Geschichte der aserbaidschanischen Opposition
Infolge des Russisch-Persischen Krieges 1804–13 fiel das nördliche Aserbaidschan (die heutige Republik Aserbaidschan) an das Russische Reich, ein Großteil der türkischsprachigen Muslime jedoch lebte weiterhin in Persien (dem heutigen Iran). Es waren die nationale Heterogenität sowie die Siedlungsgebiete nationaler Minderheiten in den Grenzregionen, die seitdem eines der größten Probleme aserbaidschanischer Staatlichkeit darstellten. Zwischen den verschiedenen Volksgruppen – den türkischsprachigen, muslimischen Aserbaidschanern bzw. Aseri, christlichen Armeniern, iranischsprachigen Talyschen im Süden und Lesgiern bzw. Lesginen im Norden des Landes – kam es immer wieder zu Konflikten, die in Zeiten staatlicher Schwäche an Schärfe zunahmen und in den Jahren 1905 und 1918 sogar zu ethnisch begründeten Massakern führten. Ab den 1830er Jahren wurden die transkaukasischen Gouvernements außerdem als Verbannungsorte für Mitglieder religiöser Sekten aus Mittelrussland genutzt. Die Russen bewohnten in erster Linie die Städte, wo sie als Beamte oder Arbeiter tätig waren. Baku, die spätere Hauptstadt Aserbaidschans, wurde Ende des 19. Jahrhunderts zu einem bedeutenden Industriezentrum (von dort stammte mehr als die Hälfte der weltweiten Erdölfördermenge) mit einer multinationalen Bevölkerung.
Die aserbaidschanische Befreiungsbewegung speiste sich aus zwei Hauptströmungen. Die sozialdemokratisch geprägte Strömung wurde von Russen, Armeniern und Georgiern dominiert, während der nationale Flügel 1911 die Partei Müsavat (Gleichheitspartei) hervorbrachte. Ihr Ziel war die Schaffung eines unabhängigen aserbaidschanischen Staates. Anfang 1918 löste sich Transkaukasien von Russland. Zunächst entstand die Transkaukasische Demokratisch-Föderative Republik, die jedoch schon im Mai 1918 in die drei unabhängigen demokratischen Republiken Aserbaidschan, Armenien und Georgien zerfiel. Über die Hälfte der Regierung der Demokratischen Republik Aserbaidschan bestand aus Müsavatisten. Eine Zeit lang wurden Baku und Umgebung in der sogenannten Kommune von Baku (Bakı Kommunası, Bakinskaja kommuna) von den Bolschewiki kontrolliert. Bereits im Herbst 1918 gelang es jedoch der von der aserbaidschanischen Regierung geschaffenen „Armee des Islam“, mit Unterstützung des türkischen Militärs nach Baku vorzurücken und unter Kontrolle zu bringen. Aserbaidschan versank in einem blutigen Bürgerkrieg, der durch jahrhundertealte ethnische (insbesondere türkisch-armenische) Konflikte noch weiter verschärft wurde. Nach einem von Seiten der Bolschewiki in Baku initiierten und militärisch von der Roten Armee unterstützten Aufstand wurde am 28. April 1920 die Aserbaidschanische SSR proklamiert. Fortan wurden politische, darunter auch territoriale Fragen des Landes in Moskau entschieden. Von 1922 bis 1936 war Aserbaidschan Teil der Transkaukasischen Sozialistischen Föderativen Sowjetrepublik, 1936 wurde das Land eine eigenständige Sowjetrepublik innerhalb der UdSSR. In den 20er Jahren wurden die gemischt von Aseri und Armeniern besiedelten und auch von Armenien beanspruchten Gebiete Bergkarabach und Nachitschewan (Naxçıvan) Aserbaidschan zugesprochen, was die ohnehin bestehenden Spannungen zwischen den Volksgruppen noch weiter verschärfte. In den 70 Jahren sowjetischer Herrschaft gelang es zwar, die ethnischen Konflikte kleinzuhalten, sie verschwanden jedoch nie. Die Schließung der Grenze Aserbaidschans zum Iran führte mit der Trennung von Familien zu einem weiteren schwelenden Problem.
