Name des Begriffes: KSS „KOR“
Beschreibungen des Begriffes:

KSS „KOR“

Das Komitee für Gesellschaftliche Selbstverteidigung „KOR“ (Komitet Samoobrony Społecznej; KSS „KOR“) war ab September 1977 die Weiterführung des Komitees zur Verteidigung der Arbeiter (KOR) und rekrutierte sich auch personell aus diesem. Im Oktober 1977 verstärkten dann noch weitere Aktivisten die Reihen von KSS „KOR“: Konrad Bieliński, Seweryn Blumsztajn, Andrzej Celiński, Leszek Kołakowski, Jan Lityński, Zbigniew Romaszewski , Maria Wosiek und Henryk Wujec. Im Mai 1978 kam Jerzy Ficowski dazu und im Oktober Wiesław Kęcik und Jerzy Nowacki. Im April 1980 wurde auch Ewa Milewicz Mitglied des neuen Komitees. KSS „KOR“ hatte ein Mitarbeiternetz, das sich über das ganze Land erstreckte. Die bedeutendsten Hochburgen der Opposition waren Warschau, Danzig, Krakau, Łódź, Breslau und Posen.

Ziele, die die Organisation in ihrem ersten Beschluss deklarierte, waren der Kampf gegen politische Repressionen und alle Formen von Unrecht, die Unterstützung der Opfer von Repressionen sowie der Einsatz für Menschenrechte und bürgerliche Freiheiten. Die wichtigsten Beschlüsse wurden auf den monatlich stattfindenden Plenarversammlungen gefasst. Die Entwürfe für die Beschlüsse und Erklärungen bereitete ein Redaktionskomitee vor, über die Finanzen wachte ein speziell eingerichteter Finanzrat des „Fonds für Gesellschaftliche Selbstverteidigung“ (Rada Funduszu Samoobrony Społecznej). Ideell prägend für das KSS „KOR“ waren vor allem Jacek Kuroń, Antoni Macierewicz, Adam Michnik und Jan Józef Lipski.

Die Mitglieder des Komitees sahen sich verschiedensten Repressalien ausgesetzt: Polizeigewahrsam bis zu 48 Stunden, Wohnungs- und Hausdurchsuchungen, Bespitzelung und Postkontrolle, Ausreiseverbote, Kündigungen, tätliche Übergriffe.

Inspiriert vom KSS „KOR“ und mit dessen finanzieller Unterstützung entstand eine Reihe von unabhängigen Initiativen. Im Sommer 1977 wurde das Unabhängige Verlagshaus NOWA (Niezależna Oficyna Wydawnicza NOWA) gegründet, das bis 1981 an der Zensur vorbei über 100 Buchtitel herausbrachte. Wegen dieser illegalen Verlagstätigkeit wurde NOWA-Chef Mirosław Chojecki im März 1980 festgenommen. Nach einer Welle von Protesten und einem Hungerstreik von 23 Bürgerrechtlern in Podkowa Leśna (7.–17. Mai) wurde er aus dem Gefängnis entlassen, aber zu anderthalb Jahren Gefängnis auf Bewährung verurteilt. Stellungnahmen und Erklärungen des Komitees erschienen regelmäßig in dem von Anka Kowalska redigierten „Komunikat“ (Kommuniqué). KSS „KOR“ gab auch die Zeitschriften „Biuletyn Informacyjny“ (Informationsbulletin), „Głos“ (Stimme) und „Robotnik“ (Arbeiter) heraus, und ab 1978 auch die politische Quartalschrift „Krytyka“ (Kritik).

Eng liiert mit KSS „KOR“ waren die 1978 in Danzig gegründeten Freien Gewerkschaften. Viele dort organisierte Personen – Lech Wałęsa, Andrzej Gwiazda und Anna Walentynowicz – wurden zwei Jahre später zu führenden Vertretern der Solidarność. Bogdan Borusewicz war Mitglied des KSS „KOR“ und zugleich führender Vertreter der Freien Gewerkschaften. In drei Regionen Polens formierten sich Provisorische Komitees der Bäuerlichen Selbstverteidigung (Tymczasowe Komitety Samoobrony Chłopskiej), die ebenfalls vom KSS „KOR“ unterstützt wurden. Daneben gab es auch zwei lokale Klubs der Gesellschaftlichen Selbstverteidigung. Ein besonders verdienstvolles Gremium im KSS „KOR“ war das von Zofia und Zbigniew Romaszewski geleitete Interventionsbüro (Biuro Interwencyjne). In den vier Jahren seines Bestehens bearbeitete das Büro jährlich Hunderte von Beschwerden, in denen es um Opfer von staatlicher Willkür, von Misshandlung durch Miliz und Staatssicherheitsdienst und auch um Morde ging. Die drastischsten Fälle wurden 1978 in der Dokumentensammlung „Dokumenty bezprawia“ (Dokumente des Unrechts) vom Warschauer NOWA-Verlag veröffentlicht.

Im Herbst 1977 organisierte Andrzej Celiński die sogenannte Fliegende Universität (Latający Uniwersytet), eine Vorlesungsreihe unabhängiger Professoren, die in privaten Wohnungen stattfand und unter Leitung von Jacek Kuroń und Adam Michnik stand. 1978 formierte sich diese Initiative als Gesellschaft für Wissenschaftliche Kurse um.

KSS „KOR“ war der Kontakt zur Opposition in anderen Ostblockländern ein wichtiges Anliegen. 1978 fanden im Riesengebirge zwei persönliche Begegnungen mit Vertretern der Charta 77 statt. Ein Jahr darauf traten in Warschau etliche Mitglieder des KSS „KOR“ und anderer oppositioneller Gruppen in Warschau in einen Hungerstreik – als Ausdruck ihrer Solidarität mit den in der Tschechoslowakei verhafteten Bürgerrechtlern. Im selben Jahr traf Zbigniew Romaszewski in Moskau mit Andrei Sacharow zusammen. Kontakte mit ungarischen Dissidenten wurden auf dem Postweg gepflegt.

Während des Streiksommers 1980 unterstützte KSS „KOR“ die Streikenden und informierte die polnische und internationale Öffentlichkeit über den Verlauf der Proteste. Bogdan Borusewicz war einer der Organisatoren des Streiks in der Danziger Werft und beriet das Überbetriebliche Streikkomitee (Międzyzakładowy Komitet Strajkowy, MKS). Mirosław Chojecki und Konrad Bieliński gaben das „Strajkowy Biuletyn Informacyjny Solidarność“ (Streik-Informationsbulletin der Solidarność) heraus. Ende August 1980 wurde eine ganze Reihe von KSS-„KOR”-Mitgliedern verhaftet, sie kamen jedoch nach Protesten der Streikenden und nach der Unterzeichnung der Danziger Vereinbarung wieder auf freien Fuß.

Die Mitglieder des KSS „KOR“ engagierten sich ausnahmslos für die sich formierende neue Gewerkschaft, sei es als Berater, Herausgeber oder Redakteur der Gewerkschaftspresse oder als Leiter von Meinungsforschungszentren und nahmen auch Leitungsaufgaben wahr. Am 23. September 1981 gab das KSS „KOR“ auf dem Ersten Landeskongress der Solidarność in Danzig seine Selbstauflösung bekannt. Seine Aufgaben habe jetzt die neue Gewerkschaft übernommen, hieß es.

Piotr Śmiłowicz, Jan Skórzyński

Synonyme: KSS ‚KOR‘, KSS-„KOR“
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