Schriftsteller, Dramaturg und Essayist. Symbol des Widerstandes gegen den Einmarsch von Truppen des Warschauer Paktes in die Tschechoslowakei. Einer der wenigen slowakischen Unterzeichner der Charta 77.

Dominik Tatarka wurde 1913 im nordwestslowakischen Örtchen Drienové bei Považská Bystrica in eine bäuerliche Familie hineingeboren. Sein Vater starb während des Ersten Weltkrieges. 1926–34 besuchte er das Gymnasium in Nitra und später das in Trenčín. Zwischen 1934 und 1938 studierte er slowakische Philologie und Romanistik an der Philosophischen Fakultät der Karls-Universität in Prag. Einen großen Einfluss übten zu jener Zeit auf ihn die tschechischen Literaturwissenschaftler František Xaver Šalda und Václav Tille aus. Während seines Studiums trat er der kommunistischen Organisation Kostufra bei. Von 1938 bis 1939 studierte er an der Pariser Sorbonne. Nach Ausbruch des Zweiten Weltkrieges kehrte er in die Slowakei zurück, wo er bis 1944 Französisch an den Mittelschulen in Žilina und Turčiansky Svätý Martin unterrichtete. 1944 beteiligte er sich am slowakischen Nationalaufstand. Zu dieser Zeit wurde er auch Mitglied der Kommunistischen Partei der Slowakei (KSS).

Seine ersten literarischen Arbeiten veröffentlichte er 1935 in der Zeitschrift „Svojet“ (Seine). 1942 erschien der Band „In Bedrängnis der Suche“ (V úzkosti hľadania), in dem er an surrealistische Dichtungen anknüpft. In einem ähnlichen Stil schrieb er 1944 „Die Jungfrau Wundertäterin“ (Panna zázračnica), ein Werk, welches von der künstlerischen Avantgarde Bratislavas (Pressburgs) der 30er Jahre handelt.

Nach dem Krieg arbeitete er kurzzeitig im slowakischen Informationsministerium und später auch bei der Tageszeitung „Národná obroda“ (Nationale Erneuerung). Bis 1964 war er Redakteur in Literaturzeitschriften und im Verlag „Tatran“. Später befasste er sich nur noch mit dem eigenen literarischen Schaffen.

1948 kam seine Erzählung „Die Pfaffenrepublik“ (Farská republika) heraus, in der er den grotesken Charakter der politischen Wirklichkeit des slowakischen Staates in den Jahren 1939 bis 1945 sowie den Weg der Intellektuellen zum aktiven Widerstand gegen das faschistische Regime beschrieb. Trotz seiner prokommunistischen Einstellung wurde sein nächstes Buch „Menschen und Taten“ (Ľudia a skutky), eine Sammlung von Erzählungen und Reiseberichten durch das westliche Europa, 1950 nicht von der Zensur freigegeben. Seine nächsten drei Werke schrieb er dann in Übereinstimmung mit den Anforderungen des sozialistischen Realismus: 1950 „Der erste und der zweite Schlag“ (Prvý a druhý úder), 1954 „Hochzeitsgebäck“ (Radostník) und 1955 „Jahre der Freundschaft“ (Družné letá). Trotzdem wurde er im März 1951 zusammen mit anderen slowakischen kommunistischen Schriftstellern angeklagt, einen vermeintlich „slowakisch-bourgeoisen Nationalismus“ zu vertreten.

In einem öffentlichen Streit kritisierte Tatarka 1955 den Roman „Das hölzerne Dorf“ (Drevená dedina) von František Hečko als wirklichkeitsfremde Kunst voller leerer Aussagen. Damit stellte er das Konzept der offiziellen Literatur in Frage, da Hečkos Buch den kommunistischen Machthabern geradezu als Meisterwerk der sozialistischen slowakischen Literatur galt. Auf dem II. Kongress der Tschechoslowakischen Schriftsteller verglich er im April 1956 die Rolle, die Schriftsteller aktuell spielten, mit denen von Staatsbeamten und forderte den Schriftstellerverband dazu auf, eine tatsächliche Meinungsführerschaft zu übernehmen sowie eine Institution der öffentlichen Kontrolle zu werden. Tatarka sah in ihm also so etwas wie eine politische Opposition. Im März 1956 erschien in der Wochenzeitschrift „Kultúrny život“ (Kulturelles Leben) seine Erzählung „Dämon der Zustimmung“ (Démon súhlasu), in der er mit dem Stalinismus abrechnete. Als Reaktion plante die Führung der Kommunistischen Partei der Slowakei im Jahr 1958, ihn aus der Partei auszuschließen.

