Dieser Kontertanz von Partei und Opposition währte bis 1974, als die Staatsführung nach der Zerschlagung des Kroatischen Frühlings und des Serbischen Liberalismus auch die Zeitschrift „Praxis“ stilllegte, da diese, wie es hieß, die Studentenproteste von 1968 maßgeblich inspiriert habe. Die Partei schloss die Reihen, kontroverse Diskussionen wurden als überflüssig und sogar schädlich betrachtet – selbst wenn sie wie im Falle der Zeitschrift vor allem auf die Beseitigung von Unvollkommenheiten und nicht etwa die Abschaffung des Systems abzielten. Damit konnte die „Praxis“ auch nicht mehr die Rolle einer linken jugoslawischen Alternative zu nationalen Denkweisen ausfüllen, die im BdKJ an Einfluss gewannen. Denn obwohl die Zeitschrift in Zagreb erschien und in erster Linie von Kroaten redigiert wurde (Gajo Petrović, Danilo Pejović, Milan Mirić, Branko Horvat, Predrag Vranicki), verfolgte sie einen originär jugoslawischen Ansatz. Diese Linie war nicht nur den vielen in der Zeitschrift publizierenden Belgrader Autoren geschuldet, sondern entsprach vor allem dem eigenen Selbstverständnis, sich in dem von der sozialistischen jugoslawischen Föderation geschaffenen Rahmen zu bewegen.
Ab Anfang der 60er Jahre war dies jedoch selbst unter führenden Parteikadern keine Selbstverständlichkeit mehr, denn zur Spezifik Jugoslawiens gehörte, dass nationale Unterschiede durchaus öffentlich artikuliert werden durften. Natürlich existierten auch in den anderen kommunistisch regierten Ländern, besonders in den Vielvölkerstaaten, nationale Differenzen und Reibeflächen. Aber nur in Jugoslawien (und in der Tschechoslowakei während des Prager Frühlings) wurden diese Differenzen offiziell als Realität und nicht nur als ein vorübergehendes Problem beim Aufbau des Sozialismus betrachtet. Im Rahmen der Politik der *„Brüderlichkeit und Einheit“ sollten diese Differenzen so weit wie möglich minimiert werden, und auch die Idee eines einheitlichen jugoslawischen Volkes stand auf der Partei-Agenda weit oben. Gegen Ende der 50er Jahre setzte sich jedoch nach und nach die Einsicht durch, dass die verschiedenen Völker und die zwischen ihnen bestehenden Konflikte nicht verschwinden würden und dass deshalb ein Mechanismus zur Lösung dieser Konflikte zu etablieren sei. Damit eröffnete sich neben der Monopolstellung des BdKJ ein zweiter Bereich für einen relativen Pluralismus: Initiativen in den Bereichen Kultur, Bildung und Wissenschaft, die zur Verbesserung der Lage des Mehrheitsvolkes in den einzelnen Teilrepubliken beitrugen, konnten in Jugoslawien zumindest auf Neutralität, wenn nicht sogar – wie im Falle Kroatiens – auf die Unterstützung der Partei hoffen.
Als Beginn des Kroatischen Frühling wird für gewöhnlich die im März 1967 veröffentlichte „Deklaration über die Bezeichnung und Stellung der kroatischen Schriftsprache“ (Deklaracija o nazivu i položaju hrvatskog književnog jezika) genannt. Ausformuliert hatte sie der kroatische Kulturverband „Matica hrvatska“, der sich neben anderen kulturellen Organisationen bereits seit 1842 für die Pflege des kroatischen Nationalbewusstseins einsetzte. Die Deklaration, die von 130 führenden kroatischen Intellektuellen unterstützt wurde, wandte sich gegen die Degradierung der kroatischen Sprache zu einer lokalen Varietät innerhalb des Serbokroatischen und forderte die Anerkennung und Garantie aller Schriftsprachen der Völker Jugoslawiens in der Verfassung. Die Debatte um die „Deklaration“ wurde zu einem ersten Signal der Wiedergeburt der kroatischen Zivilgesellschaft, die später von ihren Opponenten auch mit dem Begriff Maspok beschrieben wurde.
