Georgien

Walentina Pailodse

Walentina Pailodse, geboren 1923

Valentina Pailodze / Valentina Pajlodze

ვალენტინა ფაილოძე / Валентина Пайлодзе

Religiöse und gesellschaftliche Aktivistin, Organisatorin von Kirchenchören, Mitglied der Georgischen Helsinki-Gruppe.

Walentina Pailodse wurde 1923 in Tiflis in einer Beamtenfamilie geboren. Ihr Vater war nach der Rückkehr aus deutscher Kriegsgefangenschaft politischen Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt. Mit 15 Jahren legte sie extern die Mittelschulprüfung ab und nahm ein Studium am Konservatorium in Tiflis auf, das sie auf Wunsch ihres Mannes im vierten Studienjahr abbrach. Ihre drei Kinder zog sie nach der Trennung von ihrem Mann alleine groß.

Religiös wurde sie stark durch ihre Großmutter geprägt und sah ihr Handeln durch göttlichen Willen bestimmt. Ihr Leben verschrieb sie der Errettung des georgischen Volkes, das ihrer Ansicht nach sein Gottvertrauen verloren hatte. Um für seinen Schutz und seine Erlösung zu beten, nahm sie Jahr für Jahr an Wallfahrten teil. Der Patriarch der Georgischen Orthodoxen Apostelkirche, Efrem II., schlug ihr 1964 die Leitung des Laienchores der Tifliser Sioni-Kathedrale vor. Aufgrund ihres Einsatzes gelang es 1967, in der Dreifaltigkeitskathedrale im Zentrum von Tiflis Gottesdienste in georgischer Sprache abzuhalten. Auch hier gründete sie einen Chor und wurde dessen Dirigentin. Ebenso war es Pailodses Bemühungen zu verdanken, dass 1969 in der von den Bolschewiki zu einem Museum umgestalteten, historischen Swetizchoweli-Kathedrale in Mzcheta unweit von Tiflis wieder Gottesdienste stattfinden konnten. Auch hier gründete sie einen Chor und engagierte sich zudem bei der Ausbildung der Seminaristen.

1970 erschien ein von Pailodse verfasstes Flugblatt, das aufrief, die über Jahrhunderte gewachsene christliche Tradition zu bewahren, Kinder gottesfürchtig zu erziehen und sie ungeachtet der atheistischen Propaganda im Land taufen zu lassen. Gefordert wurde sich der sowjetischen Assimilierungspolitik entgegenzustellen und eine Ableistung des Wehrdienstes der Söhne außerhalb Georgiens zu verweigern. Gewarnt wurde vor antichristlichen Lebensgewohnheiten, die die Strafe Gottes nach sich ziehen würden. Einige Passagen des Flugblatts richteten sich mit spezifischen Forderungen an konkrete Personen: Die Sekretäre der Rajon-Parteileitungen wurden aufgerufen, junge Menschen nicht länger zur Mitgliedschaft in Partei und Komsomol zu zwingen. Die Vorsitzenden der Rajon-Räte sollten Schmiergeldzahlungen bei der Zuteilung von Wohnungen und Grundstücken unterbinden. An die Wissenschaftler appellierte das Flugblatt, sich von der atheistischen Propaganda abzuwenden, und an die Dichter aufzuhören, um des eigenen Vorteils willen, Lobeshymnen für die kommunistischen Herrscher zu Papier zu bringen. Stattdessen sollten sie sich mit publizistischen Beiträgen für die mittelalterliche Klosteranlage Dawit Garedscha einsetzen, deren Existenz durch einen nahegelegenen Truppenübungsplatz bedroht war. Mit Unterstützung einer Freundin stellte Pailodse rund 400 Exemplare dieses Flugblatts her. Einen Teil davon (laut Ermittlungen etwa 130) verschickte sie per Post, den Rest verteilte sie an Tifliser Schulen und Hochschulen. Gleichlautende Texte schickte sie an die georgische und sowjetische Partei- und Staatsführung. Pailodse machte zudem öffentlich, dass Schmuck- und Kunstgegenstände, Ikonen und andere Kulturgüter aus georgischen Kirchen entwendet und ins Ausland verbracht wurden. Verwickelt in diese Vorgänge waren sowohl Geistliche als auch staatliche Beamte. Pailodse untersuchte diese Angelegenheit auf eigene Faust, wodurch sie sich den Unmut des Regimes zuzog. Am 23. März 1974 wurde sie verhaftet. Bei der Wohnungsdurchsuchung fanden die Ermittler auch die erwähnten Flugblätter.

