Rewolt Pimenow

Rewolt Pimenow, 1931–90

Revol’t Ivanovič Pimenov

Револьт Иванович Пименов

Nachdem der Oberste Sowjet der RSFSR Peminow begnadigt hatte, wurde er am 26. Juli 1963 entlassen. 1963–70 lebte er in Leningrad, war wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Leningrader Zweigstelle des Steklow-Institutes für Mathematik der sowjetischen Akademie der Wissenschaften, hielt an der Fakultät für Mathematik und Mechanik der Leningrader Universität Vorlesungen über Geometrie und war Mitglied der Kommission für Schwerkraft der Akademie der Wissenschaften der UdSSR. Auf einer Konferenz über Schwerkraft lernte er 1968 Andrei Sacharow kennen. 1964 verteidigte Pimenow seine Doktorarbeit und im November 1969 seine Habilitation.

In der zweiten Hälfte der 60er Jahre sammelte und vervielfältigte Pimenow unabhängige Publikationen. 1968 erschienen im Samisdat mit „Ein politischer Prozess“ (Odin političeskij process) seine Erinnerungen an den Gerichtsprozess von 1957. Auszüge daraus wurden in den 70er Jahren im Westen veröffentlicht, in Russland erschien das vollständige Buch erst 1996. Außerdem wurde die historische Streitschrift „Wie ich den Spion Reilly suchte“ (Kak ja iskal špiona Rejli) gedruckt, die vor allem im Samisdat weite Verbreitung fand und 1972 im Ausland und nach 1990 in mehreren Auflagen in Russland veröffentlicht wurde. 1969 zeichnete Pimenow den Verlauf des Prozesses gegen Juri Gendler, Lew Kwatschewski und Anatoli Studenkow auf. Der Text wurde unter dem Pseudonym „L. P. Nestor“ veröffentlicht.

Am 18. April 1970 wurde bei Pimenow eine Hausdurchsuchung durchgeführt, bei der über 250 im Samisdat herausgegebene Publikationen konfisziert wurden. Das Protokoll der Durchsuchung wurde damals auch im Samisdat bekannt gemacht. Gleichzeitig fand eine Durchsuchung bei Boris Wail statt. Nach einigen Tagen wurde Pimenow von Wadim Medwedew, dem Sekretär für Ideologiefragen des Leningrader Parteikomitees einbestellt. Eine Aufzeichnung dieses Gespräches übergab Pimenow der „Chronik der laufenden Ereignisse“ (Nr. 15/1970). Am 23. Juli 1970 wurde er unter dem Vorwurf der „Verbreitung verleumderischer Informationen, die das sowjetische Staats- und Gesellschaftssystem herabwürdigen“ erneut verhaftet.

Der Prozess gegen Pimenow und Boris Wail, der am 14. und vom 20. bis 22. Oktober 1970 stattfand, löste ein großes gesellschaftliches Echo aus. Viele Moskauer Dissidenten kamen, um ihre Unterstützung für die Angeklagten zum Ausdruck zu bringen. Juri Aichenwald widmete dem Prozess das Poem

„Blätterfall in Kaluga“ (Listopad v Kaluge). Die Beschuldigten wurden angeklagt, nicht genehmigte Literatur aufbewahrt und weitergeleitet zu haben, darunter Milovan Đilas‘ Buch „Die neue Klasse“ sowie einen der zentralen Texte des Prager Frühlings, das „Manifest der 2.000 Worte“ (Dva tisíce slov). Die Angeklagten bekannten sich nicht schuldig und wurden zu jeweils fünf Jahren Verbannung verurteilt.

Pimenow gelang es, dem im Gerichtssaal anwesenden Andrei Sacharow heimlich Notizen aus den Untersuchungsakten und den Prozessmaterialien zu übergeben.

