen Minderheit in Rumänien zu lenken. Zur Redaktion gehörten der Philosoph Attila Ara-Kovács, der Geografielehrer Károly Tóth und der Dichter Géza Szőcs. Mit der Zeitschrift arbeiteten namhafte Dissidenten zusammen, darunter auch László Tőkés. Im September 1982 stellte die Zeitschrift ein Programm für das Zusammenleben von Ungarn und Rumänen in einem modernen Staat vor. Vorgesehen waren eine gewisse Autonomie der mehrheitlich von Ungarn bewohnten Regionen und eine entsprechend größere Teilhabe an den zentralen Staatsorganen. Im November 1982 wurden die Redakteure von „Ellenpontok“ verhaftet, und die Zeitschrift stellte ihr Erscheinen ein. In den Folgejahren emigrierten Attila Ara-Kovács, Károly Tóth und Géza Szőcs in den Westen.

Ereignisse in Chirchiq

Am 21. April 1968 wurde in Chirchiq in der Usbekischen SSR eine friedliche Demonstration der Krimtataren von der Polizei gewaltsam aufgelöst. 300 Personen kamen in Haft, zehn von ihnen wurden vor Gericht gestellt. Die von Pjotr Grigorenko und Alexei Kosterin in den Westen übermittelten Informationen über sogenannte „Schlacht von Chirchiq“ zogen erstmals die internationale Aufmerksamkeit auf die Deportation der Krimtataren.

Erste Verhaftungswelle

Repressionswelle in der Ukraine im August und September 1965. Unter den 25 Verhafteten befanden sich Iwan Switlytschnyj, Walentyn Moros, Panas Salywacha, Bogdan Horyn, Mychailo Horyn und Mychailo Osadtschyj. Alle Verhafteten wurden nach Artikel 62, Paragraf 1 Strafgesetzbuch der UdSSR (entspricht Artikel 70, Paragraf 1 Strafgesetzbuch der RSFSR) angeklagt. 1966 wurden 19 der Verhafteten verurteilt. Die Repressionen gaben den Impuls zur Gründung der Unabhängigkeits- und der Menschenrechtsbewegung in der Ukraine. In Kiew fand die Protestaktion bei der Vorführung des Films „Feuerpferde“ statt, es wurden Petitionen zur Unterstützung der Verhafteten verfasst und Wjatscheslaw Tschornowil erstellte die Dokumentation „Verstand schafft Leiden. Porträts von zwanzig ‚Kriminellen‘“.

Estnische Volksfront

Geheimorganisation, die 1970 auf Initiative von Kalju Mütika und Arva Varata gegründet wurde und die sich für die Wiedererlangung der Unabhängigkeit Estlands auf dem Weg eines Referendums einsetzte, das unter der Aufsicht der UNO stattfinden sollte. Die Estnische Volksfron (Eesti Rahvusrinne) gab sechs Ausgaben der unabhängigen Zeitschrift „Eesti Rahvuslik Hääl“ (Estnische Volksstimme) heraus. Nach der Bekanntmachung des Memorandums der Estnischen Demokratischen Bewegung und der Estnischen Volksfront im Westen wurden Mätika und Varata verhaftet. Die Organisation zerfiel Anfang des Jahres 1975.

Estnischer Bund der Nationalisten

Geheime Jugendorganisation, die im „DubrawLag“ in den mordwinischen Lagern Ende der 50er Jahre von den politischen Häftlingen Enna Tarta und Taiva Uiba gegründet wurde. Anfänglich trug der „Estnischer Bund der Nationalisten“ (Eesti Rahvuslaste Liit) den Namen „Estnischer Bund neuer Nationalisten“. Ihre Mitglieder bildeten sich selbst fort und widmeten sich der Ausarbeitung von Plänen für die Fortführung der oppositionellen Tätigkeit nach der Freilassung. Nach der Rückkehr aus dem Lager gaben sie Literatur aus der Zeit des unabhängigen Estlands heraus und verbreiteten diese zusammen mit Flugblättern, in denen zum Kampf gegen die sowjetische Besatzung aufgerufen wurde. Im Sommer 1962 wurden die Mitglieder Enn Tarto, Taivo Uibo, Priit Silla, Erik Udam, Jarmo Kiik und Valdo Teinart verhaftet und zu Lagerhaft zwischen drei und sechs Jahren verurteilt. Die Organisation löste sich auf.

Estnisches Komitee

Ausführendes Komitee des Kongresses Estlands zwischen 1990 und 1992, das von den Kongress-Mitgliedern gewählt wurde. Das Estnische Komitee (Eesti Komitee) bestand aus 70 Delegierten. Der Vorsitzende war Tunne Kelam.

„Evrei v SSSR“

Unregelmäßig erscheinende, russischsprachige oppositionelle Zeitschrift, von der in Moskau zwischen 1972 und 1979 zwanzig maschinengeschriebene Ausgaben mit jeweils 100 bis 250 Seiten herausgegeben wurden. Gründer und Erstredakteure von „Evrei v SSSR“ (Juden in der UdSSR) waren Viktor Jachot und Alexander Woronel, die ihre Namen offen angaben. Zur Redaktion gehörten außerdem Rafail Nudelman, Ilja Rubin, Michail Agurski, Ejtan Finkelstej, Viktor Brajlowski und andere. In der Zeitschrift wurden unter anderem Briefwechsel zwischen Mitgliedern der Bewegung der Otkazniki und den staatlichen Behörden veröffentlicht. Die Zeitschrift vereinigte Aktivisten der jüdischen Auswanderungsbewegung, die eine Wiederbelebung des nationalen Bewusstseins durch eine Rückkehr zur jüdischen Kultur erreichen wollten. Sie war auch ein Zentrum, das Verbindungen zur Menschenrechtsbewegung herstellte. So wurden einerseits Appelle veröffentlicht, andererseits informierte die „Chronik der laufenden Ereignisse“ über die Zeitschrift und Repressionen gegen ihre Redakteure und Autoren.

Im Mai 1975 eröffnete die Staatsmacht ein Strafverfahren gegen Redakteure und Zusteller von „Evrei v SSSR“. Im Rahmen dieses Verfahrens wurde der letzte Redakteur Viktor Brajlowski 1981 verhaftet und verurteilt, obwohl die Zeitschrift bereits 1979 ihr Erscheinen eingestellt hatte. Die Hebräische Universität in Jerusalem gab Nachdrucke aller Ausgaben heraus.

Expedice

Samisdat-Literaturverlag in der Tschechoslowakei, der neben den Werken bekannter Autoren auch die von jungen Autoren aus der Underground-Szene herausgab. Seit März 1975 war Václav Havel Redakteur von „Expedice“ (Expedition). Er unterschrieb einzelne Veröffentlichungen mit seinem Namen, um die tatsächlichen Autoren vor staatlicher Verfolgung zu schützen. Nach Havels Festnahme 1977 und während seiner Haft übernahm seine Ehefrau Olga die Leitung des Verlages. Jan Lopatka, der bei „Expedice“ seine literaturkritischen Artikel publizierte, hatte wesentlichen Einfluss auf die Auswahl der Werke. Insgesamt erschienen dort rund 400 Publikationen.