Am 16. Mai 1974 beteiligte sich Pailodse an einer Häftlingsrevolte in der Tifliser Untersuchungshaftanstalt, mit der die Gefangenen gegen Folter und Morde protestierten, die sie der Gefängnisleitung anlasteten. Pailodse wandte sich schriftlich an die Kommission, die die Umstände der Revolte untersuchte, sowie an den Ersten Sekretär des ZK der Kommunistischen Partei Georgiens, Eduard Schewardnadse. Hier schilderte sie Fälle, bei denen Aussagen durch Folter erzwungen worden waren. Die von ihr namentlich erwähnten Gefangenen wurden in der Folge aus der Haft entlassen. Am 26. Juni 1974 verurteilte sie das Rajon-Gericht Tiflis nach Artikel 206, Paragraf 1 und Artikel 233, Paragraf 2 Strafgesetzbuch der Georgischen SSR (entspricht Artikel 190, Paragraf 1 Strafgesetzbuch der RSFSR und Artikel 227 Strafgesetzbuch der RSFSR) zu anderthalb Jahren Freiheitsentzug. Die Initiativgruppe zur Verteidigung der Menschenrechte in Georgien setzte sich mit einer Erklärung für Pailodse ein. Die Haftstrafe verbüßte sie im Frauenstraflager Tiflis.

Nach der Entlassung aus der Lagerhaft (im September 1974) nahm Pailodse ihre Tätigkeit wieder auf: Sie verbreitete Flugblätter und versuchte, den Diebstahl kirchlicher Schmuck- und Kunstgegenstände aufzuklären. 1976 schrieb sie gemeinsam mit Swiad Gamsachurdia einen Artikel über die staatlich organisierten Plünderungen der Kirchen unter dem Vorwand der „Bekämpfung schädlicher Sitten“. Ein von ihr persönlich verfasster Beitrag über die kommunistische Kirchenpolitik erschien 1976 in der Zeitschrift „Sakartvelos Moambe“.

1977 schloss sich Pailodse der Georgischen Helsinki-Gruppe an. Kurz nach der Festnahme von Swiad Gamsachurdia, Merab Kostawa und Wiktor Rzchiladse im April 1977 wurde auch sie verhaftet. Im Zuge einer Wohnungsdurchsuchung waren erneut Flugblätter beschlagnahmt worden. Am 6. Oktober 1978 verurteilte sie das Stadtgericht Tiflis nach Artikel 206, Paragraf 1 und Artikel 233, Paragraf 2 Strafgesetzbuch der Georgischen SSR (entspricht Artikel 190, Paragraf 1 Strafgesetzbuch der RSFSR und Artikel 227 Strafgesetzbuch der RSFSR) zu zwei Jahren Haft und Verbannung. Die Verbannungsstrafe verbüßte sie unter verschärften Bedingungen in Kasachstan. Eigenmächtig verließ sie 1979 zweimal ihren Verbannungsort, um nach Kutaissi und nach Moskau zu reisen. In Moskau übergab sie Pater Gleb Jakunin, Mitglied des Christlichen Komitees zur Verteidigung der Rechte der Gläubigen in der UdSSR, den Text eines Interviews mit dem ebenfalls zu einer Verbannungsstrafe verurteilten Ukrainer Walerij Martschenko.

Nach ihrer Verbannung kehrte Pailodse im Januar 1981 nach Tiflis zurück. Sie engagierte sich weiter für die Rechte der orthodoxen Kirche und verurteilte die Zusammenarbeit orthodoxer Geistlicher mit dem KGB. Sie arbeitete auch mit Amnesty International zusammen und versorgte die Organisation in London mit Informationen über Menschenrechtsverletzungen in Georgien. Ihren Bemühungen ist es zu verdanken, dass zahlreiche Strafverfahren nochmals überprüft wurden.

Seitens der Behörden wurde ihr vorgeworfen, aus ihrem Einsatz für die Verfolgten finanzielle Vorteile zu schöpfen. Ein fingiertes Verfahren führte am 14. März 1983 zu ihrer Verhaftung. Am 25. Mai 1984 verurteilte sie das Volksgericht Tiflis nach Artikel 190, Paragraf 2 Strafgesetzbuch der Georgischen SSR („Bestechlichkeit“) zu acht Jahren Haft und drei Jahren Verbannung und sie wurde in das Strafgefangenenlager Nowosibirsk gebracht. Eine vorzeitige Entlassung aus der Haft im Rahmen einer Amnestie in der Zeit der Perestroika lehnte sie ab. Stattdessen setzte sie die Revision ihres Urteils durch und erreichte eine Rehabilitierung. Im Dezember 1987 kam sie frei. In den folgenden Jahren engagierte sie sich auch für die Menschenrechtsorganisation Memorial. Walentina Pailodse lebt in Tiflis.

Guram Sosselia
Aus dem Polnischen von Gero Lietz
Letzte Aktualisierung: 01/19