Geschichte der tschechischen Opposition
Die Dissidentenbewegung im tschechischen Landesteil der Tschechoslowakei geht auf die 70er Jahre zurück. Frühere einzelne Widerstandsversuche – ob gegen die Repressionen der 50er Jahre oder während der Phase relativer intellektueller Freiheiten in den 60er Jahren – führten insgesamt weder zu einem Systemwechsel noch zur Verbesserung der Lebensbedingungen oder zur Durchsetzung universeller Menschenrechte.
Der Prager Frühling Ende der 60er Jahre war dagegen der Versuch, das sowjetische Herrschaftsmodell umfassend zu verändern. Das Entstehen von Ideen bürgerlicher Freiheit in allen gesellschaftlichen Schichten ging mit der fortschreitenden Schwächung des Regimes einher. Die Liberalisierung in Kultur und Zensur schuf eine völlig neue Situation, die in der Moskauer Parteiführung Ängste vor einer weiteren Öffnung hervorrief. In dieser Situation standen große Teile der tschechoslowakischen Gesellschaft nicht nur auf Seiten des Reformprozesses, sondern sie identifizierten sich auch mit den führenden politischen Köpfen dieser Veränderungen. Sowohl der Erste Sekretär der Kommunistischen Partei der Tschechoslowakei (KSČ), Alexander Dubček, als auch Präsident Ludvík Svoboda erfuhren – insbesondere nach dem Einmarsch von Truppen des Warschauer Paktes in die Tschechoslowakei im August 1968 – eine breite Unterstützung durch die Bevölkerung. Das gemeinsam erlebte Gefühl relativer Freiheiten verband die Menschen verschiedener intellektueller und gesellschaftlicher Milieus miteinander und führte sogar dazu, dass sie eine gemeinsame Sprache mit den politisch aufgeschlosseneren Parteifunktionären fanden.
Diese liberale Phase wurde jedoch brutal beendet: Gleich nach dem Einmarsch von Truppen des Warschauer Paktes in die Tschechoslowakei flogen Vertreter der tschechoslowakischen Regierung und Parteiführung nach Moskau, wo sie zur Unterzeichnung des Moskauer Protokolls gezwungen wurden und somit eine neue Phase des sowjetischen Diktates eingeleitet wurde. Im Oktober 1968 kam noch die „Vereinbarung über die vorübergehende Stationierung sowjetischen Militärs in der Tschechoslowakei“ hinzu, einen Monat später wurde gegen die Verteidiger des Prager Frühlings in der Parteiführung vorgegangen. Innerhalb der Gesellschaft ging die Begeisterung für Reformen deutlich zurück, Niedergeschlagenheit und Verzweiflung machten sich breit. Jan Palach versuchte, die Tschechen aus ihrer Lethargie zu reißen, als er sich am 16. Januar 1969 auf dem Prager Wenzelsplatz (Václavské náměstí) selbst verbrannte. Er starb drei Tage später an den Folgen seiner Verbrennungen.
Im Januar 1969 wurden die Reformen des Prager Frühlings rückgängig gemacht und moskautreue Parteifunktionäre übernahmen die Regierung. Im April verlor Alexander Dubček sein Amt des Ersten Sekretärs der KSČ; an seine Stelle trat Gustáv Husák. Dieses Ereignis war einerseits der Beginn der sogenannten „Normalisierung“, andererseits aber auch der Anfang der tschechischen Dissidentenbewegung. Die Repressionen der sogenannten „Normalisierung“ richteten sich gegen drei Gruppen: gegen ehemalige Parteimitglieder, Kirchenaktivisten und unabhängige Intellektuelle. Die ersten Maßnahmen vom 21. August 1969, dem Jahrestag des Einmarsches von Truppen des Warschauer Paktes in die Tschechoslowakei, trafen die Gegner des kommunistischen Systems. Nach der brutalen Niederschlagung von Demonstrationen veröffentlichte eine Gruppe von zehn Intellektuellen, unter ihnen Václav Havel, Pavel Kohout, Ludvík Vaculík und der Schachspieler Luděk Pachman den Appell „Zehn Punkte“ (Deset bodů). Ein Teil der Unterzeichner wurde sofort verhaftet, im Herbst 1969 folgten die Festnahmen von Petr Uhl und anderen Mitglieder der Bewegung der Revolutionären Jugend. In den nächsten zwei Jahren fanden zahlreiche politische Prozesse gegen Dissidenten statt. Viele von ihnen, wie etwa Jaroslav Šabata, Jiří Müller, Milan Hübl und Jan Tesař, wurden zu jahrelangen Haftstrafen verurteilt. Innerhalb der Kommunistischen Partei räumte die neue Parteiführung mit „Parteisäuberungen“ auf, an deren Ende der Parteiausschluss tausender Mitglieder stand.
