Litauen

Ona Lukauskaitė-Poškienė

Ona Lukauskaitė-Poškienė, 1906–83

Dichterin, Übersetzerin, Pädagogin, aktiv im antisowjetischen Widerstand, langjährige Lagerhaft. Mitbegründerin der Litauischen Helsinki-Gruppe.

Ona Lukauskaitė-Poškienė wurde 1906 in Šiauliai geboren. Ihr Vater war der sozial engagierte, linksorientierte Rechtsanwalt Stasys Lukauskas. Als Schülerin des Gymnasiums in Šiauliai beteiligte sie sich 1921 an der Arbeit einer illegalen Komsomol-Gruppe. 1922–24 studierte sie an den Universitäten Berlin und Wien. 1932 schloss sie ihr Studium an der Biologischen Fakultät der Universität Kaunas ab. Im Untergrund betätigte sie sich in einer sozialistischen Studentenorganisation. Danach unterrichtete an den Gymnasien in Joniškis und Aukštadvaris und war Leiterin von Bibliotheken in Radviliškis und Šiauliai. Als Dichterin debütierte sie 1932 in der linksgerichteten Zeitschrift „Darbas“. 1933 erschien ihr erster Gedichtband „Die teuersten Spuren“ (Brangiausias pėdas) und 1938 der Band „Mitgift in Versen“ (Eileraščių kraitis). 1938–39 war sie Mitglied im Litauischen Schriftstellerverband.

1941 wandte sich Lukauskaitė-Poškienė schriftlich an sowjetische Staats- und Parteiinstanzen, um gegen eine Kampagne zur Vernichtung „sowjetfeindlicher“ Bücher zu protestieren. In der Kriegszeit rettete sie selbst viele Bücher und Kunstwerke vor der Zerstörung. In den Jahren 1946–48 entstanden in Litauen Intellektuellenkreise, die die Vereinigung verschiedener Partisanengruppen und deren politische Kontrolle anstrebten. An der Bildung einer dieser Gruppen war Lukauskaitė-Poškienė in Wilna selbst beteiligt, organisierte in ihrer Wohnung Zusammenkünfte dieser Gruppe und brachte Informationen und andere Dokumente in Umlauf.

Am 22. März 1946 wurde sie verhaftet. Ihr Fall wurde vom 20.-22. November 1946 vor dem Militärgericht der Garnison Wilna verhandelt, das sie gemäß Artikel 58, Paragraf 1 und Artikel 58, Paragraf 11 Strafgesetzbuch der RSFSR zu 10 Jahren Lagerhaft verurteilte. Die zwei Mitangeklagten wurden zum Tode verurteilt. Zur Verbüßung der Strafe war sie in Kargopol, Workuta und in den mordwinischen Lagern inhaftiert. Am 17. Oktober 1955 kam sie frei und zog zurück in ihre Heimatstadt Šiauliai. Lange Zeit hatte sie weder eine eigene Wohnung noch Arbeit. Ab 1973 erschien im Samisdat ihr dokumentarischer Text „Lagermärchen“ (Lagerio pasakos), den sie mit ihren Initialen O. L. unterzeichnete.

Im Herbst 1976 gründete Lukauskaitė-Poškienė gemeinsam mit Viktoras Petkus, Eitan Finkelstein, Tomas Venclova und dem Priester Karolis Garuckas die Litauische Helsinki-Gruppe. Sie redigierte und unterzeichnete mehr als 30 Dokumente der Gruppe, darunter 1977 zwei an das KSZE-Folgetreffen in Belgrad gerichtete Denkschriften über die Situation der katholischen Kirche und anderer Glaubensgemeinschaften in Litauen sowie die allgemeine soziale und politische Lage in Litauen nach 1940. Thematisiert wurden unter anderem die Einschränkung religöser Freiheiten von Gläubigen, Restriktionen bei der Ausübung religiöser Ämter sowie die Einmischung des Staates in kirchliche Angelegenheiten.

Im August 1977 protestierte Lukauskaitė-Poškienė mit einem von weiteren 81 Personen unterzeichneten Schreiben an die Staatsanwaltschaft der Litauischen SSR gegen die Verhaftung von Viktoras Petkus und Balys Gajauskas. Im Oktober 1977 wurde sie zu Petkus vernommen. Während seiner Gerichtsverhandlung (10.–13. Juli 1978), zu der sie als Zeugin geladen war, erklärte sie: „Das Mitglied der Litauischen Helsinki-Gruppe Viktoras Petkus ist mir bekannt, ich bin selbst Mitglied dieser Gruppe. Petkus kenne ich als anständigen, guten, kultivierten Menschen. Ich bitte um die Wiederherstellung der Gesetzlichkeit und den Abbruch der Gerichtsverhandlung. Ich habe meinen Protest schriftlich niedergelegt und wiederhole: Hier wird ein unschuldiger Mensch verurteilt. Daher lehne ich die Teilnahme an diesem Prozess ab.“ Ab 1980 musste Lukauskaitė-Poškienė aufgrund gesundheitlicher Probleme ihre Engagement für die ohnehin durch Verhaftungen, Verurteilungen, den Tod und die Emigration von Mitgliedern geschwächte Litauische Helsinki-Gruppe auf die Unterzeichnung von Dokumenten beschränken. Nach dem ungeklärten Unfalltod von Bronislovas Laurinavičius blieb sie als einziges Mitglied der Gruppe zurück und die Aktivitäten der Litauischen Helsinki-Gruppe kamen bis 1988 zum Erliegen.

Ona Lukauskaitė-Poškienė starb 1983 in Šiauliai und wurde in dem unweit der Stadt gelegenen Dorf Ginkūnai beerdigt.

Birutė Burauskaitė
Aus dem Polnischen von Gero Lietz
Letzte Aktualisierung: 05/23