Kirchliche Gruppen
Die kirchlichen Milieus waren von den landesweiten Justizrepressionen in der ersten Hälfte der 70er Jahre nur in geringem Ausmaß betroffen. Die Geistlichen aller Konfessionen unterstanden hinsichtlich der Verwaltungsverordnung sogenannten Kirchensekretären, die wiederum dem Staatsekretariat für Kirchenfragen untergeordnet waren. Die Struktur der Sekretariate entsprach der staatlichen Verwaltungsgliederung. Prinzipiell war es somit möglich, alle legal praktizierenden Religionsgemeinschaften zu kontrollieren. Die Geistlichen waren abhängig von den Entscheidungen der Kirchensekretäre, da diese ihnen die staatliche Erlaubnis zur Ausübung religiöser Tätigkeiten entziehen konnten, was einem regelrechten Seelsorgeverbot gleichkäme. Die meisten Kirchen konzentrierten sich deshalb auf rein liturgische Aufgaben und vermieden jedes darüber hinausgehende öffentliche Wirken. In einer etwas besseren Lage befanden sich nur die Evangelische Kirche der Böhmischen Brüder und die Katholischen Kirche.
Die protestantischen Böhmischen Brüder fanden schon in den 50er Jahren einen Weg zu einem Nebeneinander mit dem kommunistischen System. Das war vor allem aufgrund des Engagements des protestantischen Theologen und Philosophen Josef Lukl Hromádka möglich, der in der prosowjetischen Friedensbewegung aktiv war. Die Böhmischen Brüder bewahrten selbst in der Phase der „Normalisierung“ ihre Autonomie.
Die protestantischen Kirchen konnten sich als Institution auf eine festgefügte Tradition und demokratisch verfasste weltliche Organisationsstrukturen stützen. Die evangelischen Kirchengemeinden wählten ihre Seelsorger selbst und vertrauten ihnen die Pfarraufgaben an. Gleichzeitig stellten sie den Pastoren Wohnung und Diensträume zur Verfügung. Selbst nach dem Verlust der staatlichen Erlaubnis zur Ausübung religiöser Tätigkeiten hielten die Pastoren weiterhin Kontakt zu ihren Gemeindemitgliedern, viele Kirchengemeinden versteckten ihre Seelsorger sogar. Selbst wenn den Geistlichen die staatliche Erlaubnis entzogen wurde, ließen die Gemeinden sie ihre Pfarrräume so lange weiternutzen, bis ein neuer Pastor bestellt war. Diese Solidarität ermöglichte es den Pastoren, sich auch weiterhin öffentlich zu engagieren. Erst nach geraumer Zeit erkannten die Machthaber, dass die Repressionen gegen die Pastoren nicht die erwünschten Ergebnisse zeitigten. Insgesamt hatte die Tätigkeit der Böhmischen Brüder eine große gesellschaftliche Bedeutung. Viele ihrer Geistlichen engagierten sich in der Bürgerrechtsbewegung Charta 77 und in anderen oppositionellen Strukturen.
Ganz anders hingegen stellte sich die Situation der Katholischen Kirche dar, der die Mehrheit der Gläubigen angehörte. Insbesondere in den 50er Jahren stand sie unter starkem Druck: Klöster konnten nur in vollkommener gesellschaftlicher Abgeschiedenheit oder versteckt existieren und die Mönche kamen ihren klösterlichen Aufgaben dann im weltlichen Leben nach. Viele Priester und auch Bischöfe und Ordensschwestern saßen jahrelang im Gefängnis. Kandidaten für ein Theologiestudium wurden nach staatlichen Anforderungen ausgewählt, wobei häufig auch die Interessen der Geheimpolizei berücksichtigt wurden.
In den 70er Jahren waren die Aktivitäten der katholischen Laien und Geistlichen dagegen äußerst umfangreich. In der Tschechoslowakei existierte ein kirchlicher Samisdat, der einen immer größeren Leserkreis erreichte und aufgrund dessen sich die Auflagen seiner Publikationen permanent erhöhten. Die inoffiziellen kirchlichen Gruppen und die Laien organisierten Vorträge, ein Teil der katholischen Intelligenz studierte Theologie und wurde im Geheimen zum Priester geweiht. Viele Geistliche und Laien, die sich auf diese Weise engagierten, nahmen Kontakt mit der Charta 77 auf. Einige Priester und intellektuelle Katholiken gingen in der Überzeugung, dass unter den Bedingungen des Totalitarismus das Leben nicht in einen kirchlichen und einen weltlichen Bereich zu trennen sei, enge Bindungen mit der Bürgerrechtsbewegung ein. Viele taten dies mit der Überzeugung, dass jede ernstgemeinte Bewegung, auch wenn sie nicht direkt christlich geprägt sei, zu einer Änderung der Situation im Land beitragen könne. Die katholischen Bürgerrechtler bildeten so eine der konstitutiven Gruppen innerhalb der Charta 77 und den ihr nahestehenden Initiativen. Viele Dutzend Geistliche wurden für ihre Tätigkeit zur Verteidigung der Menschenrechte oder für ihre Arbeit in Untergrundverlagen ins Gefängnis gesperrt.
Auch die Gegner der regimetreuen kirchlichen Organisation „Pacem in terris“, die Anfang der 70er Jahre von katholischen Geistlichen gegründet worden war, standen unter scharfer Überwachung durch das kommunistische Regime. Die in „Pacem in terris“ aktiven Priester, darunter auch Bischöfe, erklärten jedoch ihre Loyalität zum System und ermöglichten es der Staatssicherheit, in Besitz von Informationen über die internen Kirchenstrukturen zu kommen.
Zu dieser Zeit gab es in der Tschechoslowakei auch eine Untergrundkirche. Hierbei handelte es sich um eine in hohem Grad isolierte Gemeinschaft, zumindest im Hinblick auf Kontakte zu anderen inoffiziellen geistlichen und weltlichen Gruppen. Diese Untergrundkirche kooperierte zwar mit einigen Vertretern der katholischen Hierarchie, lehnte aber jede Form der Zusammenarbeit mit offiziellen Stellen ab. In ihr waren sowohl Geistliche als auch Laien aktiv, mehrere Priester wurden heimlich geweiht, einige sogar zum Bischof. Ein Teil dieser Gemeinschaft vertrat sehr fundamentalistische Ansichten. Auch aus der Sicht anerkannter Kirchenlehrer war die Stellung der Untergrundkirche in vielen Fragen umstritten, was bis heute für einige Streitfragen sorgt.
Andere Gemeinschaften spielten keine größere Rolle für den kirchlichen Widerstand in der Tschechoslowakei. Zwar gab es vereinzelte Kontakte zwischen Dissidenten und Vertretern anderer Religionsgemeinschaften. Zu einer breiten Kooperation beider Milieus, wie es bei den Katholiken und den Böhmischen Brüdern der Fall war, kam es hingegen nicht.