Sängerin. Sprecherin der Charta 77 und prominente Vertreterin der tschechoslowakischen Gegenkultur.

Marta Kubišová kam 1942 in Budweis (České Budějovice) zur Welt. 1959 schloss sie die Mittelschule in Poděbrady ab. Dreimal fiel sie durch die Aufnahmeprüfung für ein Medizinstudium in Prag, da ihr die Leitung der Glasfabrik, in der sie arbeitete, eine Studienempfehlung verweigerte. 1962 trat Kubišová am Stop-Theater in Poděbrady auf und wechselte nach zehn Monaten an das Alfa-Theater in Pilsen (Plzeň). Ab August 1964 arbeitete sie für vier Jahre am Rokoko-Theater in Prag. 1966 nahm sie am Musikfestival „Zlatá Lýra“ (Goldene Lyra) in Bratislava (Pressburg) teil und gewann im selben Jahr den Wettbewerb „Zlatý slavík“ (Goldene Nachtigall) als beste Sängerin. Ein Jahr später fand die Premiere des Films „Märtyrer der Liebe“ (Mučednicí lásky) mit ihr als Darstellerin statt, bei dem Jan Němec – seit 1970 mit ihr verheiratet – Regie geführt hatte.

Im Juni 1968 gewann Kubišová mit dem Lied „Cesta“ (Der Weg) den ersten Preis des Festivals „Zlatá Lýra“. „Cesta“ war das erste Lied in ihrem Repertoire, mit dem sie ihren Protest zum Ausdruck brachte. Einige Kritiker aus der DDR bezeichneten es damals als konterrevolutionär. Im August 1968 nahm sie unter dramatischen Umständen das Lied „Modlitba pro Martu“ (Gebet für Marta) auf, welches zum überragenden Symbol des Widerstands gegen den Einmarsch von Truppen des Warschauer Paktes in die Tschechoslowakei wurde. Im Herbst desselben Jahres verließ Kubišová zusammen mit Václav Neckář und Helena Vondráčková das Rokoko-Theater und trat gemeinsam mit den beiden als das äußerst populäre Trio „Golden Kids“ auf. 1968 gewann Kubišová das zweite Mal den „Zlatý slavík“-Wettbewerb, 1969 erschien ihre erste Langspielplatte „Songy a balady“ (Songs und Balladen), bei deren Neuauflage 1970 die Lieder „Gebet für Marta“ und „Ne“ (Nein) zensiert wurden.

Ab Herbst 1969 durfte Kubišová nicht mehr im Fernsehen auftreten, im Rundfunk durften ihre Lieder auf Anweisung der kommunistischen Parteiführung nur noch einmal pro Tag gespielt werden. Als sie 1969 trotzdem erneut den „Zlatý slavík“-Wettbewerb gewann, wurde darüber in den tschechoslowakischen Medien nicht berichtet.

Anfang 1970 trat Kubišová zum letzten Mal mit den „Golden Kids“ in Prag auf. Durch eine Intrige der Staatssicherheit wurden ihr weitere Auftritte in der Öffentlichkeit verwehrt: Funktionäre des Staatssicherheitsdienstes hatten Nacktfotos eines Mädchens verbreitet, das Marta Kubišová ähnlich sah und beschuldigten sie in aller Öffentlichkeit der Pornographie. Ihre Karriere als Sängerin war damit bis zum Ende des Kommunismus beendet, sie klebte fortan Tüten für die Produktionsgenossenschaft „Směr“ und fand erst ein Jahr später eine Anstellung als Schreibkraft in einem Prager Baubetrieb. 1972 wurde sie geschieden, ihr zweiter Ehemann war der Regisseur Jan Moravec.

Ende 1976 unterzeichnete Kubišová die Erklärung der Charta 77 und war ab September 1977 zusammen mit Jiří Hájek und später auch mit Jaroslav Šabata und Ladislav Hejdánek deren Sprecherin. 1978 nahm sie zusammen mit Jaroslav Hutka einige Lieder für den Exilverlag „Šafrán“ auf, die auf der Schallplatte „Verbotene Sänger der zweiten Kultur“ (Zakázaní zpěváci druhé kultury) erschienen. Am 1. September 1978 traten beide gemeinsam auf dem „Festival der zweiten Kultur“ auf, das im Sommerhaus von Václav Havel in Hrádeček stattfand. Aufgrund ihrer Schwangerschaft trat Kubišová im November 1978 als Sprecherin der Charta 77 zurück.

1981 ließ sie sich ein zweites Mal scheiden und begann, in einem Baukombinat zu arbeiten. Am 10. Dezember 1988 trat sie zum Jahrestag der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte erstmals wieder in der Öffentlichkeit bei einer Versammlung von Oppositionsgruppen auf dem Škroup-Platz in Prag auf und sang dort die tschechoslowakische Nationalhymne. Am 17. November 1989 nahm sie an der Studentendemonstration im Prager Albertov-Viertel teil. Während der Samtenen Revolution war sie in zahlreichen Initiativen aktiv, beteiligte sich an den ersten Versammlungen des Bürgerforums (Občanské fórum; OF), sang während einer Großdemonstration in Prag auf dem Wenzels-Platz und nahm an Studentendemonstrationen auf der Letná-Höhe teil. Am 3. Dezember 1989 sang sie auf dem „Konzert für alle redlichen Menschen“. 1990 gewann sie für das Bürgerforum ein Mandat in der Föderalversammlung, auf das sie jedoch nach kurzer Zeit verzichtete.

In den 90er Jahren erschienen in Tschechien eine Reihe von Aufnahmen ihrer alten und neuen Lieder, unter anderem „Lampa“ (Lampe; 1990), „Řeka vůní“ (Der Fluss duftet; 1995) und „Bůh ví“ (Gott weiß es; 1996). Sie moderierte die populäre Fernsehsendung „Chcete mě?“ (Wollt ihr mich?) über ausgesetzte Haustiere, veröffentlichte neue Alben und arbeitete am Theater. Marta Kubišová ist nach wie vor ein fester Bestandteil des tschechischen Kulturlebens. Als Frau, die sich über zwanzig Jahre dem totalitären Regime widersetzt hatte, gilt sie noch heute als Symbol für Mut und Entschlossenheit.

Luboš Veselý
Aus dem Polnischen von Tim Bohse
Letzte Aktualisierung: 06/15