Nijolė Sadūnaitė wurde 1938 in Kaunas geboren. 1955 schloss sie das Jonas-Biliūnas-Gymnasium in Anykščiai ab und trat ein Jahr später in das konspirative Frauenkloster in Panevėžys ein. Seit 1958 ist sie Ordensschwester. Sie arbeitete in Fabriken und in der Alten- und Krankenpflege. 1970 war sie kurze Zeit am Lehrstuhl für Physik und Mathematik der Universität Wilna tätig. Ihre Stelle verlor sie, als sie dem unter dem Vorwurf der religiösen Unterweisung von Kindern verhafteten Geistlichen Antanas Šeškevičius, bei der Suche nach einem Rechtsanwalt unterstützte. Am 10. September 1970, schon nach Abschluss des Gerichtsprozesses gegen den Priester, wurde sie vom KGB verwarnt. Im selben Jahr schloss sie eine Weiterbildung zur Pflegekraft ab. Sie arbeitete zunächst in einem Wilnaer Kinderheim, später fand sie eine Anstellung im Museum der Schönen Künste der Litauischen SSR.
Seit ihrem Entstehen 1972 engagierte sich Sadūnaitė für die „Chronik der Katholischen Kirche in Litauen“: Sie sammelte und überprüfte Informationen, fertigte und verteilte Kopien des Blattes und war behilflich bei der Weiterleitung der Chronik in die USA.
Von ihrer Nachbarin, einer KGB-Informantin, denunziert, wurde sie am 27. August 1974 verhaftet. Ihr Gerichtsprozess fand zunächst im Rahmen des sogenannten Verfahrens Nr. 345 statt (Herausgabe und Weiterverbreitung der „Chronik der Katholischen Kirche in Litauen“). Im Zuge der Ermittlungen konnten ihr jedoch keine Kontakte mit dem im Dezember 1974 in diesem Zusammenhang verhafteten Sergei Kowaljow nachgewiesen werden. So wurde gegen sie ein separates Verfahren eingeleitet, bei dem sie am 17. Juni 1975 durch das Oberste Gericht der Litauischen SSR nach Artikel 68, Paragraf 1 Strafgesetzbuch der Litauischen SSR (entspricht Artikel 70, Paragraf 1 Strafgesetzbuch der RSFSR) zu drei Jahren Lagerhaft und drei Jahren Verbannung verurteilt wurde. Während der Ermittlungen und im Prozess verweigerte sie die Aussage und bekannte sich nicht schuldig. In ihrem Schlusswort sagte sie: „Das ist der glücklichste Tag in meinem Leben. Ich werde wegen der Chronik der Katholischen Kirche in Litauen verurteilt, die sich der geistigen und physischen Tyrannei entgegenstellt. Das bedeutet, dass man mich für die Wahrheit und die Liebe zu den Menschen verurteilt. […] Mir ist die beneidenswerte Rolle zuteilgeworden, nicht nur für die Rechte des Volkes und die Wahrheit zu kämpfen, sondern dafür auch verurteilt zu werden. Das Urteil wird mein Triumph sein. Ich bedauere nur, dass ich so wenig für die Menschen tun konnte. Mit Freude gehe ich in die Unfreiheit für die Freiheit der anderen und bin auch bereit zu sterben, damit andere leben können …“.
Ihre Strafe verbüßte Sadūnaitė in einem Speziallager für Frauen im Lagerkomplex der mordwinischen Lager. Dort beteiligte sie sich an Widerstandsaktionen. So trat sie 1975 gemeinsam mit ihren ukrainischen Mitgefangenen aus Protest gegen die unmenschliche Behandlung von Wassyl Stus in einen Hungerstreik. Ihre Briefe aus dem Lager wurden im religiösen Samisdat in Litauen publiziert und zitiert. In der Verbannung in Bogutschany (Region Krasnojarsk) arbeitete sie 1977–80 als Putzfrau in einer Schule. Täglich verfasste sie Dutzende Briefe, in denen sie Lagerhäftlingen Mut zusprach, und leitete Päckchen an sie weiter, die sie selbst aus Litauen und aus dem Ausland erhielt.
Am 9. Juli 1980 kehrte Sadūnaitė nach Litauen zurück. Trotz fortdauernder Observierung durch den KGB engagierte sie sich erneut für die „Chronik der Katholischen Kirche in Litauen“ und schleuste Dokumente und Informationen nach Moskau weiter, von wo aus sie dank der Hilfe russischer Dissidenten weiter in den Westen gelangten. Mehrmals entging sie den auf sie angesetzten Mitarbeitern des KGB. Im November 1982 tauchte sie unter und lebte fünf Jahre im Verborgenen. In der ganzen Sowjetunion wurde nach ihr gefahndet. Der KGB ging auch gegen ihren Bruder Jonas vor und ließ ein Strafverfahren gegen ihn einleiten. Sadūnaitė setzte ihre Kooperation mit Menschenrechtlern fort und reiste oft nach Moskau, wo sie die „Chronik der Katholischen Kirche in Litauen“, „Aušra“ und andere Schriften verbotener Verlage persönlich verbreitete. Im Oktober 1983 gelang es ihr, ihre handschriftlichen Erinnerungen in den Westen zu schleusen, wo diese in mehrere Sprachen übersetzt und publiziert wurden. Auf Deutsch erschienen die Bände „Gottes Untergrundkämpferin. Vor Gericht – Erinnerungen – Briefe“ (1985) und „Geborgen im Schatten Deiner Flügel. Verfolgt um des Glaubens willen“ (1989).
Am 1. April 1987 wurde Sadūnaitė in Wilna verhaftet und von Mitarbeitern des KGB und der Staatsanwaltschaft der Litauischen SSR befragt. Am selben Tag kam sie wieder frei und das Verfahren gegen sie wurde eingestellt. 1987–88 war Sadūnaitė in der litauischen Reformbewegung Sąjūdis aktiv. Am 23. August 1987 hielt sie auf einer Kundgebung in Wilna zum Jahrestag des Hitler-Stalin-Paktes die Eröffnungsrede. Wenige Tage später wurde sie von KGB-Agenten in ein Auto gezerrt, nach Belarus verschleppt und 30 Stunden festgehalten und bedroht. Bis Mai 1988 folgten weitere behördliche Schikanen und Repressalien. Am 24. August 1988 schloss sie sich den Hungerstreikenden auf dem Wilnaer Gediminas-Platz an, die die Freilassung der letzten in Lagern und Gefängnissen verbliebenen politischen Häftlinge aus den baltischen Ländern verlangten. Zusammen mit 30 Mitstreitern trat sie am 29. Mai 1989 in einen weiteren Hungerstreik, um eine Absage der Teilnahme der litauischen Delegation am 1. Kongress der Volksdeputierten der UdSSR zu erreichen.
Nach der Wiedererlangung der Unabhängigkeit Litauens arbeitete Sadūnaitė in Wilna für die Caritas. Für ihr gesellschaftliches Engagement wurde sie 1998 mit dem Orden des Vytis-Kreuzes II. Klasse und 2018 mit dem Freiheitspreis Litauens geehrt.