Geschichte der georgischen Opposition
Georgien blickt auf viele Jahrhunderte eigener Staatlichkeit zurück. Die ersten staatlichen Gebilde auf heutigem georgischen Gebiet entstanden bereits im Altertum. Georgien hatte über Jahrhunderte als Ansammlung einzelner, unabhängiger Königtümer, oder als einheitlicher Staat Bestand. Wiederholt geriet Georgien in den Einflussbereich größerer Nachbarn – des Römischen Reiches, des Byzantinischen Reiches, des persischen Sassanidenreiches, des arabischen Kalifats und des Mongolischen Reiches. Die georgischen Königtümer bildeten immer wieder ein Schutzgebiet dieser Reiche oder wurden regelrecht von diesen erobert. Zeiten von Fremdherrschaft wechselten sich mit Zeiten mehr oder weniger unabhängiger Staatlichkeit AB. Im 17. und 18. Jahrhundert kam es in Transkaukasien angesichts der wachsenden Einflussnahme durch islamische Herrscher zu einer allmählichen Annäherung zwischen dem orthodoxen Georgien und Russland. 1783 schloss das Königreich Kartlien-Kachetien mit dem russischen Zarenreich den Vertrag von Georgijewsk, dem zufolge Ostgeorgien unter die Oberhoheit und den Schutz des Russischen Reiches gestellt wurde. Auf diese Weise hoffte man, das Land gegen die mächtigen islamischen Nachbarn – das Osmanische Reich und Persien – zu stärken. 1801 wurden zunächst Kartlien und Kachetien, 1804–07 auch die westgeorgischen Staaten dem Russischen Reich angegliedert. Aus den einstigen Schutzgebieten wurden Gouvernements ohne jeden Autonomiestatus.
Nach der Oktoberrevolution von 1917 erlangte Georgien für kurze Zeit seine Unabhängigkeit: Die Demokratische Republik Georgien (Sakartvelos Demokratiuli Respublika) existierte von Mai 1918 bis März 1921, die sozialdemokratischen Menschewiki waren hier die wichtigste politische Kraft. Die neue Republik wurde von vielen Ländern anerkannt, auch von der jungen Russischen Sozialistischen Föderativen Sowjetrepublik (Rossijskaja Sovetskaja Federativnaja Socjalističeskaja Respublika, RSFSR). Russland und Georgien nahmen diplomatische Beziehungen auf. Mit Hilfe von georgischen Bolschewiki herbeigerufenen Einheiten der Roten Armee wurde die Regierung von Noe Schordania 1921 gestürzt und die Georgische Sozialistische Sowjetrepublik (Sakartvelos Sabch‘ota Sotsialist‘uli Resp‘ublik‘a, Georgische SSR) gegründet. Das Land wurde 1922, zunächst im Verbund der Transkaukasischen SFSR und nach deren Auflösung 1936 als separate Sowjetrepublik, Teil der UdSSR.
Unmittelbar nach dem militärischen Einmarsch gab es verschiedene Formen des Widerstands gegen die einsetzende Sowjetisierung des Landes. Im Untergrund wurde das Unabhängigkeitskomitee Georgiens (Sakartvelos Damouk‘ideblobis K‘omit‘et‘i, Damkom) ins Leben gerufen – ein gemeinsames Koordinierungsgremium einer Gruppe von politischen Parteien, die in die Illegalität gegangen waren (auch bekannt als Paritätisches Komitee). Es kam zu bewaffneten Aufständen (im Sommer 1921 in Swanetien, 1922 auch in Gurien, Kachetien, Imeretien und Megrelien) und öffentlichen Protesten. Bekanntheit erlangte ein Memorandum aus dem Jahr 1922, mit dem sich der Patriarch der Georgischen Orthodoxen Apostelkirche Ambrosius I. (Besarion Chelaia, 1861–1927, Patriarch AB 1921, faktische Absetzung 1926) an die Teilnehmer der Konferenz von Genua wandte. Darin forderte er den Abzug der sowjetischen Truppen aus Georgien sowie das Selbstbestimmungsrecht des georgischen Volkes. Die Niederschlagung des bewaffneten August-Aufstands von 1924 beendete vorerst alle oppositionellen Protestbekundungen, antirussische und antibolschewistische Stimmungen blieben jedoch bestehen. Hinzu kamen Spannungen zwischen der georgischen Bevölkerung und anderen Volksgruppen der Republik, die auch eine Folge der Nationalitätenpolitik und verschiedener administrativer Maßnahmen der Bolschewiki in diesem Bereich waren. Die Stalinzeit hielt diese Stimmungen im Verborgenen, erst mit Beginn des politischen und kulturellen „Tauwetters“ traten sie hervor.
Das Verhältnis zu Stalin und seiner Herrschaft stellte sich in Georgien nie einheitlich dar. Während in Russland der Volksstalinismus nach Stalins Tod dem Ausdruck sozialer Unzufriedenheit diente, erhielt er in Georgien eine spezifische patriotische Note. Erklären lässt sich das zweifellos mit der georgischen Herkunft des Diktators. Viele Georgier sahen in Stalin ein nationales Genie, und die auf dem XX. Parteitag der KPdSU vorgebrachte Kritik am Personenkult betrachtete man als antigeorgischen Akt.

Stalin-Denkmal auf dem Rathaushausplatz in Gori, 1952 errichtet und im Juni 2010 abgerissen (2006)
Charakteristisch war diese Haltung anfangs vor allem für die Bauern und die unteren sozialen Schichten in den Städten, nicht so sehr jedoch für die Intelligenz, die im Zuge der Massenrepressalien bittere Verluste erlitten hatte. Zugleich waren an den von prostalinistischen und zugleich national-patriotischen Losungen begleiteten Massenausschreitungen, zu denen es vom 5. bis 11. März 1956 in der georgischen Hauptstadt und in anderen Städten kam (vgl. *Unruhen in Tiflis), in großem Maße auch Studierende und Schüler beteiligt. Zuweilen kam die Unzufriedenheit mit der Sowjetmacht in demonstrativen Protestaktionen zum Ausdruck: Während sich die Zuschauer erhoben, wenn bei internationalen Wettkämpfen im Sportpalast in Tiflis die Nationalhymnen der teilnehmenden Länder gespielt wurden, blieben sie bei den Klängen der Hymne der UdSSR sitzen. Noch deutlicher war der Protest anlässlich der öffentlichen Vorführung des Films „Marsch auf Rom“ von Dino Risi im Jahr 1963. Eine Szene, in der italienische Faschisten eine Gruppe von Kommunisten zerschlagen und ein Lenin-Porträt ins Feuer werfen, wurde vom Publikum mit Ovationen bedacht, die nicht so sehr Sympathie mit den Faschisten, sondern vielmehr Abneigung gegenüber dem herrschenden System zum Ausdruck brachten.