Geschichte der moldauischen Opposition
Ein Teil des heutigen Territoriums der Republik Moldau (amtlich Moldova) gehörte ab 1920 zur Ukrainischen Sowjetrepublik, das restliche Gebiet – Bessarabien – seit 1918 zu Rumänien. Die Sowjetunion betrachtete Bessarabien als unrechtmäßig besetzt. Gemäß dem geheimen Zusatzprotokoll des Hitler-Stalin-Paktes fielen Bessarabien und die Nordbukowina in den sowjetischen Einflussbereich, woraufhin die Sowjetregierung am 28. Juni 1940 von Rumänien die Abtretung dieser Gebiete forderte. Die UdSSR schlug Bessarabien der 1924 entstandenen Moldauischen Autonomen Sozialistischen Sowjetrepublik zu, die am 2. August 1940 in die Moldauische Sozialistische Sowjetrepublik (Kurzform auch Moldawien) umgestaltet wurde. Nach dem Anschluss Bessarabiens an die Sowjetunion kam es zu Massendeportationen von mehr als 22.000 Personen, die als „gesellschaftlich gefährliche Elemente“ galten. Während des Zweiten Weltkrieges befand sich das Gebiet 1941–44 zeitweise unter Besatzung der mit Nazi-Deutschland verbündeten Achsenmächte, anschließend wurde der Stand von 1940 wieder hergestellt.
Nach Kriegsende entwickelte sich in Moldau keine massenhafte Widerstandsbewegung gegen die Sowjetmacht wie in der Ukraine und in den baltischen Ländern. Ein Großteil der bürgerlichen Kräfte und der Intellektuellen war vor dem Einmarsch der Roten Armee in den Westen geflohen, die bäuerliche Bevölkerung war in den Hungerjahren 1946/47 dezimiert worden: 150.000 bis 200.000 Menschen starben. Obwohl also keine starke Opposition die Macht der Sowjets bedrohte, führten die Behörden zwischen 1949 und 1952 weitere Deportationen (Operation „Süden“ und „Norden“) durch, in deren Folge etwa 32.000 Personen nach Sibirien verschleppt wurden. Diese waren zumeist Zeugen Jehovas, Baptisten und Vertreter des sogenannten bürgerlich-nationalistischen Elements.
Nach der teilweisen Entstalinisierung des XX. Parteitags der KPdSU keimten in der moldauischen Bevölkerung Ideen einer nationalen Erneuerung auf, die bekannte Kulturfunktionäre wie Ion Druță, Ion Ungureanu, Emil Loteanu und Leonid Mursa propagierten. Es entstanden Studentenklubs zur Verbreitung der Nationalkultur; an einigen Hochschulen wehrten sich Studenten gegen die Russifizierung des Bildungswesens.
Die Behörden der Moldauischen Sowjetrepublik wiesen jegliche Versuche unabhängigen Denkens scharf zurück, da sie darin ein Streben nach einer eigenen nationalen Identität sahen. Einen vermeintlichen „bourgeoisen Nationalismus“ vermuteten sie selbst in banalen Alltagshandlungen, die in anderen Sowjetrepubliken erlaubt waren. So vermerkte Ion Druță, dass man in der moldauischen Hauptstadt Chișinău (Kischinau) in jenen Jahren auf jeden Satz in moldauischer Sprache nervös reagierte. Zuweilen wandte sich die moldauische Führung sogar an die Propaganda- und Agitationsabteilung des Zentralkomitees der KPdSU in Moskau und denunzierte Redaktionen zentraler sowjetischer Literaturzeitschriften, diese hätten „zweifelhaftes Material“ publiziert – gemeint waren auf Russisch verfasste Werke moldauischer Autoren. Das Ziel war, die Veröffentlichung von Texten zu verhindern, durch die aus Sicht der Zensoren „schädliche Ideologie“ einsickern könnte. Am schärfsten reagierten die Behörden auf jegliche Kontakte zu Rumänien.
