Eine der wichtigsten Persönlichkeiten der litauischen Widerstandsbewegung, Menschenrechtsaktivist und Mitbegründer der Litauischen Helsinki-Gruppe; langjährige Lagerhaft.

Viktoras Petkus entstammte einer Bauernfamilie und wurde 1928 in dem Dorf Aleksandrai in der Rajongemeinde Raseiniai geboren. Als Gymnasiast trat er 1944 der national-katholischen Jugendorganisation Ateitis bei, rief an seiner Schule in Raseiniai eine katholische Jugendgruppe ins Leben, organisierte Hilfe für die jüdische Bevölkerung und sorgte für die Verbreitung der Untergrundzeitung „Laisvės Varpas“ (Freiheitsglocke).

1947 wurde Petkus verhaftet und am 8. April 1948 unter dem Vorwurf antisowjetischer Agitation und Propaganda von einem Sondergericht nach Artikel 58, Paragraf 10 und Artikel 58, Paragraf 11 Strafgesetzbuch der RSFSR zu 5 Jahren Freiheitsentzug verurteilt. Die Strafe verbüßte er im Wladimir-Gefängnis und im Lagerkomplex Komi (ASSR der Komi). 1949 floh er aus dem Lager, wurde jedoch gefasst und am 25. Februar 1949 zu weiteren 10 Jahren Lagerhaft verurteilt, die er im Speziallager MinLag (ASSR der Komi) verbüßte. Nach Stalins Tod 1953 wurde er, der zum Zeitpunkt der Straftat minderjährig war, vorzeitig aus der Lagerhaft entlassen.

Nach seiner Rückkehr nach Litauen legte Petkus in Raseiniai extern das Abitur ab. Er bereitete sich auf den Eintritt ins Priesterseminar vor, der zuständige Pfarrer verweigerte ihm, als ehemaligem politischen Häftling, jedoch das erforderliche Empfehlungsschreiben. 1957 nahm er ein Studium an der Fakultät für Sprachen und Literatur an der Universität Wilna auf, wurde aber noch im selben Jahr zwangsexmatrikuliert. Am 25. Dezember 1957 wurde er erneut verhaftet und im Zuge des Prozesses gegen die sogenannte „Gruppe der 11“ (Intellektuelle wie Stasys Stungurys, Albertas Žilinskas, Albertas Zvicevičius, Antanas Terleckas, denen die Mitgliedschaft in der im Untergrund agierenden Nationalfront zur Last gelegt wurde) vor Gericht gestellt. Die meisten der „Verschwörer“ kannten einander nicht, es gab keinerlei gemeinsame Aktivitäten, und es war nicht einmal klar, ob allen das von Stungurys verfasste Programm der Nationalfront bekannt war. Trotzdem wurde ihnen die versuchte Gründung einer Organisation sowie Mitgliederwerbung vorgeworfen. Petkus wurde zudem die Verbreitung von Emigrationsliteratur sowie die Teilnahme an einer studentischen Demonstration an Allersseelen (als einem traditionellen litauischen Gedenktag) zur Last gelegt. Die Gerichtsverhandlung fanden vom 9. bis 14. Juni 1958 statt. Das Oberste Gericht der Litauischen SSR verurteilte Petkus erneut nach Artikel 58, Paragraf 10 und Artikel 58, Paragraf 11 Strafgesetzbuch der RSFSR zu 8 Jahren Lagerhaft. Seine Strafe verbüßte er im Lagerbezirk OserLag (Region Irkutsk), in den mordwinischen Lagern und im Wladimir-Gefängnis. Nach seiner Entlassung am 25. Dezember 1965 zog er zurück nach Litauen und fand dort eine Stelle im Labor der Medizinischen Fakultät der Universität Wilna. Während einer Reise nach Lettland hielt er 1968 auf dem Rigaer Friedhof eine Lobesrede auf die im Kampf gegen die Rote Armee gefallenen, dort beerdigten Letten. Daraufhin verlor er seinen Arbeitsplatz, konnte etwas später jedoch eine Stelle als Küster der St. Nikolai-Kirche in Wilna antreten und fand zwei Jahre später Beschäftigung als technischer Mitarbeiter am Städtischen Krankenhaus.

Am 9. Dezember 1975 wurde Petkus am Vorabend des Prozesses gegen Sergei Kowaljow auf dem Hauptbahnhof in Wilna festgenommen. Er war dort gemeinsam mit Antanas Terleckas und Walerij Smolkin erschienen, um Andrei Sacharow und andere zum Prozess anreisende Moskauer Menschenrechtsaktivisten in Empfang zu nehmen. Im Januar 1976 unterzeichnete er eine Solidaritätserklärung für Kowaljow. Petkus war Mitinitiator der am 25. November 1976 gegründeten Litauischen Helsinki-Gruppe und einer der Verfasser und Redakteure der ersten 20 Erklärungen und Dokumente der Gruppe. Im selben Jahr gab er den Untergrund-Almanach *„Lietuvos Kultūros Archyvas“ heraus, für den er Teile der als „Lagermärchen“ (Lagerio pasakos) betitelten Erinnerungen von Ona Lukauskaitė-Poškienė, Lagergedichte von Kazys Inčiura und Essays von Tomas Venclova zusammengestellt hatte.

