Es wurden auch Kontakte zu einigen religiösen Gemeinschaften geknüpft: zu evangelikalen Christen (besser bekannt als Pfingstkirchler oder Pfingstbewegung), zu einer Abspaltung der Adventisten, die sich nach dem Namen ihres Religionsführers Wladimir Schelkow auch Schelkowisten nannten, sowie zu den Baptisten bzw. „Initiativniks“, die anfangs gewillt waren, sich auf geltendes Recht zu berufen. Die „Initiativniks“ traten 1965 aus der staatlich anerkannten Glaubensgemeinschaft der Baptisten aus. Der Name dieser offiziellen Gemeinschaft war „Allunionsrat der Evangeliumschristen–Baptisten“, inoffiziell auch „Karew-Leute“, benannt nach dem Ratsvorsitzenden Alexander Karew. Sie gründeten eine eigene Gemeinschaft: den „Rat der Kirchen der Evangeliumschristen–Baptisten“, den die Staatsmacht nicht gewillt war anzuerkennen und zu registrieren. Assoziiert mit dieser Gemeinschaft war der „Rat der Häftlingsfamilien“, der eine eigene Samisdat-Informationsschrift herausgab.
Der Prozess der Einbeziehung verschiedener religiöser Strömungen in den „Informations-Pool“ der Dissidenten verlief zum Teil nach dem Zufallsprinzip, zu beobachten war jedoch auch eine gewisse Regelmäßigkeit: Kontakt zur Gemeinschaft der Dissidenten nahmen jene religiösen Gruppen auf, die selbst verfolgt wurden, die ihr Recht auf Glaubensfreiheit öffentlich vertraten und dieses Recht in Übereinstimmung mit der Konzeption der Menschenrechte verteidigten oder dies versuchten. Die Möglichkeit systematischer Kontaktpflege war natürlich auch davon abhängig, inwieweit die Vertreter der betreffenden Glaubensrichtungen dazu bereit waren, gegenüber Vertretern anderer Religionen und auch gegenüber atheistischen Aktivisten der Menschenrechtsbewegung Toleranz zu üben.
1969 entstand noch eine weitere gesellschaftliche Bewegung, deren zahlenmäßige Stärke jedoch weit geringer war als das allgemeine Interesse, das ihr in der internationalen Öffentlichkeit entgegengebracht wurde: Die Bewegung der jüdischen Otkazniki kann aus formaler Sicht als nationale Bewegung klassifiziert werden. Darin waren Menschen vereint, deren Antrag auf Ausreise nach Israel abgelehnt worden war. Der Name der Bewegung ging auf Ereignisse des Jahres 1970 zurück, als eine Gruppe von Otkazniki demonstrativ ein Flugzeug in ihre Gewalt gebracht hatte. Der sogenannte Flugzeug-Prozess gegen die Akteure dieser Aktion führte der Welt erstmals vor Augen, dass die UdSSR ein Land war, das man nicht auf eigenen Wunsch hin verlassen konnte. Im Endeffekt musste sich die Sowjetregierung – zum ersten Mal seit den 20er Jahren – dazu bereiterklären, unter bestimmten Bedingungen einer Ausreise zuzustimmen. Das war nicht nur für die Juden ein bedeutsames Ereignis, sondern für alle, die überhaupt mit dem Gedanken spielten, das Land zu verlassen.
Somit begann die sogenannte Dritte Welle der Emigration aus der Sowjetunion. Für die erste Ausreisewelle stehen die Emigranten aus der Zeit des Umsturzes 1917 und des Bürgerkrieges; als Vertreter der zweiten Welle gelten all jene, die im Gefolge des Zweiten Weltkrieges entschieden, im Westen zu bleiben. Für die sowjetischen Dissidenten, besonders die aus dem literarischen Milieu, hatte dies weitreichende Konsequenzen: In Westeuropa, Amerika und Israel entstand ein gesellschaftlicher Wirkungsraum, der – im Unterschied zu den Exilanten der ersten beiden Ausreisewellen – von Menschen bewohnt war, die mit den Dissidenten eine gemeinsame Sprache fanden. Durch dieses neue Exil der dritten Welle wurde beispielsweise auch der sogenannte „Tamisdat“, also die Veröffentlichung im Ausland, möglich. Dieser war zunächst eine Art Ergänzung zum Samisdat, der Letzteren später in großem Maße sogar verdrängte. Die Bewegung der Otkazniki, zu der nicht nur Juden gehörten, wurde eine der wenigen Formen unabhängiger gesellschaftlicher Initiativen, in deren Rahmen nicht nur der existenzielle Freiheitsdrang befriedigt, sondern auch (und mit großer Aussicht auf Erfolg) ein konkretes persönliches Ziel realisiert werden konnte: die Möglichkeit, die Sowjetunion zu verlassen.