Unter dem Druck der Verfolgungen näherten sich die verschiedenen Oppositionskreise einander an, was schließlich in den Aufbau einer politischen Plattform mündete. Diese verstand sich als breite und offene Bewegung, die sich eher der Verteidigung bürgerlicher Grundrechte verschrieb als auf einen Systemwechsel abzuzielen. Entgegen der Bedeutung des Wortes „Normalisierung“ sollten in jener Phase jede freie bürgerliche Einstellung bekämpft und alle Handlungen verhindert werden, die die Alleinherrschaft der Partei und ihr Medienmonopol hätten brechen können. Mitte der 70er Jahre schien das Regime nach einer Phase entgrenzter Justizrepressionen das Ziel erreicht zu haben. Landesweit herrschte eine weitgehende gesellschaftliche Lethargie vor und die Kommunistische Partei war erneut derart in ihrer Macht gefestigt, dass jeder Versuch, Widerstand zu leisten, unmöglich erschien. Nach 1969 zweifelte niemand mehr daran, dass die Regierung jederzeit bereit war, jede Form des Widerstandes mit aller Härte zu zerschlagen. Es waren nur noch wenige die es wagten, offen gegen das totalitäre System vorzugehen.
Im Juli 1974 veröffentlichte eine Gruppe von 30 linken Oppositionellen das „Chilenische Manifest“. Sie solidarisierten sich darin mit den Gegnern des Regimes von Augusto Pinochet und machten auf die Ähnlichkeit mit der Tschechoslowakei aufmerksam. Auf kulturellem Gebiet war die Theaterinszenierung von John Gays „Beggar’s Opera“ in der Adaption von Václav Havel wichtig, die im östlichen Prager Stadtteil Horní Počernice aufgeführt wurde. Diese Aufführung rief einerseits Repressionen des Regimes hervor, die viele Personen aus dem Kulturleben in Mitleidenschaft zogen. Solche staatlichen Verfolgungsmaßnahmen schweißten andererseits diejenigen stärker zusammen, die im Kampf um Freiheit und Recht unnachgiebig blieben.
Eine Aktion mit außergewöhnlicher politischer Sprengkraft stellte der von Václav Havel am 8. April 1975 veröffentlichte „Offene Brief an Gustáv Husák“ (Otevřený dopis Gustávu Husákovi) dar, den Václav Havel schrieb, als er bereits als führende Oppositionsfigur der Tschechoslowakei wahrgenommen wurde. Havel entwarf in seinem Brief an den Generalsekretär der KSČ ein düsteres Bild seiner tschechoslowakischen Heimat als einem Land, in dem das öffentliche Leben komplett abgestorben sei und in dem Lügen und Angst grassierten. Das von den Kommunisten errichtete Zwangssystem, das die alltäglichsten Lebensbedingungen kontrolliere, nannte Havel in diesem Brief „politische Apartheid“, die faktisch als Verbot jeglichen freien öffentlichen und kulturellen Lebens wirke und quasi ein „Haftbefehl für die Kultur“ sei. Nicht zuletzt befürchtete Havel die nur schwer rückgängig zu machenden Folgen, zu denen das dauerhafte Fehlen von Freiheit im öffentlichen Leben führe. Havel beschrieb in seinem Brief an Husák nicht nur die aktuelle Situation im Land, sondern zeigte auch die Richtung, in die das Verhalten der Opposition zum kommunistischen System weisen sollte. Ab Ende 1975 fehlte es dann nur noch an einem Impuls, der stärker organisierte oppositionelle Aktivitäten in Gang setzen würde. Dieser kam im Frühjahr 1976, als mehr als 20 Musiker der Undergroundszene verhaftet wurden. Es waren größtenteils Mitglieder der Bands „Plastic People of the Universe“ und „DG 307“ sowie die Underground- Kulturaktivisten Ivan Martin Jirous und der mit der Musikszene verbundene evangelische Geistliche Svatopluk Karásek. Zwar wurden die meisten der Inhaftierten nach mehreren Monaten wieder entlassen, doch sahen sie sich weiter wegen ihres angeblichen „Rowdytums“ Repressionen ausgesetzt. So startete die Regierung eine öffentlichen Verleumdungskampagne gegen sie, während neben Ivan Martin Jirous und Svatopluk Karásek auch die beiden Musiker Pavel Zajíček und Vratislav Brabenec vor Gericht gestellt wurden. Deren Gerichtsverhandlung verlief bereits in einer anderen Atmosphäre als die Prozesse zu Beginn der „Normalisierung“, da 1975 die KSZE-Konferenz in Helsinki endete, auf der sich die sozialistischen Staaten auf die Menschenrechte festlegen mussten. Außerdem änderte sich in der Tschechoslowakei der Charakter der „Normalisierung“, deren erster Feuereifer allmählicher Routine gewichen war. Es hatte also zunächst den Anschein, als ob die Machthaber keine neue Anklagewelle planen und sich mit den Maßnahmen des Sicherheitsapparates sowie der gesellschaftlichen Isolierung unliebsamer Personen zufrieden geben würden.
Der Prozess gegen die Musiker des Underground war in gewissem Sinne auch ein Entwicklungsmotor für die Opposition. Die eindeutige Ablehnung der Verhaftungen stärkte den Zusammenhalt unter ansonsten sehr unterschiedlichen Gruppierungen, die sich zudem auf den Gerichtsfluren begegneten und kennenlernten: Undergroundmusiker trafen auf katholische Kirchenaktivisten und auf Schriftsteller, auf von den Hochschulen entlassene Professoren und auf ehemalige Politiker des Prager Frühlings. Die Mehrheit von ihnen hatte zuvor niemals Undergroundmusik gehört.