Schon in diesem ersten Akt des Kroatischen Frühlings zeichnete sich der zweite ab, das Erstarken der nicht minder wichtige Strömung der national gesinnten Kommunisten. Schon in den Organisationen, die hinter der „Deklaration“ standen, und als intellektuelle Unterstützer der Initiative waren sie prominent in Erscheinung getreten. Die national gesinnten kroatischen Kommunisten spielten im Zusammenwirken mit dem Maspok jedoch ihr eigenes Spiel – zunächst innerhalb des Bundes der Kommunisten Kroatiens und später, nachdem sie hier die Kontrolle übernommen hatten, auch gegenüber dem Belgrader Machtzentrum. Hinzu kam, dass sowohl die „Deklaration“ selbst als auch die dadurch in Gang gesetzen gesellschaftlichen Aktivitäten nur durch verschiedene Parteibeschlüsse möglich geworden waren, die derlei Betätigung im Bereich der Nationalkulturen legitimierten: 1964 erteilte der BdKJ den sogenannten „Jugoslawismus“ als unitaristischer Bestrebung, die ein Verschwinden der Kulturen der Völker Jugoslawiens zum Ziel habe, eine Absage. Im gleichen Jahr präsentierte Vladimir Bakarić, der engste Mitarbeiter Titos in Kroatien, in einer Reihe von Interviews eine Unterscheidung zwischen dem alten Nationalismus der Ustascha und dem neuen, ökonomisch begründeten Nationalismus. Auch gegen diesen müsse man kämpfen, aber er verfüge über bestimmte, allgemein anerkannte objektive Grundlagen. 1966 fanden die Feierlichkeiten zum 130. Jahrestag der nationalen Wiedergeburt der Kroaten statt. Nie zuvor hatten die Kommunisten dieses Ereignis in so großem Stil gefeiert. Zu den offiziellen Jubiläumsveranstaltungen wurden Vertreter der katholischen Kirche und der Exilkroaten eingeladen. Ende der 60er Jahre griff dann – unterstützt von Bakarić – auch der national gesinnte Flügel der kommunistischen Partei Themen auf, die zuvor nur in der Publizistik eine Rolle gespielt hatten. Dazu gehörten Forderungen nach einer stärkeren Dezentralisierung des BdKJ (die zwar 1969 beschlossen, aber nur zäh umgesetzt wurde), einer gerechteren Umverteilung der eingenommenen Devisen, einer Rationalisierung der staatlichen Investitionspolitik sowie einer Schwerpunktverlagerung: weg von einem Land forcierter Industrialisierung hin zu einem Land des Tourismus und der Spitzentechnologien und weg von einem Balkan-Staat hin zu einem Adria-Staat. Diese Forderungen brachten den kroatischen Kommunisten auch gesellschaftliche Unterstützung ein.
Im Januar 1970 übernahm eine von Savka Dabčević-Kučar (Vorsitzende des ZK des Bundes der Kommunisten Kroatiens), Pero Pirker und Miko Tripalo angeführte liberale Gruppe die vollständige Kontrolle über den Bund der Kommunisten Kroatiens und machte das Programm der Verbesserung der ökonomischen und politischen Position des Landes innerhalb der jugoslawischen Föderation zum Programm der Partei. Parallel dazu begann sich der pluralistische Maspok zu radikalisieren. So wurde generell die Mitfinanzierung des ärmeren jugoslawischen Südens infrage gestellt, und auch die Forderung nach einer größeren Unabhängigkeit Kroatiens (mit einem eigenen UNO-Sitz und einer für kroatische Rekruten auf Kroatien beschränkten Dienstpflicht) wurde laut. Die führenden kroatischen Parteivertreter standen so in der Tat an der Spitze des gesellschaftlich aufgerüttelten kroatischen Volkes. An einer Kundgebung zur Unterstützung des Kurses der Parteiführung nahmen Zehntausende Menschen teil. Zugleich stand die Parteiführung seitens radikaler Kräfte massiv unter Druck. Inzwischen war die in Belgrad immer häufiger erhobene Forderung nach Unterdrückung der kroatischen Nationalbewegung illusorisch. Noch 1967 war Franjo Tuđman aus der Partei ausgeschlossen worden und verlor seinen Posten als Direktor des Historischen Instituts der Partei, nachdem er die staatlicherseits aus Gründen der Propaganda überhöhte Zahl der Opfer des Völkermords der Ustascha in Zweifel gezogen hatte. Auch die damals erste unabhängige Zeitschrift „Hrvatski književni list“ (Kroatisches Literaturblatt) hatte ihr Erscheinen nach anderthalb Jahren im November 1969 einstellen müssen. Jetzt aber, nur einige Monate später, lösten Beiträge, die zuvor Repressionen zur Folge hatten, nur noch in Belgrad Kontroversen aus.