Georgien

Merab Kostawa

Merab Kostawa, 1938–89

Merab Kostava

მერაბ კოსტავა / Мераб Костава

Musikwissenschaftler, Menschenrechtsaktivist, Mitglied der Initiativgruppe zur Verteidigung der Menschenrechte in Georgien und der Georgischen Helsinki-Gruppe.

Merab Kostawa wurde in Tiflis geboren. 1956 wurde er Mitglied der im Untergrund tätigen Schülergruppe von Swiad Gamsachurdia, mit dem er seit Kindertagen befreundet war. Im Dezember des Jahres half er bei der Verbreitung von Flugblättern, die zum Kampf für die Unabhängigkeit Georgiens und zur Unterstützung für das „heldenhafte ungarische Volk“ aufriefen. Schon bald wurden Kostawa und andere Mitglieder der Gruppe verhaftet. Im April 1957 verurteilte ihn das Oberste Gericht der Georgischen SSR auf der Grundlage von Artikel 58 Paragraf 10 und 11 des Strafgesetzbuches der Georgischen SSR (entspricht Artikel 58, Paragraf 10 Strafgesetzbuch der RSFSR und entsprechend Paragraf 11) zu vier Jahren Haft auf Bewährung.

Anfang der 60er Jahre schloss Kostawa sein Klavierstudium am Konservatorium Tiflis ab und arbeitete als Musiklehrer. Anfang der 70er Jahre unterstützte er Swiad Gamsachurdia bei der Zusammenstellung von Informationen über die Situation in Georgien für die von Moskauer Menschenrechtsaktivisten herausgegebene „Chronik der laufenden Ereignisse“. Gemeinsam beschafften und vervielfältigten sie viele in Moskau erscheinende russischsprachige Samisdat-Publikationen, auch war er an dem von Gamsachurdia organisierten Druck der Untergrundausgabe des „Archipel Gulag“ von Alexander Solschenizyn beteiligt. Kostawa engagierte sich darüber hinaus als Übersetzer russischer Samisdat-Titel ins Georgische, darunter das Buch "Mein Land und die Welt" (O strane i mire, deutschsprachige Ausgabe 1975) von Andrei Sacharow; der Aufsatz „Sozialismus" (Socjalizm) von Igor Schafarewitsch aus der Sammlung „Stimmen aus dem Untergrund“ (Iz-pod glyb, deutschsprachige Ausgabe 1975) und „Ist ein nichttotalitärer Sozialismus möglich?" (Wozmožen li socjalizm ne totalitarnogo tipa?) von Juri Orlow.

Er publizierte in den unabhängigen Zeitschriften „Okros Sats‘misi“ und „Sakartvelos Moambe“, deren Herausgeber er war. Hier erschien 1976 seine Buchbesprechung von Andrei Sacharows „„ein Land und die Welt“.

1974 gründeten Gamsachurdia und Kostawa die Initiativgruppe zur Verteidigung der Menschenrechte in Georgien. Anfang 1977 war Kostawa auch am Aufbau der Georgischen Helsinki-Gruppe beteiligt, seine Mitgliedschaft wurde jedoch nicht publik gemacht. Neben Protesten gegen Menschenrechtsverletzungen in Georgien unterschrieb er auch Petitionen für die Moskauer Menschenrechtsaktivisten Sergei Kowaljow und Alexander Ginsburg.

Kostawa befasste sich intensiv mit der Frage der unter Stalin aus Georgien deportierten Turk-Mescheten. Er empfing bei sich zu Hause deren Abgesandte, und als diese dort festgenommen wurden, beschwerte er sich darüber in einem Brief an Leonid Breschnew. Darin formulierte er seinen „entschiedenen Protest gegen die Willkür des KGB, die den heiligen Brauch der Gastfreundschaft mit Füßen tritt“. Er forderte die „Rückkehr der Mitbrüder – 300.000 Georgier – in die Heimat und die Wiederherstellung des ihnen 1944 abgenommenen nationalen Status“ sowie der „georgischen Regierung die Zuständigkeit zu übertragen, die Probleme ihres eigenen Volkes selbständig zu lösen“. Über die Mescheten schrieb Kostawa auch einen im Samisdat verbreiteten historischen Abriss. 1976 publizierte er im „Okros Sats‘misi“ einen Aufsatz mit der Forderung, den Mescheten ihre Heimat zurückzugeben.