Was den traditionellen soziokulturellen Hintergrund der Entstehung dissidentischer Verhaltensweisen anbelangt, also die unabhängige schöpferische Arbeit der geisteswissenschaftlich orientierten Intellektuellen, so ist zu beobachten, wie sich in den 70er Jahren zwei wesentliche Berufsgruppen herauskristallisierten, die zunehmend eigene Wege gingen: die Literaten und die bildenden Künstler. Letztere waren nach dem berüchtigten Wutausbruch Chruschtschows auf einer Ausstellung nonkonformistischer Maler im Dezember 1962 de facto in die Dissidentenbewegung gedrängt worden. Ende 1974 fanden sie nach der legendären „Bulldozer-Ausstellung“ (die Ausstellung wurde von Bulldozern niedergewalzt) eine Art Nische innerhalb der sowjetischen Kunst. Sie wurden damit für die Machthaber uninteressant und sich selbst überlassen. Zwischen den zwei beschriebenen skandalträchtigen Ereignissen lagen zwölf Jahre typischen dissidentischen Engagements.
Die Literaten hingegen fanden in der Breschnew-Zeit in gar nicht so sehr formaler Form Anschluss an die Dissidentenbewegung, sondern vielmehr aufgrund des staatlicherseits als „kriminell“ eingestuften Charakters einiger ihrer Werke. Sie bildeten auch keine eigene Gruppe in der Welt der Dissidenten. Die Probleme des Literaturbetriebes, also die Beziehungen zwischen Schriftstellern und Herrschenden, wurden erfolgreich vom Samisdat und Tamisdat aufgegriffen. Dadurch büßten die meisten der Probleme durch den Brief Alexander Solschenizyns zur Zensur an den IV. Schriftstellerkongress 1967 ihre Aktualität ein. Der Samisdat stellte auch die Plattform für kollektive literarische Initiativen dar. In den 70er Jahren erschienen dort Dutzende Zeitschriften und Almanache literarischen, literaturphilosophischen, religionsphilosophischen und literarisch-religiösen Charakters. Die meisten Samisdat-Erzeugnisse wurden in Leningrad, aber auch in Litauen herausgegeben.
Im Zeitraum zwischen 1969 und 1974 schlossen sich verschiedene schon existierende oder neu entstandene Dissidentengruppen an eine bereits ausgeprägte Gemeinschaft an, deren Informationsmittelpunkt und „kollektives Sprachrohr“ die Menschenrechtsaktivisten darstellten – eine eher kleine, dafür aber umso augenfälligere Gruppe von Menschen vorwiegend aus Moskau und einigen anderen Großstädten. Durch diverse Informationskanäle, das Gefühl der Solidarität oder ganz einfach durch persönliche Freundschaften waren mit dieser Gruppe Aktivisten verschiedenster gesellschaftlicher Bewegungen verbunden, die nationaler, religiöser, sozial-politischer und kultureller Prägung waren. Einige davon konnte man mit Fug und Recht Massenbewegungen nennen; viele hatten ihre eigene Geschichte, ihre eigenen Traditionen und verfügten manchmal sogar über einen eigenen Samisdat. In den 70er Jahren bedienten sich all diese Bewegungen mehr oder weniger derselben Instrumente wie die Menschenrechtsaktivisten: sie sprachen die gleiche Sprache und hatten ein ähnliches System von Werten und Prioritäten. In gewisser Weise kann also davon gesprochen werden, dass all diese Bewegungen – ohne dabei ihre Spezifik und die Orientierung auf eigene Ziele aufzugeben – ebenfalls zu Bewegungen zur Verteidigung der Menschenrechte wurden.