Die Verbannung verbüßte Pimenow in der nordrussischen Sowjetrepublik Komi in der Siedlung Krasny Saton, wo er in einer Sägemühle arbeitete. Anschließend kam er nach Syktywkar, in die Hauptstadt von Komi, wo er ab März 1972 wissenschaftlicher Mitarbeiter der Außenstelle der Akademie der Wissenschaften der UdSSR wurde. Nach Ablauf seiner Verbannungszeit lebte und arbeitete Pimenow weiter in Syktywkar. Zwischen 1972 und 1980 schrieb und veröffentlichte er im Samisdat unter dem Pseudonym „Sergei Spektorski“ vier Bände der historischen Abhandlung „Die Ursprünge der heutigen Machthaber“ (Proischoždenie sovrjemennoj vlasti), in der er die politische Entwicklung der russischen Gesellschaft zwischen 1855 und 1980 beschrieb: „Ich wollte am Beispiel der vaterländischen Geschichte zeigen, was die Bedeutung von ‚Staat‘, ‚Volk‘ und ‚Regierung‘ ausmacht und was Russland hinsichtlich dieser Phänomene Neues in die Geschichte des 20. Jahrhunderts eingebracht hat.“

1976–81 arbeitete Pimenow für unabhängige Zeitschriften. Im historischen Journal „Pamjat‘“ (Gedächtnis) veröffentlichte er einige Kapitel seines Buches „Ein politischer Prozess“, Dokumente über die Verteidigung der Menschenrechte aus der Zeit seiner ersten Verhaftung sowie Rezensionen zu Büchern von Awraam Schifrin und Anatoli Martschenko über die Lager in der poststalinistischen Zeit.

Pimenow war einer der aktivsten Autoren der Samisdat-Zeitschrift „Summa“ (Summe), in der er unter den Pseudonymen „LPN“ und „L. P. Nestor“ schrieb. 1978–80 veröffentlichte er dort ungefähr 20 Rezensionen und Analysen. Er publizierte außerdem in der Zeitschrift „Poiski“ (Suche) und schrieb seine Memoiren. Wegen der Verbreitung von Literatur im Samisdat, beispielsweise Gedichte von Alexander Galitsch, wurde er 1978 auf seiner Arbeit degradiert. Am 30. November 1982 wurde in seiner Wohnung in Syktywkar eine Durchsuchung durchgeführt, bei der seine Manuskripte sowie „illegale“ in- und ausländische Publikationen konfisziert wurden. Im Dezember 1982 und im Mai 1983 wurde Pimenow vom KGB verhört, er verweigerte jedoch die Aussage. Zwar wurde ein Verfahren gegen ihn eingeleitet, dieses später jedoch eingestellt.

Erst 1988 wurde Pimenows Habilitation offiziell bestätigt, wozu es bis dahin wegen seiner Verurteilung 1970 nicht gekommen war. 1989 wurde er Professor an der Universität Syktywkar. Seine Arbeiten erschienen sowohl in offiziellen Zeitschriften wie „Novy Mir“, „Neva“, „Ural“, „Novoje Vremja“ und „Knižnoe obosrenie“ als auch in der inoffiziellen Presse der Perestroika-Periode. 1988/89 hielt Pimenow in Syktywkar eine Serie von Vorlesungen zur Geschichte Russlands. Im Herbst nahm er an der Gründung der Gesellschaft Memorial in Syktywkar teil und wurde dessen Vorsitzender. Im Januar 1989 war er Delegierter des sowjetischen Gründungskongresses von Memorial in Moskau und kam in den Vorstand.

Bei der Wahl der Volksdeputierten der UdSSR im April 1989 war Pimenow Bevollmächtigter von Andrei Sacharow und kandidierte gleichzeitig mit dessen Unterstützung selbst als Volksdeputierter der Sowjetrepublik Komi. Pimenow erreichte den zweiten Wahlgang, unterlag aber im Mai 1990.

Im März 1990 wurde Pimenow jedoch zum Volksdeputierten der Russischen Sowjetrepublik gewählt. Er nahm vom 16. Mai bis 22. Juni 1990 an den Sitzungen des Ersten Kongresses der Volksdeputierten teil, gehörte zur Abgeordnetengruppe „Demokratisches Russland“ und wurde Mitglied der Verfassungskommission.

Rewolt Pimenow starb am 19. Dezember 1990 nach einer Operation in einem Krankenhaus in Berlin. Er wurde auf dem Schuwalowski-Nordfriedhof in Leningrad beigesetzt.

Dmitri Subarew
Aus dem Polnischen von Tim Bohse
Letzte Aktualisierung: 03/16