Wie im ganzen Land nahm nach Stalins Tod auch in Armenien der politische Terror spürbar ab. Erste unabhängige Initiativen meldeten sich zu Wort. Dabei wies die armenische Dissidentenbewegung einige spezifische Merkmale auf, die im tragischen Schicksal und in der Situation des armenischen Volkes im 20. Jahrhundert begründet lagen: dem Völkermord an den Armeniern 1915, der außerordentlich großen armenischen Diaspora außerhalb der UdSSR und der territorialen Trennung des Volkes innerhalb der UdSSR (Bergkarabach und Nachitschewan). Ein wichtiger Aspekt war darüber hinaus die (mit einem Anteil von 90 Prozent) weitgehende nationale Homogenität der Bevölkerung der Armenischen SSR und die vergleichsweise liberale Kulturpolitik des Landes. Entgegenkommen in Fragen der Nationalkultur gab es durchaus auch in anderen Sowjetrepubliken, in Armenien kam jedoch eine traditionelle Hochachtung gegenüber Kulturschaffenden (Schriftstellern, Musikern, Malern) hinzu, die dazu führte, dass Konflikte zwischen Machthabern und Vertretern der intellektuellen Elite des Landes in diesem Bereich praktisch gar nicht erst entstanden. Anders sah es mit politischen Forderungen und nationalen Anliegen aus. Fragen wie die Anerkennung der Verbrechen von 1915 als Völkermord, die Wiedervereinigung der abgetrennten Gebiete mit Armenien, die Bewahrung des Nationalbewusstseins und der Kulturdenkmäler waren für die armenische Dissidentenbewegung weit wichtiger als der Kampf um künstlerische Freiheiten oder Menschenrechte im Allgemeinen. Auch Forderungen nach einer vollständigen staatlichen Souveränität des Landes wurden laut.
Im Unterschied zu vielen anderen Dissidentenbewegungen in der UdSSR setzte die armenische Nationalbewegung grundsätzlich auf den Kampf in organisierten Gruppen. So fand sich die erste organisierte Jugendgruppe der Post-Stalin-Ära offenbar bereits 1955 zusammen. In der Stadt Leninakan (heute: Gjumri) verbreiteten ihre Mitglieder Flugblätter mit der Forderung nach Schaffung eines unabhängigen armenischen Staates. 1957 flog die Gruppe auf. Zu den mitgliederstärksten Untergrundorganisationen der 60er Jahre zählten: der Bund der armenischen Jugend (die Gruppe wurde unter identischem Namen 1968 und erneut Ende der 70er Jahre wiederbelebt), der Bund der armenischen Patrioten, die Gruppe Hanun Hajreniki und der Bund für die Vereinigung Armeniens. Insgesamt gehörten mehrere Hundert Personen den unabhängigen Gruppen an. Einige Organisationen (wie der Bund der armenischen Jugend) wandten sich im Rahmen von Kampagnen an die armenische Bevölkerung von Bergkarabach, um sie für den Kampf um den Anschluss des Territoriums an Armenien zu gewinnen. Mitglieder des Bundes für die Vereinigung Armeniens blockierten einige auf dem Gebiet der Armenischen SSR gelegene Dörfer, um dort ansässige Aserbaidschaner zu vertreiben, die sie als „Eindringlinge“ betrachteten. Bezeichnend ist, dass die Aktion bei den lokalen Behörden auf durchaus positive Resonanz stieß. Der armenisch-aserbaidschanische Konflikt war fortwährend präsent, obwohl die sowjetischen Behörden im Allgemeinen bemüht waren, ihn zu entschärfen. Forderungen nach der Vereinigung Bergkarabachs und Nachitschewans mit Armenien erhoben nicht nur Untergrundaktivisten, sondern auch führende Kulturschaffende des Landes wie die Dichterin Silwa Kaputikjan.
Zu einem Meilenstein für das wiedererwachende armenische Nationalbewusstsein wurden die Ereignisse vom 24. April 1965, dem 50. Jahrestag des Beginns des Völkermords von 1915. Während die sowjetischen Machthaber bemüht waren, die offiziellen Gedenkfeierlichkeiten an diesem Tag auf ein Minimum zu beschränken, strömten Zehntausende auf die Straßen Jerewans, um an einer inoffiziellen Trauerkundgebung teilzunehmen. Es kam zu Ausschreitungen und Festnahmen. Unter den Demonstrierenden waren auch Mitglieder verschiedener Untergrundgruppen, von denen einige nur ein Jahr später die Nationale Vereinigte Partei Armeniens (NVPA) ins Leben riefen, die schon bald zu einer integrierenden Kraft für die armenische nationale Befreiungsbewegung werden sollte. 1966–68 schlossen sich ihr einige bereits bestehende Jugendorganisationen an. Diese Konsolidierung war möglich, da die ideellen Unterschiede zwischen den armenischen Untergrundgruppen minimal und mit der Gewinnung neuer Mitglieder und der Herausgabe und Verbreitung von Flugblättern die Formen des Kampfes ähnlich waren. 1967 erschien abseits der Zensur die erste Ausgabe des NVPA-Organs „Paros“. Am 24. April 1968 gelang es Mitgliedern der Partei während der Feierlichkeiten am neu errichteten Denkmal für die Opfer des Völkermords von 1915 auf dem Hügel Zizernakaberd in Jerewan, eine Radioübertragung zu organisieren und einen Aufruf zum Kampf für die Unabhängigkeit des Landes zu verlesen. Nach dieser beispiellosen Aktion mussten die armenischen Untergrundorganisationen herbe Rückschläge hinnehmen: Viele Aktivisten der NVPA, des Bundes der armenischen Patrioten und der Gruppe Hanun Hajreniki wurden verhaftet. Nach Gerichtsprozessen 1967–69 wurden 35 Personen verurteilt. Einige Untergrundaktivisten gaben nach Verbüßung ihrer Haftstrafen in den mordwinischen Lagern ihre politische Betätigung auf. Für andere war das Lager eine wahre Schule zivilen Ungehorsams. Sie knüpften dort Kontakte zu Dissidenten aus Russland, der Ukraine und anderen Sowjetrepubliken. So fanden Nachrichten über die Opposition in Armenien Anfang der 70er Jahre auch ihren Weg in die in Moskau erscheinende „Chronik der laufenden Ereignisse“ und in die westliche Presse.