In den 50er und 60er Jahren erschienen mehrere Veröffentlichungen Tatarkas: 1959 Erzählungen unter dem Titel „Gespräche ohne Ende“ (Rozhovory bez konca), 1963 der Roman „Korbsessel“ (Prútené kreslá), in dem er zu seinen Studienerfahrungen in Paris zurückkehrte sowie 1963 die Satire auf das totalitäre System „Über die Herrscherfigur“ (O vládcovi Figurovi).

Ab Mitte der 60er Jahre sah er in seinem Schreiben einen gesellschaftlichen Auftrag. Texte aus dieser Zeit sind in dem Band „Gegen Dämonen“ (Protí démonom; 1968) erschienen. 1965 unterstützte er die Petition junger tschechischer Schriftsteller im Umfeld von Václav Havel, die gegen die Auflösung der Literaturzeitschrift „Tvář“ (Gesicht) protestierten. 1968 wurde er Mitglied im Vorstand des Slowakischen Schriftstellerverbandes. In seinem Essay „Reich Gottes – Reich des Menschen (Obec božia – obec človečia; 1968) entwarf das Ideal eines gesellschaftlichen Systems, welches „innere Freiheit und Gerechtigkeit“ bietet und als Gemeinschaft freier Menschen „von unten“ aus der Gesellschaft heraus aufgebaut wird. Er forderte, dass die Regierung durch freie Wahlen bestimmt werden solle und lehnte ein politisches System ab, in dem die Bürger einem allmächtigen Staat gegenüber machtlos seien.

Die ihm zugesprochene hohe moralische Autorität, welche er in der slowakischen Gesellschaft genoss, trug dazu bei, dass er während des Einmarsches von Truppen des Warschauer Paktes in die Tschechoslowakei 1968 zu einem Symbol für den Widerstand gegen die Besatzung wurde. Während einer spontanen Kundgebung auf den Straßen Bratislavas rief er seine slowakischen Landsleute zu Solidarität und Einheit mit den Tschechen auf.

Kurzzeitig war er Chefredakteur der Wochenzeitschrift „Kultúrny život“. 1969 trat er mit der Begründung aus der Kommunistischen Partei der Slowakei aus, diese würde nicht mehr die Souveränität des Landes schützen.

Von 1970 bis 1971 war er als Waldarbeiter tätig, gleichzeitig erschien das erste und einzige seiner Gesammelten Werke. Da er es ablehnte, Selbstkritik zu üben und zur offiziellen Linie der Literatur zurückzukehren, wurde er am 24. Oktober 1971 aus dem Slowakischen Schriftstellerverband ausgeschlossen und es wurde ihm verboten, weiter zu publizieren. Fortan lebte er von einer Invalidenrente. Trotz des 1976 zusätzlich gegen ihn verhängten Verbots, Bratislava zu verlassen, fuhr er zum Jahresende nach Prag, wo er am 31. Dezember als einer der wenigen Slowaken die Charta 77 unterzeichnete.

Auch unter den tschechischen Bürgerrechtlern genoss Tatarka ein hohes Ansehen. Seine Kontakte im tschechischen Landesteil bestanden hauptsächlich zu Schriftstellern und Intellektuellen wie unter anderem zu Ludvík VaculíkVáclav Havel, Karel Pecka, Alexandr Kliment, Ivan Klíma, Karel Kosík und Karel Bartoš.

Nach seiner Rückkehr nach Bratislava 1978 gab er im Samisdat eine kleine Sammlung von literarischen Skizzen unter dem Titel „Im Un-Wetter“ (V ne-čase) heraus. Ein Jahr später erschien im Verlag Edice Petlice sein autobiografischer Text „Geschreibsel“ (Písačky), den er mit „Allein gegen die Nacht“ (Sám proti noci; 1984) und „Briefe in die Ewigkeit“ (Listy do večnosti; 1988) fortsetzte. Diese autobiographische Trilogie stellte eine außergewöhnliche Collage träumerischer Visionen und Erfahrungen Tatarkas aus seiner Zeit der sozialen Isolation dar. 1988 erschienen seine Erinnerungen unter dem Titel „Schwätzereien“ (Navrávačky), die von Eva Štolbová aufgezeichnet worden waren.

Im Jahr 1986 erhielt er den Jaroslav-Seifert-Preis, der von der in Stockholm ansässigen Stiftung Charta 77 vergeben wird. Im Mai 1989 starb Dominik Tatarka in Bratislava. Erst nach seinem Tod wurde er vom neuen Vorstand des Slowakischen Schriftstellerverbands rehabilitiert. Bis heute wird zu seinem Gedächtnis der Dominik-Tatarka-Preis, eine der bedeutendsten Literaturauszeichnungen der Slowakei, vergeben.

Juraj Marušiak
Aus dem Polnischen von Jonas Grygier
Letzte Aktualisierung: 08/15