Oppositionelle Kulturschaffende waren Repressionen wie dem Verlust des Arbeitsplatzes, einem Veröffentlichungsverbot und Ähnlichem ausgesetzt. Als Ion Druță auf dem Kongress des Schriftstellerverbands der Moldauischen Sowjetrepublik 1965 die Einführung des lateinischen Alphabets vorschlug, wurde das gesamte Treffen sogleich als nationalistisch gebrandmarkt und Druță gezwungen, Moldau zu verlassen. 1970 verlor Leonid Mursa, der Direktor der Filmschule „Moldava Film“, wegen angeblicher „Unterstützung nationalistischer Tendenzen der Kunstschaffenden“ und „mangelnder Kadererziehung“ sein Amt. Dies bedeutete praktisch das Ende der nationalen Filmschule. 1972 erließ das Politbüro der Moldauischen Sowjetrepublik ein Schreiben mit dem Titel „Über ernsthafte Mängel der Kaderpolitik in der Hauptredaktion der Moldauisch-Sowjetischen Enzyklopädie“, in dem kritisiert wurde, dass die Redaktion von nicht linientreuen Elementen und Personen, die feindliche Propaganda verbreiteten und nationalistische Neigungen zeigten, dominiert werde. Die Moldauische Akademie der Wissenschaften wurde angewiesen, die Redaktion mit linientreuen bzw. „politisch reifen“ Spezialisten zu besetzen.
Das rigide Vorgehen der moldauischen Behörden bewirkte eine innersowjetische Emigration. Vertreter der moldauischen Intelligenz zogen nach Moskau oder in Städte anderer Sowjetrepubliken, wo sie größere Freiheiten hatten und ihre Werke auf Russisch veröffentlichen konnten. Bezeichnenderweise entstanden auch die ersten moldauischen Untergrundgruppen außerhalb der Moldauischen Sowjetrepublik. Der Sitz des Demokratischen Verbands der Sozialisten, einer marxistischen Organisation, die 1960–64 unter Leitung des Lehrers Nicolae Dragoș aktiv war, befand sich in der Siedlung Serpnew bei Odessa in der Ukraine. 1962 gründete Alexandru Șoltoianu in Moskau eine Gruppe unter dem Namen Nationale Wiedergeburt Moldaus.
Daneben finden sich auch in der Moldauischen Sowjetrepublik selbst Spuren oppositionellen Handelns, vor allem von Einzelpersonen. So wurden ab Anfang der 60er Jahre beispielsweise jährlich vier bis sieben Personen nach Artikel 67 Strafgesetzbuch der Moldauischen Sowjetrepublik wegen sogenannter antisowjetischer Agitation verurteilt. Am weitesten verbreitet bei den Oppositionellen waren nationale Ideen, wohingegen Konzepte eines politischen Wandels des Sowjetsystems weniger unterstützt wurden. Am wenigsten Anklang fand die Verteidigung der Menschenrechte. Die meisten Anhänger der nationalen Idee vertraten die Auffassung, die moldauische Bevölkerung sei Teil der rumänischen Nation und Moldauisch mit der rumänischen Sprache identisch. Sie richteten sich nicht nur gegen Russifizierung, sondern auch gegen Versuche einer „Moldauisierung“ von Kultur, Sprache und Dichtung.
1967 gründeten Alexandru Usatiuc und Gheorge Ghimpu die national orientierte Untergrundgruppe National-Patriotische Front. Diese widersetzte sich der Assimilierung und Russifizierung der moldauischen Bevölkerung, erstrebte den Austritt Moldaus aus der Sowjetunion und die Vereinigung mit Rumänien. Die hauptsächliche und wohl einzige Aktionsform waren Artikel und Deklarationen, die im Samisdat verbreitet wurden. Ende 1971, Anfang 1972 nahmen die Behörden die Gründer der National-Patriotischen Front und das Mitglied Valeriu Graur fest und machten ihnen den Prozess.
Neben diesen Organisationen waren in der Moldauischen Sowjetrepublik auch Vereinigungen anderer Nationalitäten aktiv, darunter solche der Juden, Deutschen, Gagausen und Bulgaren. Ende der 60er und in der ersten Hälfte der 70er Jahre wurde die Moldauische Sowjetrepublik dann zu einem Brennpunkt der beginnenden jüdischen Emigrationsbewegung. In Chișinău bildeten sich Gruppen, die jüdische Geschichte und Sprache studierten und historisch-kulturelle Seminare besuchten. Vor dem Präsidiumsgebäude des Obersten Sowjets traten ausreisewillige Juden in den Hungerstreik. Mit juristischen Repressionen wie dem Prozess von Chișinău 1971, dem Leningrader Flugzeug-Prozess, dem Prozess gegen Sender Lewinzon 1975 sowie gegen Osip Lokschin und Wladimir Zukerman 1981 gelang es den Behörden, die Aktivität der moldauischen Otkazniki zu ersticken.