Am 20. August 1977 wurde die Bildung des Allgemeinen Komitees der nationalen Bewegungen in Litauen, Lettland und Estland bekanntgegeben. Doch noch bevor das Komitee in Aktion trat, waren die meisten seiner Mitglieder bereits verhaftet. Petkus selbst wurde am 23. August 1977 festgenommen, die Wohnungsdurchsuchung förderte Dokumente der Litauischen Helsinki-Gruppe sowie „Umsturzliteratur“ zutage, die sofort beschlagnahmt wurden. Um ihn als Aktivisten bloßzustellen, lauteten die Vorwürfe der Ermittler nicht nur „antisowjetische Agitation und Propaganda“ und „Betätigung in einer antisowjetischen Organisation“, sondern man warf ihm Homosexualität und Verführung Minderjähriger zum Alkoholismus vor. Während des Prozesses vom 10. bis 13. Juli 1978 verurteilte ihn das Oberste Gericht der Litauischen SSR als „besonders gefährlichen Wiederholungstäter“ zu 3 Jahren Gefängnis, 7 Jahren Lagerhaft mit besonderem Vollzug sowie 5 Jahren Verbannung. Grundlage der Verurteilung waren Artikel 68, Paragraf 2 und Artikel 70 Strafgesetzbuch der Litauischen SSR (entspricht Artikel 70, Paragraf 2 und Artikel 72 Strafgesetzbuch der RSFSR), sowie  Artikel 122, Paragraf 2 und Artikel 241, Paragraf 3 Strafgesetzbuch der Litauischen SSR. Petkus verweigerte demonstrativ die Mitwirkung am Prozess, nicht einmal zur Urteilsverkündung erhob er sich von seinem Platz. Am Tag des Urteilsspruchs hatten sich rund 100 Menschen vor dem Gerichtsgebäude versammelt. Seine Verurteilung rief Proteste in Litauen, Lettland und Estland hervor. Der als Zeuge geladene Mart Niklus verfasste einen Prozessbericht, der dann in der Untergrundzeitschrift „Vytis“ (Nummer 2, 1979) veröffentlicht wurde. Die Moskauer Helsinki-Gruppe widmete ihr Dokument Nummer 56 (vom 15. Juli 1978) den Urteilen gegen Petkus, Alexander Ginsburg und Anatoli Schtscharanski. Auch international erhielt Petkus Unterstützung: In Westdeutschland entstand ein Komitee zur Verteidigung von Viktoras Petkus, das vom Vatikan, dem schwedischen Ministerpräsidenten Olof Palme und dem PEN-Club unterstützt wurde. 1978, 1979 und 1981 wurden Petkus und weitere Aktivisten der Helsinki-Gruppen in der UdSSR für den Friedensnobelpreis vorgeschlagen.

Petkus war zunächst im Wladimir-Gefängnis und im Gefängnis Tschistopol in Haft und kam dann in den Lagerkomplex der Permer Lager. Er nahm an Protestaktionen politischer Gefangener teil und wurde 1986 Ehrenmitglied des britischen PEN-Clubs. Im August 1988 erreichte er seinen Verbannungsort, das Dorf Bogdarin in der Burjatischen ASSR. Er war einer der letzten politischen Gefangenen aus Litauen, wo seine Freilassung eine wiederkehrende Forderung der immer größeren Demonstrationen im Land war.

Im Herbst 1988 wurde Petkus vorzeitig aus der Verbannung entlassen und kehrte nach Litauen zurück. Im Januar 1989 engagierte er sich bei der Reaktivierung des Jugendverbandes Ateitis und einen Monat später bei der Wiedergründung der Christlich-Demokratischen Partei Litauens. Ende 1990 wirkte er an der Gründung des Verbandes der Politischen Gefangenen Litauens mit und beriet 1994–97 die litauische Regierung in Menschenrechtsfragen. Ab 1990 gab Petkus die Wochenzeitschrift „Nepriklausoma Lietuva“ (Unabhängiges Litauen) heraus, veröffentlichte 1991 ein Buch über die litauische Christdemokratie und verfasste einige Arbeiten zur Wilnaer Kirchengeschichte. Ab 1992 redigierte er die Zeitschrift „Lietuvos Sargas“ (Wächter Litauens). Für sein gesellschaftliches Engagement wurde Petkus mit hohen staatlichen Auszeichnungen im In- und Ausland geehrt. Er lebte bis zu seinem Tod in Wilna, wo er unter anderem die Litauischen Vereinigung für Menschenrechte leitete.

Viktoras Petkus starb am 1. Mai 2012 in Wilna.

Birutė Burauskaitė
Aus dem Polnischen von Gero Lietz
Letzte Aktualisierung: 05/23