Auch in Aserbaidschan waren die Jahre 1920–53 von weitreichenden Repressionen geprägt. Eine besondere Rolle dabei spielte der Chef der Geheimpolizei des Landes und spätere Erste Sekretär der Kommunistischen Partei Aserbaidschans Mircəfər Bağırov (Mir Dschafar Bagirow), ein enger Freund von Lawrenti Beria. Eine Besonderheit des Unterdrückungssystems in Aserbaidschan war die Verfolgung der – tatsächlichen und vermeintlichen – Müsavatisten, die sich neben allen anderen „Verdächtigen“ im Visier der Machthaber befanden. Auch die Kollektivierung der Landwirtschaft in Aserbaidschan gestaltete sich spezifisch: Wie überall verlor ein Großteil der ländlichen Bevölkerung seine wirtschaftliche Unabhängigkeit, der Prozess war jedoch zugleich vom Auf- und Ausbau des industriellen Baumwoll- und Tabakanbaus begleitet und führte so zu einem grundlegenden Wandel der ökonomischen Struktur des Landes (ähnlich der Entwicklung in den zentralasiatischen Sowjetrepubliken).
Die Tauwetter-Politik Chruschtschows erreichte auch Aserbaidschan und ließ erste dissidentische Aktivitäten zu. Ein Ausdruck unabhängigen Denkens war der Aufsatz „Kritika i vremja“ (Kritik und Zeit), der im November 1959 in der Zeitschrift „Literaturnyj Azerbajdžan“ erschien und in der Öffentlichkeit breit rezipiert wurde. Sein Verfasser Asif Əfəndiyev (Assif Efendijew) war nach Erscheinen immer wieder Schikanen der Behörden ausgesetzt. 1963 publizierte der bekannte aserbaidschanische Dichter Bəxtiyar Vahabzadə (Bachtijar Wahabsade) in der Lokalzeitung „Şeki Fehlesi“ das Poem „Gulistan“, das er aus Anlass des 150. Jahrestages des Anschlusses Aserbaidschans an Russland verfasst hatte. Die sowjetischen Machthaber sahen in dem dem Werk einen Ausdruck von bürgerlichem Nationalismus. Der KGB erteilte ein Druckverbot, und sowohl der Autor als auch der Redakteur der Lokalzeitung wurden fortan verfolgt. Zugleich entstanden vor allem national orientierte, erste Untergrundgruppen und halblegale Vereinigungen, wie 1956 eine Gruppe um den Regisseur Cahid Hilaloğlu oder die 1959 von Mohammed Hatemi gegründete Gruppe „Freies Aserbaidschan“, zu deren Mitgliedern hauptsächlich Emigranten aus dem zum Iran gehörenden Süd-Aserbaidschan zählten, deren Hauptziel die Vereinigung der iranischen und sowjetischen Landesteile war. Erwähnenswert sind auch die 1960 gegründete Gruppe „Volksbefreiung“ und das 1964/65 bestehende Aserbaidschanische Nationalkomitee. Daneben entstanden auch Vereinigungen, für die nicht die nationale Idee im Fokus stand. Die allgemeine Unzufriedenheit kam in Aserbaidschan heftig, politisch indifferent, manchmal auch auf die Wiederherstellung alter Ordnungen bedacht zum Ausdruck. So war der Auslöser der einzigen nennenswerten „Revolte“, der Unruhen in Sumqayıt (Sumgait) am 7. November 1963, dass die Miliz Teilnehmern des Demonstrationszuges zum Jahrestag der Oktoberrevolution die von ihnen mitgeführten Stalin-Porträts und -Abzeichen abnahm. Während der darauffolgenden Ausschreitungen bewarfen die Protestierenden ein riesiges Chruschtschow-Porträt mit Steinen, Partei- und Staatsfunktionäre sowie Sicherheitskräfte wurden mit Schlägen traktiert. Mehrere Fahrzeuge der Miliz gingen in Flammen auf und Schaufensterscheiben wurden zertrümmert.