Journalist und Dichter, auch „Gewissen Rumäniens“ genannt

Mircea Dinescu wurde in der Ortschaft Slobozia in der Walachischen Tiefebene geboren. Seine Eltern Stefan Dinescu und Aurelia Badea waren Arbeiter. Nach dem Abitur 1969 ging er nach Bukarest, wo er zunächst als Pförtner am Sitz des Rumänischen Schriftstellerverbandes arbeitete. Ab 1976 war er in der Redaktion der literarischen Zeitschrift „Luceafărul“ (Der Morgenstern) und 1982–89 für die literarische Rundschau „România Literară“ (Literarisches Rumänien) tätig. Während dieser Zeit (1979–84) absolvierte er ein Journalistik-Studium an der Ștefan-Gheorgiu-Akademie in Bukarest.

In jenen Jahren lag sein literarisches Debüt bereits einige Jahre zurück: 1967 druckte die Zeitschrift „Luceafărul“ sein Gedicht „Destin de familie“ (Familienschicksal). Vier Jahre später erschien sein erster Gedichtband „Invocație nimănui” (Niemandes Ruf). Zwischen 1971 und 1989 kamen noch einige Gedichtbände heraus, darunter „Proprietarul de poduri” (Ich bin der Besitzer der Brücken, 1976), „Democrația naturii” (Demokratie der Natur, 1981) und „Rimbaud negustorul“ (Rimbaud, der Kaufmann, 1985). Dreimal erhielt er den Preis des Rumänischen Schriftstellerverbandes (1971, 1976 und 1981).

In den 80er Jahren distanzierte sich Dinescu zunehmend von der Politik Nicolae Ceaușescus. Seine Werke erfreuten sich nach wie vor großer Beliebtheit und er wurde „das Gewissen Rumäniens“ genannt, stand aber gleichzeitig unter ständiger Observation der Securitate. Nach der Ablehnung seines Poems „Moartea citește ziarul“ (Der Tod liest Zeitung) durch die Zensur wurde das Werk 1988 in Amsterdam veröffentlicht. In Rumänien erschien es erst nach dem Ende der Diktatur 1990.

Am 17. März 1989 gab Dinescu der französischen Zeitung „Libération“ ein ausführliches Interview, in dem er die Politik der Ceaușescu-Regierung kritisierte. Er verlor sofort seine Arbeit bei der Zeitschrift „România Literară“, wurde aus der Partei ausgeschlossen, unter Hausarrest gestellt und verstärkt von der Geheimpolizei überwacht. Über den gegen Dinescu verfügten Hausarrest berichteten westeuropäische Medien wie „Le Monde“, „Libération“ und „Time“ ausführlich und lösten damit Bestürzung in literarischen Kreisen weltweit, aber auch in Rumänien selbst aus. Sieben Vertreter der rumänischen Literatur und Kultur (Geo Bogza, Ștefan Augustin Doinaș, Dan Hăulică, Octavian Paler, Alexandru Paleologu, Mihai Sora und Andrei Pleșu) wandten sich in einem offenen Brief an Dumitru Radu Popescu, den Vorsitzenden des Rumänischen Schriftstellerverbandes, und brachten ihre Solidarität mit Dinescu zum Ausdruck.

Dinescu gelang es genauso wie Doina Maria Cornea, seine Gedichte und Feuilletons mit Hilfe des damaligen niederländischen Botschafters Coen Stork oder des polnischen Botschaftsrats Łukasz Szymański in den Westen zu schleusen. Viele seiner Werke wurden damals ins Französische oder Englische übersetzt. 1989 erschienen unter anderem auf Französisch „Mirage posthume“ und in deutscher Übersetzung „Exil im Pfefferkorn“ (Exil pe-o boabă de piper). Vor allem in der französischen Presse machte sich im Herbst 1989 angesichts der Situation Dinescus große Besorgnis breit. Es hieß ohne Umschweife, dass Dinescu „sich in Lebensgefahr befindet (so in „Le Monde“ vom 11. November 1989).

Niemand konnte ahnen, dass das Ceaușescu-Regime so schnell zu Ende gehen würde. Die Dezember-Revolution besiegelte den Sturz der Diktatur. Am 22. Dezember 1989 war es Dinescu, der allen Rumänen aus dem Fernsehstudio die Nachricht verkündete: „Der Tyrann ist geflohen.“ In der Nacht vom 22. auf den 23. Dezember 1989 gab Ion Iliescu aus demselben TV-Studio die Zusammensetzung der neugebildeten Nationalen Rettungsfront bekannt, zu deren Mitgliedern auch Dinescu zählte.

Nach den Umsturz im Dezember 1989 setzte Dinescu seine dichterische Tätigkeit fort. Noch 1989 erschien eines seiner wichtigsten Werke: „O beție cu Marx” (Besäufnis mit Marx), das in zahlreiche Sprachen übersetzt wurde. 1991 gründete er die Satirezeitschrift „Academia Cațavancu (Die Akademie Cațavancus”, deren Chefredakteur er bis 2000 war. Die Zeitschrift ging insbesondere mit der Welt der Politik ins Gericht. Im Oktober 2000 gründete er die Monatsschrift „Plai cu boi“ (Stierweide), dessen Titel ein an den „Playboy“ angelehntes Wortspiel ist, sowie das satirische Wochenblatt „Aspirina Săracului“ (Aspirin des Armen). Im Mai 2005 startete er die Herausgabe der Tageszeitung „Gândul“ (Gedanke) mit einer Auflage von 100.000 Exemplaren. Dinescu gründete in Bukarest außerdem ein Zentrum für Gegenwartskunst und gab Gedichtbände rumänischer Autoren heraus. In zahlreichen Feuilletons und Kommentaren für die Zeitung „Gândul“ äußerte er sich zu aktuellen Themen. Über sich selbst sagte er: „Ich habe die rumänische Politik geändert, denn ich habe den Menschen beigebracht, über die Staatsmacht zu lachen.“

1999 war Dinescu einer der Unterzeichner des Appells von Intellektuellen aus den Balkanländern gegen den Krieg in Jugoslawien. 2000 wurde er zusammen mit den beiden ehemaligen Bürgerrechtlern Andrei Pleșu und Horia Patapievici Mitglied im Nationalen Rat für Archivforschung. Auf ihre Initiative hin wurden die 35 Kandidaten für den Posten des Oberbürgermeisters von Bukarest einer Überprüfung auf Zusammenarbeit mit der Securitate unterzogen. 1991 wurde Dinescu Vorsitzender des Bundes der Literaten. In Anerkennung seiner Leistungen für die europäische Kultur wurde er im selben Jahr Ehrenmitlied der Universität Augsburg. 1999 wurde ihm für sein Werk der Herder-Preis der Alfred Toepfer Stiftung verliehen. 2003 kürte ihn das Wochenmagazin „Time“ zum Menschen des Jahres in der Kategorie „Hate Buster“. Bis heute ist Mircea Dinescu eine der einflussreichsten literarischen, publizistischen und kritischen Stimmen Rumäniens.

Małgorzata Willaume
Aus dem Polnischen von Gero Lietz
Letzte Aktualisierung: 05/17