Am 7. April 1977 wurde er vom KGB verhaftet – ebenso Swiad Gamsachurdia und Wiktor Rzchiladse. Der Prozess gegen ihn und Gamsachurdia fand vor dem Tifliser Stadtgericht statt (15.–19. Mai 1978). Auf der Grundlage von Artikel 71 Strafgesetzbuch der Georgischen SSR (entspricht Artikel 70 Strafgesetzbuch der RSFSR) wurde er zu drei Jahren Freiheitsentzug und zwei Jahren Verbannung verurteilt. Im Gegensatz zu Gamsachurdia bekannte er sich nicht schuldig.

Seine Strafe verbüßte er zunächst im Straflagerkomplex der Permer Lager, wo er sich an Protestaktionen der Häftlinge beteiligte. 1980 wurde er an seinen Verbannungsort Kwitok im Rajon Tajschet (Oblast Irkutsk) gebracht. Im November 1981, kurz vor seinem Entlassungstermin, wurde er unter dem fingierten Vorwand des „Rowdytums“ erneut verhaftet. Das Rajon-Gericht Tajschet verurteilte ihn nach Artikel 206 Paragraf 2 des Strafgesetzbuches der RSFSR zu fünf Jahren und einem Monat Freiheitsentzug. Für Kostawa setzte sich unter anderem Andrei Sacharow ein: „Ich halte ihn für den edelsten aller Menschen“, schrieb er in einem Telegramm an den Ersten Sekretär des ZK der Kommunistischen Partei Georgiens, Eduard Schewardnadse. Diesmal wurde Kostawa in das Strafgefangenenlager in Angarsk (Oblast Irkutsk) gebracht. Aus Protest gegen die Beschneidung seiner Rechte trat er wiederholt in langandauernde Hungerstreiks. Im Juni 1985 wurde er im Lager festgenommen und ein drittes Mal vor Gericht gestellt. Das Rajongericht in Angarsk verurteilte ihn wegen „Verstoßes gegen die Lagerordnung“ (de facto für seine Teilnahme am Kampf der Häftlinge um ihre Rechte) zu zwei Jahren verschärfter Lagerhaft. Im Dezember 1986 wurde er nach Georgien verlegt, wo er im Rahmen der von Gorbatschow verfügten Freilassung politischer Gefangener schließlich aus der Haft entlassen wurde.

Die Erlaubnis, im März 1988 nach Moskau zu reisen, um dort am Internationalen gesellschaftlichen Seminar teilzunehmen, wurde ihm verweigert. Im Juni 1988 nahm er in Lemberg an einer Beratung von Vertretern patriotischer Bewegungen verschiedener Völker der UdSSR teil. Er selbst repräsentierte dabei die Ilia-Tschawtschawadse-Gesellschaft.

Im Oktober 1988 nutzte Kostawa eine Kundgebung im Rajon Marneuli dazu, die Gründung einer Volksfront Georgiens vorzuschlagen. Ab dem Herbst 1988 war er einer der Organisatoren und regelmäßiger Teilnehmer von Massendemonstrationen in Tiflis, unter anderem der Kundgebung vor dem Regierungsgebäude vom 4. bis. 9. April 1989. Am Morgen des 9. April 1989 wurde er festgenommen, jedoch bereits Mitte Mai wieder auf freien Fuß gesetzt. Schon kurz darauf, am Unabhängigkeitstag Georgiens (am 26. Mai 1989), hielt er eine Rede auf einer weiteren Massenkundgebung in Tiflis. Als sich im Juli 1989 die ethnischen Konflikte in Georgien erheblich verschärften, setzte er sich persönlich dafür ein, georgisch-abchasische und georgisch-aserbaidschanische Zusammenstöße zu verhindern. Ebenso seinem Einsatz ist es zu verdanken, dass ein paar Dutzend meschetische Familien in ihre angestammte Heimat zurückkehren konnten.

Merab Kostawa kam am 13. Oktober 1989 bei einem Autounfall unweit des Dorfes Boriti (Rajon Charagaul) ums Leben. Er wurde auf dem Tifliser Mtazminda-Pantheon beigesetzt. Am Tage seiner Beerdigung wurde in Georgien Staatstrauer angeordnet, und es wurde beschlossen, in seiner Wohnung ein Museum einzurichten. Eine der Hauptstraßen in Tiflis trägt heute seinen Namen, ebenso eine karitative Stiftung und ein gesellschaftspolitischer Verein. Am 26. Mai 2000 wurde in Tiflis eine Gedenkbüste enthüllt.

Wiktor Rzchiladse, Teimuras Tschanturischwili
Aus dem Polnischen von Gero Lietz
Letzte Aktualisierung: 08/18